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Markenbildung

Weniger ist mehr

Digitale Medien bieten viele Möglichkeiten, um die Aufmerksamkeit der Konsumenten auf sich zu ziehen. Aber ist auch alles sinnvoll, was machbar ist und was die Agenturen empfehlen? Von Florian Holstein

Vor zehn Jahren war es noch wesentlich einfacher, jemanden mit digitalen Markenbotschaften zu fesseln. Da verbrachte man schon einmal längere Zeit damit, sich durch die CD-Rom eines Unternehmens zu klicken, das mit aufwändigen Multimedia-Präsentationen für sich und seine Produkte warb. Sportartikelhersteller produzierten Videos von Athleten, mit einem Blick hinter die Kulissen beim Dreh, Schreibtischhintergründe zum Download, Interviews mit dem Produzenten und so weiter. Genug Material, um die Nutzer längere Zeit an sich und den PC zu fesseln. Heute gibt es kaum noch Werbe-CDs, aus gutem Grund. Für Agenturen und werbetreibende Unternehmen stellt sich trotzdem die unangenehme Frage: Wie kommt es, dass Marken von den Nutzern – wenn überhaupt – nur noch wenige Minuten oder gar Sekunden der bewussten oder unterbewussten Aufmerksamkeit erhalten?

Um die Antworten zu finden, muss man verstehen, wie Marken und ihre Agenturen angefangen haben, das Internet zu nutzen. Irgendwann um 2002 kamen plötzlich zahlreiche Unternehmen auf die Idee, das Potenzial von Millionen von Besuchern im Internet mit sogenannten Microsites auszuschöpfen. Auf diesen kleinen Websites, meist parallel zum eigentlichen Unternehmensauftritt, sollten möglichst viele Informationen zu einem Produkt oder einer Produktreihe gezeigt werden. Das war ein idealer Platz, um Handbücher, Produktzutaten oder Fotos der klassischen Werbung nochmals zu verwenden. Die Agentur wurde beauftragt, weitere Inhalte zu erstellen. „So sieht das ja noch ein bisschen leer aus. Außerdem sollen die Kunden mit unseren Inhalten interagieren und einen Grund haben, die Seite öfter zu besuchen“, so die Argumentation der Auftraggeber. Deshalb wurden auch Rezepte, Gewinnspiele, Glossare, „unterhaltsame“ Spiele, Making-of-Videos und Desktop-Hintergründe usw. online gestellt. Seitdem das Zauberwort „Social Media“ Einzug gehalten hat, gesellen sich dazu oft noch Facebook-Seiten, Foto-Wettbewerbe und vieles mehr.

Zwar werden heute keine CD-Roms mehr versandt und stattdessen neue Medien eingesetzt, aber das Ziel ist paradoxerweise immer noch das gleiche wie vor zehn Jahren: Der Konsument soll mehr Zeit bei uns verbringen und sich mehr mit uns und unseren Produkten beschäftigen. Dabei kann niemand leugnen, dass sich seitdem vieles grundlegend verändert hat. Das Internet ist durch mobile Endgeräte noch tiefer in unseren Alltag eingedrungen. Die Vielzahl der neuen Angebote bringt es mit sich, dass die Zeit, die der Nutzer einem einzelnen Unternehmensauftritt widmen kann, stark zurückgeht. Aber absurderweise werden dennoch immer mehr Inhalte erstellt – mehr Schreibtischhintergründe, Umfragen, Klingeltöne usw.

Zu selten wird hinterfragt, was diese „Lückenfüller“ eigentlich bringen? Führt eine große Zahl an digitalen Spielereien wirklich zu mehr Markenbindung oder – fachlich ausgedrückt – zu mehr „Brand Involvement“? Oder aus der Sicht der Konsumenten gefragt: Wie viel davon können sie noch ertragen? Nehmen wir zum Beispiel das Versenden von virtuellen Postkarten (E-Cards). Der Aufwand für die Erstellung einer solchen Web-Applikation liegt oft bei mehreren Tausend Euro. Konsumenten können damit eine gewöhnliche Nachricht verschicken. Auch der Blick auf die harten Fakten, ist ernüchternd: Die Zugriffs-Daten für diese Anwendungen sind in den meisten Fällen erschreckend gering und stehen in keinem Verhältnis zur Investition.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: CD-Roms, Microsites oder Apps sind natürlich nicht an sich das Problem. Werbetreibende Unternehmen und Agenturen investieren nur zu viel Geld in den Kampf um kurzfristige Aufmerksamkeit. Das Ziel von teuren Investitionen darf in Zukunft also nicht mehr sein, mehr Zeit und Aufmerksamkeit des Konsumenten in Anspruch zu nehmen. Stattdessen sollten die wenige Zeit und Aufmerksamkeit, die den Konsumenten zur Verfügung steht, besser genutzt werden. Die zentrale Frage sollte sein: Welche echten Probleme können wir in Zukunft für den Konsumenten effektiver lösen, ohne ihm die Zeit zu stehlen?

Autor/in: Florian Holstein, ist Creative Director bei der arsmedium group, Nürnberg (www.arsmedium.com).
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 10|2011, Seite 64

 
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