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Smart Grids

Intelligenz für die Energiewende

Die Energiewende stellt das Stromnetz vor völlig neue Herausforderungen: Das Zusammenspiel vieler Stromerzeuger und -verbraucher muss gesteuert werden. Technologische Entwicklungen aus der Region Nürnberg leisten dazu einen großen Beitrag. Von Andrea Wiedemann; Illustration: Anton Atzenhofer

Das Energiesystem der Zukunft braucht die intelligente Vernetzung von Erzeugung, Transport, Speicherung und Nachfrage.“ So fasst Stephan Kohler, Geschäftsführer der Deutschen Energie-Agentur (dena), die Anforderungen an das Smart Grid zusammen: Die an das Stromnetz angegliederten Komponenten müssen intelligent koordiniert und gesteuert werden. Der Begriff Smart Grid umfasst das Energiemanagement, stabile Netze, automatisierte Prozesse im Stromnetz sowie eine intelligente Stromübertragung und -verteilung. Außerdem müssen schlaue Netze den Energieverbrauch steuern, Speicherkapazitäten bereitstellen sowie die Stromerzeugung und den Stromverbrauch ausbalancieren.

Smart Grids spielen eine Schlüsselrolle für die Integration der dezentralen Energieerzeugung aus regenerativen Quellen – denn nur mit mehr „Grips“ im Netz lässt sich die fluktuierende Einspeisung der Energieträger Sonne und Wind beherrschen. Wenn der Anteil der Erneuerbaren an der Stromversorgung wie geplant weiter zunimmt, wird sich das Energiesystem grundlegend verändern müssen. Der Erfolg der Energiewende hängt also maßgeblich vom Smart Grid ab. Dieser Umstand eröffnet Unternehmen, die Produkte und Lösungen für die intelligenten Netze und deren einzelne Komponenten entwickeln, zahlreiche Chancen – sowohl im Inlandsgeschäft als auch auf Auslandsmärkten. Da Energiewirtschaft, Elektrotechnik und Automatisierungstechnik traditionell zu den starken Branchen Mittelfrankens gehören, kann die Wirtschaftsregion vom Wachstumssegment Smart Grid profitieren. Schon heute haben Unternehmen, Forschungseinrichtungen sowie Energieversorger und Netzbetreiber der Region zahlreiche Aktivitäten und Pilotprojekte rund um „Intelligente Netze“ im Portfolio. Im Folgenden Ausschnitte aus diesem Panorama:

Um die Netzstabilität sicherzustellen, müssen Stromeinspeisung und Stromentnahme zu jedem Zeitpunkt im Gleichgewicht sein. Solar- und Windstrom sind aber nur begrenzt regelbar, sodass die schwankende Einspeisung dieser Energieträger die Komplexität im Netz erhöht. Ursprünglich war die Struktur des Stromnetzes als Einbahnstraßensystem angelegt, das den Strom von zentralen Großkraftwerken über die Übertragungsnetze (Höchstspannungsnetze) und über die Mittelspannungs- in die Ortsnetze transportiert hat. Diese Verteilnetze müssen jetzt mit Gegenverkehr fertig werden und bidirektionale Lastflüsse bewältigen, denn immer mehr Stromkonsumenten produzieren selbst Strom.

Ein Beispiel ist die Gemeinde Larrieden bei Feuchtwangen: Dort sind 650 Kilowatt Leistung aus Photovoltaik-Anlagen installiert, die Leistung aus Biogasanlagen beträgt 1 100 Kilowatt. Dazu kommt eine Windenergieanlage mit zwei Megawatt Leistung. In dem Pilotprojekt „RONT“ erproben die N-Ergie Netz GmbH und die Maschinenfabrik Reinhausen GmbH (Regensburg) smarte Technik, um die Einspeisung des regenerativ erzeugten Stroms zu verbessern. Seit Anfang 2011 ist in Larrieden ein regelbarer Ortsnetztrafo (RONT) im Einsatz. Ein neu entwickeltes System versetzt den Ortsnetztransformator in die Lage, Spannung aktiv regeln zu können. Bisher wird das Übersetzungsverhältnis und damit ein bestimmter Spannungsbereich fest eingestellt und kann im laufenden Betrieb nicht verändert werden. Das neue System bietet Flexibilität. Sein Kernstück ist ein kompakter Schalter, der in neue Ortsnetztransformatoren eingebaut wird. Zusammen mit der Regeleinrichtung werden Spannungsschwankungen selbstständig erkannt und im laufenden Betrieb ausgeglichen.

EnergieCampus Nürnberg

Das Thema Smart Grid gehört auch zu den wesentlichen Arbeitsgebieten des EnergieCampus Nürnberg (EnCN). Im Projekt „Net – Elektrische Netze“ arbeiten Forscher aus den Bereichen Energietechnik, Mikroelektronik sowie Informations- und Kommunikationstechnik gemeinsam an der Verwirklichung des Ziels, im Energienetz der Zukunft Qualität, Zuverlässigkeit und Effizienz sicherzustellen. Koordiniert wird das bis 2016 laufende Net-Projekt von Prof. Dr. Albert Heuberger und Karlheinz Ronge vom Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS. Geforscht wird in drei Bereichen: Energieflusssteuerung im Stromnetz der Zukunft, Schnittstellen und Speicher im zukünftigen Energienetz sowie Informations- und Kommunikationstechnik. Hier befassen sich die Wissenschaftler u.a. mit intelligenten Konzepten für sogenannte „Allways-on-Geräte“ und der Entwicklung eines neuen Messverfahrens zur Zustandsüberwachung (Condition Monitoring) für Geräte und Anlagen im Industrie- und Gebäudeumfeld. Außerdem analysieren die Forscher unterschiedliche Powerline-Verfahren (Datenübertragung über das Stromnetz) im Hinblick auf ihre Energieeffizienz. Ein weiteres Ziel ist die Entwicklung eines Kommunikationsverfahrens (Titel: Fast Power Line Communications and Network), das die vorhandene Infrastruktur des Energieversorgungsnetzes nutzt, um Regel- und Steuerinformationen in Echtzeit zu übertragen.

Leistungselektronische Systeme sind nötig, um die Leistungsflüsse in elektrischen Energienetzen so zu steuern, dass die Stabilität und Qualität der Netze trotz der schwankenden Einspeisung regenerativer Erzeuger gewährleistet ist. Diese Herausforderung zu meistern, gehört zu den Forschungszielen des Instituts für leistungselektronische Systeme (ELSYS) an der Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg. Das Institut unter Leitung von Prof. Dr. Norbert Graß und Prof. Dr. Armin Dietz hat im Rahmen eines Pilotprojekts in Unterfarrnbach gemeinsam mit der infra fürth gmbh als Netzbetreiber und in Kooperation mit der TU München sowie der Siemens AG Steuer- und Regelungsverfahren für Photovoltaik-Wechselrichter getestet. Die Projektpartner wollten zeigen, dass die Integration vieler dezentral einspeisender Photovoltaik-Anlagen nicht zwangsläufig einen Ausbau des Verteilungsnetzes bedeuten muss. „Schlauer statt größer“, so bringt Rudolf Hoffmann, Bereichsleiter Netzbetrieb bei der infra, das Projektziel auf den Punkt.

Steuerung von Wechselrichtern

Unterfarrnbach hat sich als Testgebiet empfohlen, weil dort am Fürther Stadtrand mit vielen Photovoltaik-Anlagen auf Dächern von Einfamilienhäusern und Scheunen im kleinen Maßstab ein Grundproblem auftritt, das es künftig im großen Maßstab zu lösen gilt: An sonnigen Tagen um die Mittagszeit wird eine Spitzeneinspeisung von mehr als 500 Kilowatt erreicht, während die Spitzenlast bei 330 Kilowatt liegt – Ergebnis ist eine sehr hohe Netzspannung. Das von Prof. Graß und seinem Forschungsteam entwickelte Verfahren kann mit den Solarwechselrichtern die Spannung bei voller Einspeisung der PV-Anlagen reduzieren. Kernstück dieses Erfolgs ist die Datenkommunikation im Netz: Messpunkte erfassen aktuelle Werte und übermitteln sie in Echtzeit an einen Zentralrechner. Auf Basis dieser Informationen agiert der wie eine Kommandozentrale für die einzelnen Wechselrichter und andere Netzkomponenten. „Die Kunst ist dabei, die notwendige Datenmenge zu beschränken“, erklärt Graß. Denn je höher die Datenmenge, desto komplexer – und damit auch kostspieliger – das System.

Zu den international bekannten Größen in der Leistungselektronik aus der Region gehört Semikron. Als einer der weltweit führenden Hersteller von Leistungshalbleitern stellt das Familienunternehmen mit Hauptsitz in Nürnberg Komponenten zur Umformung von elektrischer Energie für Niederspannungsnetze her, die Funktionen zur Netzsteuerung ermöglichen. Im Rampenlicht stehen hier Produkte wie die IGBT-Module Semix, SKiiP oder leistungselektronische Stacks von einigen Kilowatt bis in den Megawatt-Bereich. Beim Einsatz von leistungselektronischen Komponenten in intelligenten Netzen ist es wichtig, langlebige und wartungsfreie Produkte einzusetzen. Semikron ist führend auf dem Gebiet der Aufbau- und Verbindungstechnik und hat viele Jahrzehnte Erfahrung in Entwicklung und Produktion hochzuverlässiger, kompakter Produkte. Das Unternehmen hat rund um den Globus ein Netzwerk aus 36 Gesellschaften mit weltweit 3 900 Mitarbeitern und Fertigungsstandorten in Europa, Nord- und Südamerika, Asien und Afrika gespannt. Die Produktpalette umfasst Chips, diskrete Halbleiter, Transistor-, Dioden- und Thyristor-Module sowie leistungselektronische Systeme, die für Anwendungen in der Stromversorgung und auch für Industrieantriebe, Wind- und Solaranlagen, Hybrid- und Elektrofahrzeuge und Schienenfahrzeuge geeignet sind.

Energiemanagement in Unternehmen

Einer der mittelständischen Akteure in der Region, die das Smart Grid voranbringen, ist die KBR Kompensationsanlagenbau GmbH. Das 1976 gegründete Unternehmen unterstützt Kunden aus Industrie und Gewerbe bei der Verbesserung des Energiemanagements. Die Schwabacher Firma mit derzeit rund 110 Mitarbeitern entwickelt und fertigt u.a. hochsensible Messgeräte für die Erfassung der Energieverbräuche, Visualisierungs-Software zur Aufbereitung dieser Daten sowie Anlagen zur Lastspitzenoptimierung und Kompensation der Blindleistung. „Unsere Anlagen und Systeme tragen wesentlich dazu bei, Lastspitzen zu begrenzen“, erklärt Geschäftsführer Achim Tempelmeier. Nach seiner Einschätzung lässt sich der Stromverbrauch in produzierenden Unternehmen durch konsequentes Energiemanagement um etwa zehn bis 25 Prozent senken. Immer mehr Betriebe wollen dieses Sparpotenzial heben: „Wir agieren in einem Wachstumsmarkt“, sagt Tempelmeier. Know-how und Produkte der KBR für Energiemanagement-Systeme sind auch international gefragt, rund ein Drittel der Kunden ordern aus dem Ausland.

Intelligente Speichertechnologien

In Kooperation von EnergieCampus Nürnberg (EnCN) und Stadtwerken Erlangen soll bis Ende 2013 ein „energiehandelndes Haus“ realisiert werden, das regenerativ erzeugten Strom speichern und bei Bedarf ins Netz abgeben kann. So wird die Immobilie Teil eines Smart Grids. Dahinter steckt eine neue Speichertechnologie, die im Forschungsbereich „Transport – Stofflicher Energietransport“ des ENCN entwickelt wurde: Der „Carbazol-Speicher“ (benannt nach der Chemikalie N-Ethylcarbazol) und andere LOHC-Systeme (Liquid Organic Hydrogen Carriers) ermöglichen die Langzeitspeicherung von regenerativ erzeugtem Wasserstoff. Das Element wird mittels Hydrierung an ungesättigten Bindungen chemisch gebunden, sodass ein Wasserstoffträger entsteht, dessen Konsistenz Dieselkraftstoff ähnelt. Bei Energiebedarf kann der Wasserstoff durch Dehydrierung freigesetzt und zur Stromerzeugung verwendet werden. Mit dem Carbazol-Speicher im Heizungskeller lassen sich Häuser und Gebäudekomplexe künftig als Energiespeicher nutzen, so die Erwartung des LOHC-Forschungsteams unter Leitung von Prof. Dr. Peter Wasserscheid (Lehrstuhl für Chemische Reaktionstechnik an der Universität Erlangen-Nürnberg). Damit spielt das „energiehandelnde Haus“ einen aktiven Part in einem intelligenten Stromnetz.

Intelligente Zähler gehören zu den wichtigsten Komponenten des Smart Grid. Diese Smart Meter messen Verbrauchsdaten und übertragen sie auf einen PC oder ein Smartphone. Dabei werden nicht nur aggregierte Daten erfasst, sondern auch der Strombedarf einzelner Geräte. Der intelligente Zähler meldet die Daten in kurzen Zeitintervallen an das Energieversorgungsunternehmen. Im Gegenzug kann der Smart Meter Informationen über zeit- und lastvariable Tarife empfangen, sodass er dokumentieren und steuern kann. Das zur Diehl-Gruppe gehörende Unternehmen Diehl Controls befasst sich in der Geschäftseinheit Smart Home mit Technologie, die privaten Verbrauchern intelligentes Energiemanagement ermöglicht. Die Smart-Home-Zentraleinheit von Diehl, die über LAN/WLAN mit einem handelsüblichen Router verbunden wird, steuert Prozesse im Haus und bereitet die Daten auf.

Smart-Grid-Komponenten aus einer Hand

In der Nürnberger Südstadt ist der Sitz der Smart Grid Division des Sektors Infrastructure & Cities der Siemens AG. Mit rund 9 000 Mitarbeitern weltweit treibt diese Geschäftseinheit rund um den Globus den Ausbau von intelligenten Übertragungs- und Verteilnetzen sowie die Einbindung von zentraler und dezentraler Energieversorgung voran. Die Kunden dieser Division sind Energieerzeuger, Netzbetreiber, Industrieunternehmen, Bahngesellschaften und Kommunen. Ihnen bietet die Siemens AG fast das komplette Spektrum an Produkten, Lösungen und Dienstleitungen für Schutz, Planung, Steuerung, Monitoring und Diagnose der Netzinfrastruktur.

Schon heute bietet die Smart Grid Division international gefragte Technik: Dazu zählt beispielsweise das Amis-System (Automated Metering und Information System). Nach Angaben von Siemens ist es die erste Smart-Grid-Applikation, die nicht nur Strom-Parameter wie Spannung und Leistung messen kann, sondern anhand dieser Daten ein jeweils aktuelles Bild des Ist-Zustandes innerhalb des Niederspannungsnetzes liefert. Damit verschafft es dem Betreiber die notwendigen Informationen, um Transparenz und Stabilität im Netz sicherzustellen. Das Amis-System hat den Lackmus-Test im Netzalltag bereits bestanden: Zum Beispiel sind bei der Energie AG Oberösterreich mittlerweile mehr als 100 000 Amis-Zähler in Betrieb.

Autor/in: 

Andrea Wiedemann

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 07|2012, Seite 26

 
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