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Warum Touristen weltweit mit Geld um sich werfen

Urlaubszeit ist Geldwurfzeit. Ob Sie in den Ferien nach Australien fliegen oder mit dem Wohnmobil an den Chiemsee fahren – Sie werden es überall sehen: Kleingeld.

Es blinkt auf dem Grund von Brunnenschalen und Vogeltränken, leuchtet aus Höhlen und Gruben, verziert Lotusblumenbecken und Regenwassertröge. Keine interessante Vertiefung auf der ganzen Welt, in der nicht ein paar Cents, Rupien, Kopeken, Pennies oder Yen lägen. Selbst wenn Sie sich ein paar ruhige Tage zu Hause gönnen, werden Sie es bemerken: Auch in Nürnberg liegt Geld im Wasser. Vor allem im Brunnen mit dem „Ehekarussell“ am Weißen Turm. Es reicht, damit sich die Mitarbeiter der Reinigungsfirma ab und zu ein Eis davon kaufen können.

Aber wer deponiert eigentlich hier seine Münzen und warum? Geben die Touristen auf diese Weise Trinkgeld, oder sind sie einfach zu faul, das Wechselgeld im Portmonee zu verstauen, und schnippen es lässig ins nächste Bassin? Die Antwort findet man nicht beim Tourismusfachwirt und nicht beim Konsumpsychologen. Auf eine erste Spur bringt immerhin die Volkskunde: Schon seit altrömischer Zeit war es Brauch, dem klaren Wasser Münzen zu opfern, die so genannten stipes, eine Sitte, die sich in ganz Europa ausbreiten sollte. Im englischen Bath fischte man aus einer Thermalquelle, die einst der örtlichen Göttin Sulis Minerva geweiht war, nicht weniger als 12 595 römische Münzen. Das Geldopfer weihte die Quelle, dankte für ihre Heilwirkung, wurde zum Wohl des Herrschers dargebracht oder sollte an den heiligen Wasserort zurückkehren lassen. Das empfahl sich vor allem für Soldaten, die in den Krieg zogen.

Rom sehen und Geld da lassen
Von der Wiederkehr wusste man auch in Rom ein Lied zu singen. In der größten Brunnenanlage der Stadt, der Fontana di Trevi, hauste eine geheimnisvolle Nymphe. So erzählte man sich jedenfalls von Alters her. Wer aus dem Trevi-Brunnen trank, den verzauberte die Nymphe, so dass er nicht mehr los kam von Rom. Die ewige Stadt hielt ihn auf ewig in ihrem Bann. Er war verdammt zur Wiederkehr. Bald jedoch vergaß man die einnehmende Nymphe. Es blieb nur im Gedächtnis, „dass ein Abschiedsschluck aus der Fontana di Trevi die Wiederkehr des Reisenden sichere, welche Hindernisse und Unwägbarkeiten ihn auch zu bedrängen scheinen.“ So schreibt der amerikanische Dichter Nathaniel Hawthorne, der 1857 Italien bereiste.

Aber auch das vergaß man wieder. 20 Jahre, nachdem Hawthorne in Rom gewesen war, konnte keiner mehr aus dem Trevi-Brunnen trinken, dessen Wasser doch immer so sauber gewesen war. Denn plötzlich war der Grund des Bassins voller Metall. Irgendjemand hatte damit angefangen, Münzen in den Brunnen zu werfen und sich dabei eine Wiederkehr nach Rom zu wünschen. Die zeitgenössischen Italien-Führer strickten gleich fleißig an der Legende mit und schrieben, jeder Reisende müsse an dem berühmten Ort unbedingt ein Geldstück opfern, wenn er Rom jemals wieder sehen wolle. So sammelten sich nach und nach Tausende von Münzen im Wasser an. Offensichtlich hatten sich in der barocken Trevi-Brunnenschale zwei Bräuche vermischt: das römische Geldopfer an die Quelle einerseits, der Wiederkehrtrunk andererseits. Bis heute verlässt kein echter Rom-Urlauber die Stadt, ohne der Fontana ein bisschen Trinkgeld da gelassen zu haben.

Im Kino konnte man sich abschauen, wie man dabei vorgehen musste: „Drei Münzen im Brunnen“ hieß der amerikanische Film von 1954, in dem drei Münzen feierlich mit der rechten Hand rückwärts über die linke Schulter in den Trevi-Brunnen geworfen wurden. Der gleichnamige Filmsong mit dem Text von Sammy Cahn, der Musik von Jule Styne und der Stimme von Frank Sinatra erhielt vor über 50 Jahren sogar einen Oscar. Freilich verwässert der Schlager endgültig das Geldwurfmotiv: Durch „drei Münzen im Brunnen ... geht ein Wunsch in Erfüllung“, heißt es in der deutschen Fassung.

Willkommene Einnahmequelle
Was sind schon drei Münzen gegen eine Handvoll Glück? Es ist ja auch gar nicht so abwegig, im Urlaub ein bisschen freigebiger zu sein als sonst. Sparen und vernünftig sein kann man wieder daheim. In fernen Ländern leistet man sich gern mal ein überteuertes Abendessen oder schaut viel zu tief ins Glas mit dem exotischen Schnaps. Und wenn etwas erst kultverdächtig ist! Soll man etwa tatenlos zusehen, wie die Mitglieder der chinesischen Reisegruppe ihre Yuan in den Springbrunnen regnen lassen? Irgendwo waren doch noch ein paar Cents … Kult ist eben Kult!

Selten wird ein touristischer Brauch von den Städten und Gemeinden so gern gesehen wie die Münzwurfsitte. Da es keine Nymphen mehr gibt, die auf dem Brunnengeld hocken könnten, gehört es den Grundeignern. Die Ostberliner Zeitung „Der Morgen“ berichtete bereits am 5. Januar 1971, dass bei der Herbstreinigung des Springbrunnens im Friedrichsfelder Tierpark 15 195,60 Mark herausgeholt wurden. Im Ursprungsort des Brauches, dem Trevi-Brunnen, landen inzwischen jedes Jahr ungefähr 100 000 Euro. Zum Streit über den Eigentümer dieser Münzen kam es 1998, als eine 50-jährige Römerin Kleingeld im Wert von umgerechnet 18 Euro für sich herausgefischt hatte und dafür in erster Instanz zu 1 500 Euro Strafe verurteilt worden war. Im Oktober 2003 wurde sie schließlich frei gesprochen mit der Begründung, bei dem Geld handele es sich um herrenloses Gut. „Das Geld im Brunnen gehört niemanden, also gehört es allen“, folgerten schlau die italienischen Zeitungen.

Allerdings behält die Stadt Rom sich seitdem vor, den Schatz bewachen zu lassen, der für wohltätige Zwecke verwendet wird. Straßenkehrer in Gummistiefeln steigen früh morgens in den Brunnen und fischen die Münzen heraus. An anderen touristischen Anziehungspunkten liest man heute manchmal Hinweisschilder, die in den Brunnenschalen gefundenen Beträge würden für die Restaurierung umliegender Gebäude verwendet. Hätte man eine offizielle Sammelbüchse aufgestellt, sähe es bestimmt nicht so gut aus mit den Spenden zur Renovierung.

Durch das schöne Zusammentreffen von spendierfreudigem Urlauber und dankbarem Bewohner konnte sich die Geldwurfsitte von Rom aus überall hin verbreiten. Tourismus ist eben gut für den, der ihn treibt, und für den, der ihn bei sich betreiben lässt. Kein Schlossbesitzer und keine Stadtverwaltung wird Schilder aufstellen mit dem Text „Es ist verboten, Geld in den Brunnen zu werfen!“ Man schüttelt verwundert den Kopf und freut sich über die unverhofften Einnahmen.

Wo aber viele verschiedene Leute in vielen verschiedenen Ländern solch eine Sitte pflegen, ist die Abwandlung des Brauchs geradezu vorbestimmt. Warum nicht, wenn kein Bassin zur Hand ist, die übrigen Cents in einen Swimmingpool schnippen? Oder in einen still gelegten Schacht oder in eine Felsschlucht? Den genauen Grund, warum der Münzwurf in die Tiefe angesagt war, hatte man ja ohnehin längst vergessen. Rückkehr, Wunscherfüllung oder Glück – irgendwas Gutes sollte es jedenfalls bedeuten.

Schon am 30. September 1965 beklagte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, dass überall Geld herumliege, im Burggraben vor dem kaiserlichen Palast in Tokio genauso wie in Buenos Aires, in den Kanälen am Tadsch Mahal genauso wie im Osloer Studententeich. Die Reisenden seien wohl vom „Bazillus Trevianus“ befallen und versuchten von Kopenhagen bis Kairo, ihre restlichen Münzen fremder Währung gegen Glück zu tauschen, „wo immer sie es rauschen und plätschern hören.“ Inzwischen kann man sich also auf eine fast schon uralte Tradition berufen, wenn man irgendwo das Vermögen eines Goldfischteichs vermehrt.

Ein internationaler Brauch
Und so findet man es heute auf der ganzen Welt: Geld in Krokodilbecken von Tierparks und am Grund ausgetrockneter Burgzisternen, Geld unter Barockfontänen und in Schlossgräben, Geld am Boden von Schwefelquellen und Seerosenteichen, Geld in antiken Thermen und in Tropfsteinhöhlen, Geld in Löschwasserbehältern und Lichtschächten. Es liegt Geld in der Mikwe des jüdischen Museums in Fürth, Geld zwischen den Ausgrabungen von Pompeji, Geld im Restaurantbrunnen des New Yorker Metropolitan Museums, Geld hinter den Fenstergittern des Aussichtsturms Coit Tower in San Francisco, Geld in der Innendekoration des Berliner Kaufhauses Galeries Lafayette. Eigentlich liegt es überall dort, wo der Urlauber gern Urlaub macht und sich eine Grube auftut – vor allem, wenn dort schon weitere Münzen liegen.

Von dem frommen Wunsch „Rom sehen und wiederkehren“ blieb nur der mit ein bisschen Glückshoffnung verknüpfte Wunsch, Zahlungsmittel zu versenken. Aber das ist ja sehr typisch für den Volksglauben. Wo man früher den ersten Finger der Hand quetschte, um stellvertretend einen Dämon an seinen Übeltaten zu hindern, drückt man heute den Daumen, um gutes Gelingen zu wünschen. Wo man früher Lire in den Trevi-Brunnen warf, um nach Rom wiederzukehren, wirft man heute Cents in jedes schnöde Loch. – Wenn’s hilft!

Autor/in: 
Gudrun Schury
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 08|2006, Seite 8

 
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