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Die Surfer nicht in den Irrgarten schicken

„Invoice…, Hmmm, schade - eigentlich wollte ich per Nachname oder auf Rechnung bezahlen“. So oder so ähnlich dürfte es etwa der Hälfte aller Besucher des Online-Shops eines bekannten Unternehmens gehen, das Zeitplan-Bücher vertreibt. Nachdem man also über etwa 20 Minuten mühsam alle Modulkomponenten auf den eigenen persönlichen Bedarf zusammengestellt hat, erwartet die virtuellen Kasse den Besucher mit Kreditkartenzahlung oder eben mit „invoice“. Eigentlich ein Traum für den Einkaufenden: Bestellen einfach auf Rechnung, auf „invoice“. Leider können etwa ein Drittel aller Deutschen kein Englisch, ein weiteres Drittel kann es mehr schlecht als recht. Der englische Begriff für „Rechnung“ gehört sicher nicht dazu. Man schließt also potenziell zwei Drittel aller möglichen Besucher und damit Kunden vom mutigen Druck auf einen Button mit unbekannter Beschriftung aus.
Sicherlich nicht mit Absicht, aber bei der Präsentation der Webdesigner vor der Geschäftsleitung hat das moderne, internationale Flair der Begriffe durchaus Eindruck gemacht. Ebenso wie die vielen kleinen oder größeren Einleitungsfilmchen (Flashfilme) auf den ersten Blick oft beeindrucken mögen. Da sieht man also z.B. ein Bild einer Videokamera, die über einen Zeitraum von fast einer Minute an den Rändern mit roten Linien überzogen wird. Wie mit einem Laserstrahl. Da ist es verständlich, wenn durch solche aufwändigen Animationen beim Projektbudget für das begleitende und abschließende Testen der Internet-Seiten nichts oder nur wenig übrig bleibt.
Die Besucher sind meist einfach nur genervt von übertriebenen Selbstdarstellungen der Unternehmen und von optisch überfrachteten Websites, deren Ladezeit trotz schneller Verbindungen zum Geduldsspiel wird. Vor allem dann, wenn man die eigentlichen Informationen, wegen derer man auf die Webseiten gekommen ist, gar nicht findet. Ob sie nun schlicht nicht da sind oder nur vom Designer unbewusst versteckt wurden, ist dann auch gar nicht mehr so wichtig.
Trotzdem fällt der Umkehrschluss oft schwer: Wird das auf den Webseiten meines eigenen Unternehmens möglicherweise von Besuchern auch so empfunden? Aus den vielen Besuchssimulationen, die wir wissenschaftlich oder als Auftragsforschung abwickeln, können wir eine recht eindeutige Antwort geben: Ja. Natürlich ist ein Internet-Auftritt nie wirklich fertig. Natürlich gibt es immer die eine oder andere kleine Macke, die mit einer exotischen Browserversion zu Tage tritt. Natürlich kann es schon mal passieren, dass ein Mitarbeiter unter einer Telefonnummer im Netz steht, die nicht mehr aktuell ist. Darum geht es ja eigentlich gar nicht im Kern. Wie sieht der Besucher meine Website und was erwartet er zu finden? Wo erwartet er es zu finden? Interessiert ihn wirklich der erste Menüpunkt „Wir über uns“ oder „Unsere Philosophie“ so brennend, wie man das selber gerne möchte? Diese Fragen müssten zuerst geklärt werden.
Internet-Seiten sind eine feine Sache. Man kann damit recht kostengünstig allen anderen sagen bzw. schreiben, was man zu sagen hat oder sagen möchte. Man braucht keine großen Programmierkenntnisse und auch keine lange Ausbildung. Die meisten unserer Tester meinen: Leider! Hier liegt wohl das Kernproblem der meisten Firmenauftritte versteckt: Jeder, der Lust hat oder schlimmer, der die Technik beherrscht, kann sich daran versuchen. Und wenn man kritisch auf den Webseiten nachsieht, wird das auch getan. Vor kurzem hat auf einer Konferenz ein Redner scherzhaft gemeint, das durchschnittliche Alter eines Webmasters deutscher Mittelstandsbetriebe liege bei etwa 15 Jahren – er meinte damit Sohn oder Tochter des Inhabers. Aufgrund der umfangreichen Testerfahrung, die wir gemacht haben, befürchte ich ernsthaft, dass dies tatsächlich wahr sein könnte. Über die Hälfte aller Webnutzer hat schon einmal Webseiten erstellt, knapp weiter 40 Prozent würden gerne, wenn sie Gelegenheit und Wissen hätten. Das Erstellen kann in der Tat Spaß machen, das Benutzen durch andere indes meist jedoch nicht. So vermutet zu Recht der amerikanische Guru für das Thema Benutzerfreundlichkeit (Usability), Jacob Nielsen, dass von 100 Internet-Auftritten nur etwa zwei tatsächlich vernünftig benutzbar sind.
Einerseits kann man für aufwändige Internet-Projekte keine enormen Budgets abstellen. Andererseits darf man aber auch nicht vergessen, dass der Webauftritt mittlerweile von Besuchern als mehr angesehen wird, denn als bloße elektronische Visitenkarte des Unternehmens. Hier sagt die Statistik eindeutig, dass vor dem Erstkontakt immer häufiger zuerst zum Browser gegriffen wird, als nach dem Telefon oder Katalogen. Prüfen Sie doch einfach mal, ob Ihre Budgetverteilung noch den modernen, geänderten Anforderungen entspricht.

Prüfung der Benutzbarkeit
Wie lassen sich nun die eigenen Webseiten auf Benutzbarkeit prüfen? Nachfolgend ein paar kleine Hinweise, wie man selbst einfache erste Tests durchführen kann. Setzen Sie nicht nur DAUs („dümmste anzunehmende User“) zum Testen an den Rechner. Wählen Sie auch kritische Personen aus Ihrem Umfeld aus. Halten Sie sich beim Testen im Hintergrund und geben Sie keine „Hilfestellungen“ – auch wenn das schwer fällt. Lassen Sie nie die Webdesigner selber testen. Benutzen Sie auch andere Rechner. Sie werden staunen, wie anders Ihre Seite plötzlich hinsichtlich der Farben auf einem Notebook aussieht (und dass sich Links hier plötzlich gar nicht mehr so gut vom Hintergrund abheben wie vorher). Werfen Sie die Tester zufällig mitten in eine Ihrer Seiten (das passiert durch Suchmaschinen recht oft) und sehen Sie, ob sie sich zurecht finden. Geben Sie konkrete Suchaufgaben und eine Zeit von unter einer Minute vor, um diese Information auf Ihren Seiten zu finden. Letzter Tipp: Lassen Sie sich von den Ergebnissen nicht erschrecken. Denn eine Qualitätskontrolle von Webseiten lohnt sich genauso, wie bei Produkten.
Auch die „mediamit“ am Mittwoch, 31. Oktober 2001 in Nürnberg beschäftigt sich mit dem Thema „Webusability“. Von 10 bis 11 Uhr ist ein Workshop über das Problem der Benutzerfreundlichkeit im Internet vorgesehen. Information zum Thema im Internet.
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 10|2001, Seite 11

 
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