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Fachkräfte

Vielfalt ist eine Chance

Zuwanderung und Integration gehören zusammen. Deshalb muss das Potenzial der hier lebenden Migranten stärker genutzt werden. Von Prof. Dr. Maria Böhmer

Vor 50 Jahren rollte der erste Zug mit Arbeitskräften aus der Türkei in den Münchener Hauptbahnhof. Allein zwischen 1961 und 1972 strömten 750 000 türkische Arbeiter in die Bundesrepublik. Arbeitskräfte waren damals rar – umso dringender brauchte die deutsche Industrie die Gastarbeiter. Heute, 50 Jahre später, geht es erneut um die Frage, wie der Arbeitskräftebedarf gesichert werden kann.

Der demografische Wandel macht sich in vielen Bereichen der Wirtschaft bemerkbar. Zahlreiche Betriebe suchen händeringend Ingenieure, Meister oder Facharbeiter. Doch wie gelingt es, die freien Ausbildungs- und Arbeitsplätze mit qualifizierten Bewerbern zu besetzen und damit den Aufschwung dauerhaft zu sichern? Nach meiner Überzeugung ist eine Kombination aus allen zur Verfügung stehenden Mitteln erforderlich: Das bedeutet:

  • verstärkt die Potenziale von Frauen, Älteren und von Migrantinnen und Migranten in unserem Land zu heben
  • die Fähigkeiten von qualifizierten Migranten intensiver zu nutzen
  • auf eine gezielte maßvolle Zuwanderung von qualifizierten Fachkräften zu setzen.

Schon jetzt leben 16 Mio. Migrantinnen und Migranten in unserem Land. Die volkswirtschaftlichen Potenziale sind erheblich: Jugendliche aus Zuwandererfamilien könnten demografisch jeden vierten bis fünften Ausbildungsplatz besetzen – Tendenz steigend! 2008 betrug ihr Anteil bei den 15 bis 20-Jährigen 24,6 Prozent, bei den zehn bis 15-Jährigen bereits 30,1 Prozent. Umso wichtiger ist es, ihre Ausbildungsreife zu erhöhen. Entscheidend sind gute Deutschkenntnisse und eine solide Bildung. Die aktuelle Pisa-Studie zeigt: Das Umsteuern in der Integrationspolitik trägt Früchte. Die jungen Migranten holen bei der Bildung auf. Das spornt an, die dringend notwendigen Anstrengungen zu intensivieren. Noch verlassen Jugendliche aus Zuwandererfamilien im Schnitt weiterhin etwa doppelt so häufig die Schule ohne Abschluss wie deutsche Jugendliche gleichen Alters.

Um dies zu ändern, müssen von Anfang an die Weichen richtig gestellt werden. Vor allem die frühe Sprachförderung ist von zentraler Bedeutung. In den Kindergärten werden dafür die Grundlagen gelegt. Migranteneltern nutzen noch zu selten diese Möglichkeit für ihre Kinder. Laut Lagebericht, den ich im vergangenen Jahr vorgestellt habe, ist die Quote der Migrantenkinder, die einen Kindergarten besuchen, um neun Prozent niedriger als die von deutschen Kindern. Damit alle Kinder optimal gefördert werden, plädiere ich für ein verpflichtendes, beitragsfreies Kindergartenjahr.

Zugleich muss die individuelle Förderung in den Schulen verstärkt werden. Schulen mit einem hohen Migrantenanteil brauchen mehr Lehrer und Schulsozialarbeiter sowie mehr Zeit, das heißt Ganztagsangebote. Hier sind die Länder gefordert.

Zugleich kommt es darauf an, den Übergang von der Schule in den Beruf für mehr Jugendliche aus Zuwandererfamilien erfolgreich zu gestalten. Dafür brauchen wir eine intensivere Berufsorientierung an den Schulen – sowie eine gemeinsame Kraftanstrengung bei der Besetzung von Ausbildungsplätzen mit jungen Migranten. Der Ausbildungspakt hat dafür jetzt das richtige Signal gesetzt: Jugendliche aus Zuwandererfamilien werden künftig besonders in den Blick genommen.

Viele Betriebe haben bereits erkannt: Vielfalt ist eine Chance! Sie setzen auf die Sprachkenntnisse und häufig auch auf die eigenen kulturellen Erfahrungen vieler Migranten. Zudem sind gemischte Belegschaften kreativer, auch lassen sich leichter neue Kundenkreise erschließen. Für die Unternehmen ist die Ausbildung und Beschäftigung von Menschen aus Zuwandererfamilien ein handfester Gewinn.

Viele qualifizierte Zuwanderer können sich jedoch häufig nicht mit ihren Kenntnissen und Fähigkeiten einbringen, weil ihr im Ausland erworbener Abschluss in Deutschland nicht anerkannt wird. Die Bundesregierung handelt: Das Gesetzesvorhaben zur verbesserten Anerkennung ausländischer Abschlüsse ist auf der Zielgeraden. Angesichts des Fachkräftemangels ist es eine Riesenverschwendung von Ressourcen, wenn qualifizierte Zuwanderer unterhalb ihrer Qualifikation arbeiten müssen. Schätzungen gehen von 300 000 zugewanderten Fachkräften und Akademikern aus, die Interesse an einem transparenten Anerkennungsverfahren haben. Bei der Umsetzung des Anerkennungsgesetzes werden wir darauf achten, dass das hohe Niveau des deutschen Ausbildungssystems beibehalten wird.

Zuwanderung mit Augenmaß

Die Anstrengungen, die vorhandenen Potenziale verstärkt zu heben, werden jedoch nicht ausreichen, um auf Dauer die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes zu sichern. Deutschland muss für kluge Köpfe aus aller Welt attraktiver werden. Dringend nötig ist dabei, dass wir klarer definieren als bisher, welche Zuwanderung wir brauchen und wollen. Entscheidende Kriterien sollten Sprachkenntnisse, Qualifikationen und Bedürfnisse unseres Arbeitsmarktes sein. Zugleich dürfen wir nicht die Fehler wiederholen, die bei der Anwerbung der Gastarbeiter gemacht wurden: Fachkräfte aus Bangkok, Bodrum oder Budapest dürfen nicht allein gelassen werden. Zuwanderung und Integration gehören zusammen. Lassen Sie uns gemeinsam das Jahr 2011 zu einem Jahr der Fachkräfte machen – und der Integration.

Autor/in: 
Staatsministerin Prof. Dr. Maria Böhmer
Externer Kontakt: Staatsministerin Prof. Dr. Maria Böhmer ist Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (www.integrationsbeauftragte.de).
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 05|2011, Seite 18

 
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