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Psychische Gesundheit

Schweigen ist nicht Gold

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Wie können Arbeitgeber helfen, wenn Mitarbeiter Anzeichen psychischer Störungen zeigen? Eine IHK-Veranstaltung informierte.

Die einschlägige Ratgeber-Literatur füllt mehrere Regalmeter, in den Medien outen sich Prominente als depressiv und Burnout-geplagt. Man könnte meinen, seelische Erkrankungen sind längst aus der gesellschaftlichen Tabu-Zone befreit worden. Aber in der Arbeitswelt ist der Umgang mit psychischen Störungen häufig noch von Vorurteilen und Berührungsängsten geprägt. Diese abzubauen und über die Möglichkeiten zur (Wieder-)Eingliederung von Menschen mit psychischen Erkrankungen zu informieren, war Ziel der Veranstaltung „Unternehmenswert psychische Gesundheit“ der IHK Nürnberg für Mittelfranken, bei der Betroffene und deren Arbeitgeber zu Wort kamen. Bei einer „Beratungsmesse“ konnten Besucher mit Vertretern der Arbeitsagentur, der Deutschen Rentenversicherung, des Jobcenters, des Integrationsamtes sowie des Integrationsfachdienstes ins Gespräch kommen. Außerdem gab es eine Podiumsrunde mit Experten zu Fragen rund um die Wiedereingliederung.

Harald Leupold, Vizepräsident der IHK Nürnberg für Mittelfranken, machte in seiner Begrüßung deutlich, dass psychische Erkrankungen ein brisantes Thema im betrieblichen Alltag darstellen: Die psychisch bedingten Fehlzeiten sind zwischen 2001 und 2012 von bundesweit 33,6 Mio. Arbeitsunfähigkeitstagen auf 60 Mio. gestiegen. Wer wegen psychischer Belastungen krank geschrieben wurde, fehlte 2014 durchschnittlich 39,1 Tage am Arbeitsplatz – etwa drei Mal so lang wie bei anderen Erkrankungen.

Wie Leupold unterstrich, haben Arbeitgeber eine Fürsorgepflicht gegenüber Beschäftigten mit psychischen Problemen – aber auch eine Verantwortung gegenüber den Kollegen, die krankheitsbedingte Ausfälle auffangen müssen. In diesem Spannungsfeld Lösungen zu finden, sei eine Herausforderung. „Es gibt hier keine Blaupausen, weil jeder Fall sehr individuell ist“, betonte der IHK-Vizepräsident. „Aber wir wollen mit dieser Veranstaltung Denkanstöße geben.“

Thomas Storch vom Krisendienst Mittelfranken stellte klar, dass es die psychische Erkrankung nicht gibt. Tatsächlich stecken hinter dem Begriff „psychische Erkrankungen“ ganz unterschiedliche Krankheitsbilder, die in verschiedenen Schweregraden auftreten können. Dazu zählen Depressionen, Angststörungen, Alkohol- und Drogenabhängigkeit, bipolare Störungen und Schizophrenie. So unterschiedlich wie diese Erkrankungen, so vielfältig sind deren Ursachen, Präventionsmöglichkeiten und Therapien.

Wie gelingt die Rückkehr?

Wie die Rückkehr von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen in ein Arbeitsverhältnis gelingen kann, berichteten ein Teamleiter und die für das Betriebliche Eingliederungsmanagement zuständige Mitarbeiterin eines in Nürnberg ansässigen Call-Centers mit rund 400 Beschäftigten. Vor allem Offenheit und Transparenz seien entscheidend. „Auch wenn das Thema schwierig ist, muss man immer das Gespräch suchen, sowohl mit den Betroffenen als auch mit deren Team-Kollegen“, betonte der Teamleiter. Er nannte einen weiteren Erfolgsfaktor der Wiedereingliederung: „Die Rahmenbedingungen sollten so weit wie möglich an das individuelle Leistungsvermögen angepasst werden.“ Konkret bedeute das in seinem Call-Center, flexible Pausen nach einem schwierigen Kundengespräch zu ermöglichen oder – je nach Tagesform – mehr Kundenanfragen per E-Mail oder Chat bearbeiten zu lassen, weil schriftliche Kommunikation weniger stresse.

Allerdings bewegen sich Unternehmer bei der Wiedereingliederung von psychisch Erkrankten auf dem schmalen Grat zwischen Verständnis und Rücksichtnahme einerseits und den Anforderungen des betrieblichen Alltags andererseits. Betroffene „in Watte packen“ sei nicht die richtige Strategie, so die Fachleute: Arbeitgeber dürfen und sollen auch Leistung fordern. „Sonst fühlen sich Mitarbeiter nicht ernst genommen“, unterstrich Dr. Renate Schäuble vom Integrationsfachdienst Mittelfranken.

Der Integrationsfachdienst bietet Arbeitgebern und Arbeitsnehmern individuelle Beratung im Themenfeld Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen. Er arbeitet im Auftrag des Integrationsamtes, der Agentur für Arbeit sowie der Rehabilitationsträger. Das Integrationsamt wiederum ist in Bayern in das Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS) eingegliedert, der Landesbehörde für soziale Leistungen im Ressort des Bayerischen Sozialministeriums.

Kordula Schneider ist im Auftrag des Integrationsfachdienstes bei der N-Ergie AG tätig und berät rund um das Thema Inklusion. Sie rät allen Betroffenen und deren Arbeitgebern, sich rechtzeitig Hilfe zu holen: „Je früher man eingreift, desto leichter lassen sich Lösungen finden.“ Aber wie können Kollegen und Vorgesetzte erkennen, dass Mitarbeiter psychisch angeschlagen sind und Unterstützung brauchen?

Laut Expertenmeinung können vor allem folgende Verhaltensweisen Anzeichen von psychischen Belastungen sein: sozialer Rückzug, übermäßige Gereiztheit und Ungeduld, Niedergeschlagenheit über einen längeren Zeitraum, Äußerung von Angstgefühlen und Lebensüberdruss, ein deutliches Abfallen der Leistungskurve sowie hohe Ausfallzeiten. Treten solche Symptome auf, sollten Personalverantwortliche sensibel reagieren und das Gespräch mit den Betroffenen suchen. Leichter empfohlen als getan – denn es verlangt Empathie, Taktgefühl und ein gewisses Maß an Basiswissen über psychische Erkrankungen, um das Thema anzusprechen. Und hier sehen Fachleute wie Prof. Dr. Ulrich Hegerl, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, erhebliche Defizite. Beispielsweise ist es kontraproduktiv, einem Mitarbeiter mit Erschöpfungsdepression zu raten, im Urlaub „mal so richtig auszuspannen“. Häufig fehlt Vorgesetzten und Personalverantwortlichen auch die Kenntnis über die Wege, auf denen Betroffene professionelle Hilfe finden können. Um solche Wissenslücken zu füllen, bietet das ZBFS Schulungen für Arbeitgeber, Betriebs- und Personalräte sowie Schwerbehindertenvertretungen an, zum Beispiel den Kurs „Berufliche Integration: Menschen mit seelischer Erkrankung“.

Dr. Manfred Lütz, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Autor zahlreicher Publikationen zum Thema seelische Gesundheit, hat in einem Interview einen konkreten Rat für Vorgesetzte formuliert, wie sie heikle Gespräche über seelische Erkrankungen am Arbeitsplatz angehen sollen: „Versuchen Sie nicht, den Therapeuten zu spielen, bleiben Sie in der Arbeitgeberrolle! (...) Machen Sie deutlich, was Sie erwarten und was passiert, wenn sich nichts ändert. Machen Sie aber auch deutlich, dass dann, wenn eine behandlungsbedürftige psychische Störung vorliegt und der Mitarbeiter therapeutische Hilfe in Anspruch nimmt, er von Ihnen jede mögliche Unterstützung bekommt.“

Autor/in: 

(aw.)

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 06|2017, Seite 18

 
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