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Indien

Der vielfältige Riese

Elefant_Indien © 8meg/Fotolia.com

Mit zahlreichen staatlichen Initiativen will die indische Regierung Investitionen, Bildungssystem und Infrastruktur fördern.

Indien gilt mit seinen gut 1,3 Mrd. Einwohnern als bevölkerungsreichste Demokratie der Welt. Die aufstrebende Wirtschaftsmacht des Subkontinents ist zugleich ein Land der Gegensätze, wenn man den Blick auf die Kluft zwischen Arm und Reich oder die verbreitete Benachteiligung von Frauen und Mädchen richtet. Die Landwirtschaft produziert so viel Getreide, dass Indien zum Exporteur geworden ist, obwohl etwa eine Viertel Milliarde Menschen im Land an Unterernährung leidet und Millionen Kleinbauern nicht von ihrer Arbeit leben können. Auch die religiöse Polarisierung unter dem Regierungschef und Hindu-Nationalisten Narendra Modi nimmt in dem Land zu, in dem auch rund 160 Mio. Muslime leben. Damit ist Indien weltweit das Land mit der zweitgrößten muslimischen Bevölkerung.

Auf der Fachveranstaltung „Indien aktuell“ der IHK Nürnberg für Mittelfranken berichtete Dirk Matter, Geschäftsführer der Deutsch-Indischen Auslandshandelskammer (AHK), dass für das laufende Jahr – zum vierten Mal in Folge – ein Wirtschaftswachstum von über sieben Prozent erwartet wird. Das Wachstum in der Industrie wird allerdings mit 2,6 Prozent vergleichsweise gering ausfallen.

Zu den großen wirtschaftlichen Themen gehören neben der für Anfang Juli erwarteten großen Steuerreform GST (Goods and Services Tax) die im vergangenen November angeordnete Bargeldreform (Demonetisation) – der Rückruf von rund 97 Prozent der umlaufenden Banknoten. Die überraschende Aktion im Kampf der Modi-Regierung „gegen Korruption, Schwarzgeld und Steuerhinterziehung“ führte teilweise zu Tumulten, weil viele Arbeitgeber ihre Beschäftigten nicht mehr ausbezahlen konnten oder bei den Banken nicht ausreichend neue Geldscheine zu bekommen waren. Fast 30 Prozent der Beschäftigten arbeiten als Tagelöhner, eine überwältigende Mehrheit im sogenannten unorganisierten Sektor erhält ihren Lohn bar ausgezahlt. Im Immobiliensektor, laut Matter ein Zielhafen für Schwarzgeld, brach beispielsweise die Zahl der Hausverkäufe um 44 Prozent ein.

Im internationalen Kontext wurde aktuell im Zuge der Reformbemühungen das Investitionsförderungs- und Schutzabkommen gekündigt, das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indien wird bereits seit zehn Jahren verhandelt. Auf nationaler Ebene wird zurzeit darüber diskutiert, die Umwandlung von Agrarfläche in Wohn- oder Gewerbefläche zu erleichtern. Auch die Verbesserung der Arbeitnehmerrechte steht auf der gesetzgeberischen Agenda. 

Programm „Make in India“

Mit einem ganzen Bündel an Programmen will die indische Regierung ihr Land in die Moderne führen. Dazu zählt das Programm „Make in India“ mit Investitionszusagen von fast einer Viertel Billion US-Dollar. Diese Regierungskampagne will den Anteil der Produktion am Bruttoinlandsprodukt von aktuell circa 17 Prozent bis zum Jahr 2022 auf 25 Prozent steigern.

Vikram Vardhan, der bei der indischen Botschaft in Berlin für Wirtschafts- und Handelsangelegenheiten zuständig ist, stellte die Initiative „Make in India Mittelstand“ (MIIM) vor, die den deutschen Mittelstand bei seinem Eintritt in das Indien-Geschäft unterstützen soll. Das Programm bietet eine Vielzahl von Dienstleistungen auf einer Plattform. Diese umfassen u. a. Strategieberatung, steuerliche und rechtliche Unterstützung, Finanzdienstleistungen (z. B. über die KFW DEG) oder Förderung von Gründern. Vardhan beziffert das aktuell zugesagte Investitionsvolumen für MIIM auf 480 Mio. Euro, dadurch werde die Schaffung von rund 3 500 Arbeitsplätzen angestoßen. Im Fokus der MIIM-Initiative stehen Industrie und industrielle Dienstleistungen sowie Umwelttechnik und Infrastruktur.

Durch die Initiative „Digital India“ sollen angeblich 500 Mio. Bürger erstmals erfasst werden. Das E-Governance-Projekt soll beispielsweise sicherstellen, dass Sozialleistungen nicht mehr in den Dorfverwaltungen versickern, sondern tatsächlich bei den Empfängern ankommen. Das Digitalisierungskonzept „Smart Cities“ ist mit sieben Mrd. US-Dollar ausgestattet und soll 100 indische Städte fit für smarte Anwendungen machen.

Ein Thema bei der IHK-Veranstaltung war auch das Bildungssystem in Indien, das vielfach noch sehr verbesserungsbedürftig ist: Das Programm „Skill India“ sieht die Qualifizierung von 400 Mio. Indern bis zum Jahr 2022 vor. Derzeit ist laut German Trade and Invest (GTAI) von einem „Jobless Growth“ die Rede, also einem Wirtschaftswachstum ohne entsprechende Beschäftigungseffekte. Einem Bericht der Vereinten Nationen zufolge sollen von 1991 bis 2013 für 300 Mio. neue Bewerber auf dem indischen Arbeitsmarkt nur 140 Mio. Stellen entstanden sein. Jedes Jahr drängen circa zwölf Mio. junge Inder auf den Arbeitsmarkt, darunter über 8,8 Mio. Akademiker. Gleichwohl wird die Quote der Analphabeten auf über 28 Prozent geschätzt.

Wichtige Handelspartner

Indiens Handelspartner Nummer 1 bei Im- und Exporten ist China. Die deutschen Exporte nach Indien stagnieren auf hohem Niveau bei knapp zehn Mrd. Euro. Darunter nehmen Maschinen mit einem Drittel den größten Anteil ein, gefolgt von Elektrotechnik und Chemie sowie optischen und fotografischen Geräten. Die deutschen Importe aus Indien rangieren wertmäßig bei rund 7,5 Mrd. Euro, darunter Diamanten, Öl, Textilien und Bekleidung sowie Industriechemikalien und Maschinen.

Matter erinnert aber daran, dass in diesen Statistiken nicht die Produkte und Dienstleistungen erfasst werden, die etwa von deutschen Firmen in Indien produziert werden. Immerhin unterhält z. B. SAP ihren zweitgrößten Standort mit 600 Mitarbeitern im indischen Bangalore. Die westindische Industriestadt Pune im Bundesstaat Maharashtra mit acht Mio. Einwohnern im Großraum gilt als „heimliche Hauptstadt der Deutschen“.

Als einen „großen positiven Schritt“ bezeichnete Rechtsanwalt Tillmann Ruppert von der Nürnberger Beratungs- und Prüfgesellschaft Rödl & Partner die anstehende Reform der Goods and Services Tax (GST). Mit der neuen Umsatzsteuer verliere Indien seine „Sonderrolle bei den indirekten Steuern“. Sie ersetzt ein Dutzend Steuern, die bisher auf Bundesebene oder in den Bundesstaaten erhoben werden, darunter etwa die zentralen Dienstleistungs-, Import- oder auch Produktionssteuern. Auf der Ebene der Bundesstaaten fallen durch die neue GST ebenfalls Einfuhr- und Lieferungssteuern oder auch die Luxussteuer auf Hotelleistungen sowie Vergnügungssteuer weg.

Neue Struktur der Umsatzsteuer

Die erwartete GST wird die bisherige Komplexität, den bürokratischen Aufwand und strittige Fragen von Zuordnungen, die bislang teils sogar zu Doppelbesteuerungen führen, reduzieren. Allerdings verbergen sich hinter der GST drei Bausteine, nämlich die Steuer der Zentralregierung (Central GST oder CGST), die Steuer der Bundesstaaten (State GST oder SGST) und die übergreifende Steuer (Integrated GST oder IGST).

Rödl & Partner, in Indien an fünf Standorten mit rund 100 Mitarbeitern präsent, erwartet von der Reform keine oder nur geringe Kostensteigerungen. Allerdings sieht Ruppert eine „Herausforderung für Buchhaltung und Software“, denn die 18-prozentige Steuer auf Anlagen und Maschinen muss künftig getrennt ausgewiesen werden, in diesem Fall als der Rechnungsbetrag und die beiden Steuersätze für Zentralregierung und Bundesstaaten, also jeweils neun Prozent CGST und neun Prozent SGST. Ruppert berichtete bei der IHK-Veranstaltung auch über einen etwas komplexeren Vorsteuerabzug sowie über die Regelungen für eine Erstattung des Vorsteuerguthabens und die Auswirkungen für das Exportgeschäft, Vertrieb und Handelsvertreter.

Eine steigende Nachfrage nach moderner Bautechnik hat die NürnbergMesse registriert, die mit der Niederlassung NürnbergMesse India vor Ort aktiv ist. Sie reagierte darauf mit der Gründung des Baumesse-Bündnisses „Build Fair Alliance“ (BFA). Die BFA in Greater Noida bei Neu-Delhi bündelte fünf Veranstaltungen von drei deutschen Messegesellschaften an einem Veranstaltungsort. Die NürnbergMesse brachte in das Spektrum ihre indische Messe für Heizung, Lüftung, Klima- und Kältetechnik Acrex, ihre indische Fensterbau Frontale und die Fire & Security India Expo (Lösungen im Bereich Gebäudebrandschutz) ein. Rund 55 000 Fachbesucher erhielten in diesem Rahmen die Gelegenheit, sich bei über 1 000 Ausstellern über unterschiedliche baufachliche Themen und Technologien auf kurzem Wege zu informieren.

Rödl & Partner und NürnbergMesse sind zwei von 340 mittelfränkischen Firmen, die Geschäftsverbindungen mit indischen Unternehmen unterhalten. Davon sind 113 dauerhaft auf dem Subkontinent in Form von Vertretungen, Niederlassungen, Produktionsstätten, Beteiligungen oder Joint-Ventures engagiert.

Autor/in: 

tt.

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 05|2017, Seite 24

 
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