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Personalentwicklung

Vergeudete Talente

Mitarbeiter werden häufig nur danach beurteilt, ob sie ihre Ziele erreichen. Dieses Vorgehen lässt viele Kompetenzen unberücksichtigt und führt dazu, dass Stellen nicht optimal besetzt werden. Von Dr. Colin Roth

Trotz ihrer Beliebtheit liefern Talentförderprogramme bisher in den meisten Fällen keine herausragenden Ergebnisse: Aktuelle Studien zeigen, dass fast 40 Prozent aller internen Beförderungen von Mitarbeitern, die von ihren Arbeitgebern als Potenzialträger eingestuft wurden, sich letztlich als Fehlgriff erweisen.

Diese Zahlen sind bedenklich: Denn offensichtlich werden häufig ungeeignete Mitarbeiter in verantwortliche Positionen befördert, während talentierte Fachkräfte auf der Strecke bleiben. Eine mögliche Ursache dafür ist, dass das Leistungsmanagement, also die Beurteilung und Förderung beruflicher Kompetenzen und Leistungen, alleine den direkten Vorgesetzten überlassen wird. Ihre Perspektive beschränkt sich allerdings oft nur auf den eigenen Aufgabenbereich, und naturgemäß haben sie wenig Interesse daran, talentierte Mitarbeiter „abzugeben“. Das hat zur Folge, dass die häufig noch recht jungen Arbeitnehmer – deren Wechselbereitschaft ohnehin überdurchschnittlich hoch ist – das Unternehmen entweder verlassen oder weit hinter ihrem Leistungspotenzial zurückbleiben. Das ist auch deshalb bedenklich, weil die Förderung von Talenten mit entscheidend ist für den Erfolg von Organisationen.

In einer dreijährigen Studie an der Texas A&M University wurden mehr als 100 Beurteilungssysteme von Fortune 500-Unternehmen unter die Lupe genommen. Ziel der Untersuchung war es, die effektivsten Systeme herauszufinden und eine Art Checkliste zu entwickeln, mit der man individuelle Job-Profile für beliebig viele Stellen erarbeiten kann.

Die Studie förderte vier zentrale Erkenntnisse zu Tage:

  • Die effektivsten Verfahren orientieren sich eher am Verhalten der Mitarbeiter als an Zielen. Ziele sind wichtig, allerdings haben externe Störfaktoren (z.B. Marktentwicklung, Kundenentscheidungen und Prozesse im Unternehmen) oftmals einen hohen Einfluss darauf, ob Mitarbeiter ihre Ziele erreichen. Wer Mitarbeiter nur nach deren Zielerreichung beurteilt, läuft Gefahr, Talente zu verlieren, die aufgrund äußerer Störfaktoren wenig Chancen haben, ihr Potenzial zu zeigen.
  • Beurteilungsprofile sollten individuell gestaltet werden und nur solche Elemente enthalten, die für die jeweilige Position relevant sind. Alle Mitarbeiter nach denselben Kriterien zu beurteilen, ist unzweckmäßig und führt zu Unverständnis und Motivationsverlusten.
  • Mitarbeiter sollten an der Erstellung der Profile beteiligt werden und in strategische Überlegungen mit einbezogen werden. Diese Einbindung ist auch unter dem Aspekt der Wertschätzung wichtig, sie bindet Leistungsträger an das Unternehmen und trägt zu ihrer Motivation bei.
  • Feedback-Geber sollten gezielt ausgewählt werden: Wenn Führungskräfte wenig Kontakt zu ihren Mitarbeitern haben, fallen Beurteilungen unbefriedigend aus und werden von den Mitarbeitern auch nicht akzeptiert. Hier sollten Teamkollegen, interne und externe Kunden sowie auch Selbstbeurteilungen im Sinne eines 360-Grad-Feedbacks eingebunden werden. 360 Grad bedeutet, dass ein Mitarbeiter ein Feedback sowohl von seinem Vorgesetzten und seinen Teamkollegen, als auch von ausgewählten Kunden erhält, um somit eine möglichst objektive und faire Leistungsbeurteilung zu garantieren. Die Ergebnisse dienen als Grundlage für die Beurteilungsgespräche zwischen Führungskraft und Mitarbeiter und helfen beiden Gesprächspartnern, ein fundiertes und zielführendes Gespräch zu führen.

Auf Grundlage dieser vier Forderungen wurde im Rahmen der Studie die „Performance Dimension Checklist“ entwickelt. Um ein individuelles Job-Profil zu entwickeln, werden nach dem Baukastenprinzip Themen (z.B. „wirksame Kommunikationsfähigkeiten“, „effektive Planungsfähigkeiten“) ausgewählt, die für die Position zutreffend und wichtig sind. Diesen Themen werden spezifische Verhaltensanker (z.B. „beherrscht Fachtermini und wendet diese richtig an“, „hört anderen aufmerksam zu“) zugewiesen. Im letzten Schritt werden die ausgewählten Themen den Anforderungen entsprechend gewichtet und sortiert.

Die Profile werden mit den Mitarbeitern und Führungskräften erarbeitet. Anschließend geben die ausgewählten Personen ihre Bewertung anhand eines Fragebogens ab. Anhand der Ergebnisse lassen sich gezielt Maßnahmen zur Mitarbeiterentwicklung ableiten. Besonders hilfreich für das Talent-Management ist das interne Benchmarking: Bevor Mitarbeiter zu einem Assessment eingeladen werden, können sich Personaler die Top-Performer in bestimmten Themenbereichen (z.B. Kommunikationsfähigkeiten, Unterstützung von Teamarbeit, Planungsfähigkeiten) anzeigen lassen und mit den geforderten Attributen vergleichen.

Wie Praxisanwendungen in den USA, aber auch in Deutschland zeigen, tragen verhaltensnahe Beurteilungssysteme in erheblichem Maße dazu bei, dass Mitarbeiter eine faire und verständliche Rückmeldung auf ihre Leistungen erhalten. „Bei der Erstellung der Profile und der nun erfolgten ersten Bewertungsrunde zeigten sich bei meinen Mitarbeitern eine hohe Identifikation mit diesem System und ein starkes Engagement für dieses Vorgehen“, berichtet Peter Voigtmann, Geschäftsführender Gesellschafter der Voigtmann GmbH aus Nürnberg, der diese Methode bereits anwendet. Wahrgenommene Fairness hat einen starken Einfluss auf Arbeitszufriedenheit und Mitarbeiterbindung. Talentierte Mitarbeiter werden es sich dann zweimal überlegen, sich von externen Stellenangeboten „verlocken“ zu lassen.

Autor/in: Dr. Colin Roth ,ist Geschäftsführender Gesellschafter der Blackbox Open GmbH (BBO) und Lehrbeauftragter für Arbeits- und Organisationspsychologie an den Universitäten Nürnberg, Würzburg und Orlando/USA (cr@blackboxopen.com)
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 02|2012, Seite 30

 
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