Inszenierte Empörung im Bundesrat, demnächst erstmals ein „TV-Duell“ der Kanzler-Kandidaten und ab August wöchentliche Politbarometer – all dies sind unverkennbare Anzeichen für die Mediatisierung von Politik. Bleiben dabei die Problemlösungen auf der Strecke? WiM fragte Wolfgang Hoffmann-Riem, Professor für öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaft an der Universität Hamburg¸ von 1979 bis 1995 Direktor des renommierten Hans-Bredow-Instituts für Medienforschung, von 1995 bis 1997 Vorsitzender des Rechtsausschusses des Deutschen Bundesrates und seit Dezember 1999 Richter des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe.
Die Medienordnung in Deutschland wurde maßgeblich vom Bundesverfassungsgericht mitgestaltet. Ist der
Spagat zwischen Liberalisierung und Reglementierung gelungen?
Das Grundgesetz schützt die Medienfreiheit und damit auch die Unabhängigkeit der Medien vor dem Staat. Es
fordert aber auch Sicherungen, dass die Medien den Bürgern vielfältige Informationen und Orientierungen im
gesellschaftlichen und politischen Bereich vermitteln. Soweit dies ohne besondere Sicherungen nicht erreicht
wird, ist der Gesetzgeber zur Ausgestaltung der Medienordnung aufgefordert. Das Bundesverfassungsgericht prüft
nur, ob der Gesetzgeber die Mindestvorgaben des Grundgesetzes beachtet. Spagate gehören nicht zum Repertoire des
Gerichts. Im Übrigen: Recht kann die Vielfalt der Medien nur ermöglichen, nicht sichern.
Medien spielen heute eine zentrale Rolle. Leben wir in einer Mediendemokratie?
Die Medien sind die dominanten Faktoren bei der Bildung der öffentlichen Meinung. Auch Politiker wirken auf sie
ein, sind aber auf die Übersetzungsleistung der Medien angewiesen. Diese aber wird in der Praxis vielfach eher
von den Gesetzlichkeiten der Medienökonomie und dem Kampf um Aufmerksamkeit geprägt als von einem Dienst an den
Funktionserfordernissen der Demokratie.
Bleiben Problemlösungen zugunsten von Inszenierungen auf der Strecke?
Immer mehr Prozesse in der modernen Gesellschaft sind mediale, also technisch und soziokulturell vermittelte
Prozesse. Die Strukturen der Mediengesellschaft zwingen Politiker in starke Abhängigkeit von medialen
Darstellungen. Medien aber bevorzugen das Besondere, das Skandalöse und sie personalisieren Probleme und
Problemlösungen. Auch knüpfen sie vielfach an vorhandene Vorurteile an. Der gnadenlose Wettbewerb der
Aufmerksamkeitserzeugung führt häufig zu einer Entleerung an thematischer Relevanz zugunsten der medialen
Verpackung. Politik muss mitspielen, soweit sie für dauerhaften Erfolg auf die Darstellung in der Öffentlichkeit
angewiesen ist – wie vielfach. Sie gerät dann leicht in den Sog populistischer Strategien. Dies erschwert
Problemlösungen. Diese gelingen häufig am ehesten, wenn sie dem Einblick der Öffentlichkeit entzogen sind. Das
aber ist für eine Demokratie problematisch.