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Talente im Unternehmen

Die Chancen-Bälle fangen

Kinder spielen mit Bällen © Thomas Northcut/Thinkstock.com

„Jeder Mensch ist Elite, nur jeder auf einem anderen Gebiet“: Diese Prämisse empfiehlt der Humangenetiker Prof. Dr. Markus Hengstschläger bei der Talentförderung.

Wie finde ich die richtigen Mitarbeiter und wie kann ich ihre Talente fördern: Diese Fragen treiben Manager und Personalverantwortliche um, denn Kreativität und Motivation der Beschäftigten sind entscheidend für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen. Deshalb standen diese Themen im Fokus des Bayerischen Mittelstandsgesprächs, zu dem die Bayerische Beteiligungsgesellschaft BayBG und die IHK Nürnberg für Mittelfranken eingeladen hatten. Prof. Dr. Markus Hengstschläger skizzierte in seinem Vortrag „Von Peaks und Freaks“ die neuen Wege, die Unternehmen bei der Suche und der Förderung von Talenten einschlagen sollten.

Hengstschläger leitet das Institut für Medizinische Genetik der Medizinischen Universität Wien. Als Autor („Die Durchschnittsfalle“, „Die Macht der Gene“), TV-Moderator und Berater für politische Gremien und Unternehmen engagiert sich der 49-Jährige in der Debatte um Bildung und Innovation. Seine These: „Wir kennen die Herausforderungen der Zukunft nicht. Bewältigen können wir sie aber nur, wenn wir jene einzigartigen Talente fördern, die in uns und anderen schlummern.“

Bei seinem Vortrag im Marmorsaal des Nürnberger Presseclubs setzte sich der Wissenschaftler mit dem Spannungsfeld zwischen Individualität und Durchschnittlichkeit auseinander. Zur Illustration des Problems bemühte er ein Gleichnis: Aus allen Richtungen fliegen Bälle in eine Turnhalle. Der Lehrer soll nun 20 Kinder so aufstellen, dass möglichst viele Bälle gefangen werden. Die meisten Pädagogen werden sich wahrscheinlich dafür entscheiden, die Schüler in der Mitte zu platzieren, so Hengstschläger – und damit einen gravierenden Fehler begehen. Denn je besser die Verteilung, je mehr die Kinder darauf achten, dass sie nicht zu zweit an derselben Stelle stehen, desto höher die Wahrscheinlichkeit, die Bälle zu fangen.

Die Bälle aus der Parabel dechiffrierte der Humangenetiker als die Chancen und Risiken, die Trends wie Digitalisierung für Unternehmen und deren Geschäftsmodelle bedeuten. Die größte Herausforderung stellen die Bälle dar, von denen bislang keiner weiß, aus welcher Richtung sie kommen werden. Genau diese Bälle werden in der Industrie 4.0 den Unterschied zwischen wirtschaftlichem Erfolg, Stagnation und Niedergang ausmachen, argumentierte Hengstschläger. Deshalb dürfen Unternehmen auch nicht dem Irrtum des Turnhallen-Beispiels erliegen und in der Personalentwicklung auf die Mitte setzen: „Ein System, in dem alle Teile möglichst nah an einem gemeinsamen Durchschnitt sind, ist für die Zukunft in keinerlei Weise gerüstet“, so Hengstschlägers Überzeugung.

Nach dieser Logik ist die Durchschnittlichkeit die größte Gefahr für eine erfolgreiche Zukunft, weil sie zu keinen Spitzenleistungen fähig ist. „Es ist nicht erfolgversprechend, wenn wir von allen dasselbe verlangen. Die Wirtschaft verschwendet unglaublich viel Zeit, Geld und Energie, indem sie Richtlinien erfindet, die für alle gelten sollen.“ Ein Entkommen aus der „Durchschnittsfalle“ gebe es nur dann, wenn Betriebe ihren Mitarbeitern die Chance geben, individuelle Stärken zu entdecken und zu entfalten.

Wie Hengstschläger erklärte, lasse sich kein Mensch in puncto Talent auf seine Gene reduzieren. Erfolg sei stets das Ergebnis der Wechselwirkung aus Genetik und Umwelt: „Gene sind wie Bleistift und Papier, aber die Geschichte schreiben wir selbst.“ Damit diese Geschichten gelingen, müssten die individuellen Leistungsvoraussetzungen jedes Menschen erkannt und gefördert werden. Hier ging der Humangenetiker hart mit dem etablierten Bildungssystem ins Gericht, das die Durchschnittlichkeit zum Maß aller Dinge erkläre: Es halte Schüler vor allem dazu an, noch härter an ihren Defiziten zu arbeiten und weniger an ihren Stärken.

Kritisch hinterfragte Hengstschläger das gängige Verständnis des Begriffs „Elite“. Elite bedeutet für ihn nicht nur, Tore zu schießen wie Lionel Messi oder Arien zu singen wie Placido Domingo. Zur Elite zählt der Wissenschaftler beispielsweise auch jene, die ihr herausragendes Empathie-Talent jahrzehntelang in Pflegeberufen ausleben. „Jeder Mensch ist Elite, nur jeder auf einem anderen Gebiet“, lautet deshalb das Credo des Humangenetikers. „Es gibt so viele Eliten wie Menschen.“

Hengstschläger machte deutlich, dass Talente nur unter bestimmten Voraussetzungen zum Erfolg eines Unternehmens beitragen. Teamarbeit spiele dabei eine Schlüsselrolle: „Einzelne Talente müssen innerhalb von Teams zu einem dicken Seil verknüpft werden, das den Karren der Zukunft zieht.“ Dabei hatte der Wissenschaftler eine zuversichtliche Botschaft für Personalentwickler und Firmenchefs: Soziale Intelligenz, Empathie und Teamfähigkeit seien erlernbar – vorausgesetzt, die Unternehmenskultur lasse diese Eigenschaften gedeihen. Entscheidend sei außerdem, die richtigen Talente auf die richtige Position zu setzen: „Ein Lionel Messi im Tor bringt nichts.“  

Autor/in: 

 (aw.)

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 06|2017, Seite 56

 
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