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Bionicum

Bauplan der Natur

Bionicum © Foto: (C)2014 Thomas Tjiang

Auf dem Wasser schweben: Bionicum-Leiterin Dr. Eva Gebauer demonstriert die ausgeklügelte „Luftkissentechnik“ südamerikanischer Schwimmfarne.

Das Bionicum am Nürnberger Tiergarten zeigt, wie die Tier- und Pflanzenwelt als Vorbild für technische Innovationen dient.

Wenn Eltern mit ihren Kindern in den Nürnberger Tiergarten stürmen, zieht es sie meist gleich zu Totenkopfäffchen und Giraffen. Das vor knapp einem Jahr eröffnete Bionicum gleich links hinter dem Eingang im Naturkundehaus kann dann im wahrsten Sinne des Wortes leicht links liegen bleiben. Dabei ist die Einrichtung des Bayerischen Landesamts für Umwelt im Freistaat einmalig, so die Leiterin Dr. Eva Gebauer.

Auf rund 400 Quadratmetern sind im ersten Stock erstaunliche Phänomene aus der Tier- und Pflanzenwelt zu entdecken. Einige davon sind in 3,9 Mrd. Jahren entstanden und dienen der optimalen Anpassung an Umwelt, Witterung und ganz spezifische Bedingungen zu Wasser, zu Land oder in der Luft. Dazu zählt etwa der Sandfisch, eine Eidechse, der Dank einer reibungsarmen und kratzfesten Haut quasi im Wüstensand schwimmen und abtauchen kann. Deshalb lässt sich das Tier in seinem Terrarium auch nur selten blicken. Keine Scheu zeigt dagegen die handtellergroße Seidenspinne Nephila, die sich beim Bau eines Wunderwerks beobachten lässt: Der Faden für ihr Spinnennetz ist reißfester als Stahl und zugleich elastischer als Gummi. Eigenschaften, die australische Ureinwohner dazu inspirierten, die Spinnfäden als Angelleine zu nutzen.

Das Kunstwort Bionik, zusammengesetzt aus Biologie und Technik, steht für das Lernen von der Natur und für technische Lösungen nach dem Vorbild der Natur. Als Klassiker der Bionik gelten die wasserabweisende Farbe mit Lotuseffekt nach dem Vorbild der Lotuspflanze oder der von den Kletten abgeschaute Klettverschluss. Der italienische Universalgelehrte Leonardo da Vinci gilt landläufig „als erster Bioniker“, weil er u.a. für die Entwürfe seiner Flugmaschine intensiv Vögel und ihre Schwingen beobachtete.

Illustriert werden im Ausstellungsbereich zum Anfassen und Mitmachen viele weitere Phänomene. Etwa die raue Haut der Haie mit ihren kleinen Zähnchen, die gemäß landläufigem Physikunterricht eigentlich das schnelle Schwimmen behindern müssten. Doch das Gegenteil ist der Fall, denn durch die besondere Struktur wird das Wasser entlang des Körpers kanalisiert, es gibt keine bremsenden Wirbel. Das bionische Ergebnis nach diesem Naturvorbild ist die Riblet-Folie und der Riblet-Lack, die auf Schiffe oder Flugzeuge aufgebracht werden.

An einer anderen Station lassen sich südamerikanische Schwimmfarne von Besuchern unter Wasser drücken, so wie es auch bei natürlichen Überschwemmungen im Amazonasgebiet der Fall ist. Die Blattoberflächen sind mit einer Art erhöhter Noppen strukturiert, auf denen sich Wassertropfen festsetzen. Sie schließen eine Luftschicht zwischen Wasser und Blatt ein, sodass die Farnart auch wochenlang unter Wasser überleben kann. „Die ersten Textilien mit diesem Prinzip gibt es schon“, so Gebauer. Erste Anwendungen für Schiffe halten bereits eine Atlantiküberquerung aus. Man fährt wie auf einer Luftschicht und spart Treibstoff, der Rumpf wird nicht von Algen und Muscheln bevölkert. Andere Forschungen versuchen die kratzfeste Haut des Sandfisches zu imitieren, um beispielsweise Sonnenkollektoren vor Beschädigungen durch Wüstensand zu schützen. Bei Logistikern sind computergestützte Modelle im Einsatz, die auf der Fähigkeit von Ameisen basieren, die kürzesten Routen zu den Futterquellen zu finden. Besucher mit einem Smartphone können im Bionicum auch den Selbsttest machen und sich den optimalen Weg für ihre geplanten Stationen im Tiergarten berechnen lassen.

Ein Besuchermagnet bei Führungen ist Nao, ein humanoider Roboter, der per Sprachbefehl aufsteht oder tanzt. Er wurde vom Erlanger Uni-Lehrstuhl für Fertigungsautomatisierung und Produktionssystematik (FAPS) programmiert und gehört zu einem der drei bionischen Forschungsprojekte, die derzeit gemeinsam mit dem Bionicum durchgeführt werden. Noch wird der Roboter von Elektromotoren angetrieben. Ziel der Forscher ist es, ihn mit künstlichen Muskeln aus einem Drucksystem auszustatten. Hierfür werden quasi zwei dünne Silikonschichten ausgedruckt, die sich entsprechend der unterschiedlichen Muskelfunktion zusammenziehen und strecken.

Licht sammeln wie die Pflanzen

Auch Prof. Dr. Hans Poisel von der Technischen Hochschule Nürnberg orientiert sich beim Forschungsprojekt „Biosol“ an der Natur: Sonnenlicht wird direkt über eine 20 Meter lange, lichtleitende Faser eingefangen und zur Beleuchtung in Innenräume geleitet. Das Forscher-Team hat sich dafür Pflanzen zum Vorbild genommen, die sich zur Sonne ausrichten, und auf dieser Basis eine photoreaktive Aufhängung entwickelt, die die Faser entsprechend dem Sonnenstand nachjustiert.

Autor/in: 

Thomas Tjiang

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 05|2015, Seite 32

 
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