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Damoklesschwert über dem produzierenden Gewerbe

Das Weißbuch der EU-Kommission sieht eine komplette Neuordnung der europäischen Chemikalienpolitik vor. Neben der Industrie und den Importeuren sollen nun auch alle professionellen Anwender von Chemikalien in den Genehmigungsprozess mit eingebunden werden.

Der IHK-Ausschuss „Energie und Umwelt“ sieht aus Brüssel erhebliche wirtschaftliche Nachteile auf das gesamte produzierende Gewerbe in Deutschland zukommen. Vor der Umsetzung des Weißbuches zur europäischen Chemikalienpolitik in konkrete Gesetzesvorhaben fordert der Vorsitzende des Ausschusses, Gert Rohrseitz, negative Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Deutschland abzuwenden. Die EU-Kommission plane eine Neuordnung der europäischen Chemikalienstrategie, die zu erheblichen betrieblichen Mehrkosten und folglich zur Verlagerung kompletter Produktionsketten ins Ausland führen könne.


Geplante Neuerungen

Das Weißbuch sieht vor, neben der chemischen Industrie, den Importeuren und den Händlern nun auch alle Produktionszweige, die mit Chemikalien arbeiten, in den Genehmigungsprozess von chemischen Stoffen einzubinden. Während sich die aktuellen Gesetze und Verordnungen schwerpunktmäßig auf die Produzenten und Importeure beziehen, umfasst die neue Chemikalienstrategie die komplette Lieferkette, von der Herstellung bis zur Entsorgung oder Wiederverwertung chemischer Stoffe. Dabei sind die so genannten nachgeschalteten Anwender von Chemikalien, zu denen fast alle Unternehmen des produzierenden Gewerbes gehören, besonders berührt. Da diese Unternehmen bisher nur untergeordnet von den gesetzlichen Regelungen der Chemikaliengesetzgebung betroffen sind, hat ein Großteil das Damoklesschwert überhaupt noch nicht entdeckt.

Ferner sieht das Weißbuch vor, das Beweislastverfahren umzukehren: Während bisher die Behörden Chemikalien auf Grund von vorhandenen Daten gegebenenfalls als Gefahrstoff einstufen und entsprechende Restriktionen bei der Herstellung oder Verwendung erlassen, sollen nun a priori alle Stoffe und deren Verwendungszwecke verboten sein, bis die Hersteller, Importeure oder Verwender durch Risikoanalysen deren Unbedenklichkeit im Sinne sicherer Verwendung nachgewiesen haben.


Folgen für die Wirtschaft

Die Folgen für die Industrie sind zurzeit nicht zu überblicken. Die Wirtschaft befürchtet aber erhebliche Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen. Die wesentlichsten Kritikpunkte: Die Registrierungs- und Bewertungsprozesse der Stoffe und ihrer Verwendungszwecke werden mit immensen Kosten verbunden sein. Das EU-Weißbuch beziffert allein die Prüfkosten für Altstoffe auf 2,1 Mrd. Euro während der ersten elf Jahre nach Einführung des Systems; die Kosten für eine Basisbeschreibung – erforderlich für Mengen zwischen 10 bis 100 Tonnen pro Jahr - werden mit 85 000 Euro angegeben. Schätzungen der Industrie gehen von einem Vielfachen dessen aus. Das Resultat werde eine Verteuerung der in der EU gefertigten Produkte und Zwischenprodukte sein. Die steigenden Preise würden zum Verschwinden von bestimmten Produktionszweigen führen. Insbesondere gefährdet seien Branchen des produzierenden Gewerbes, die schon jetzt mit sehr geringen Gewinnmargen operieren. Bestehende Umweltschutzprobleme würden auf diesem Weg auch keineswegs gelöst, sondern höchstens in den Nicht-EU-Raum verlagert. Die Folge wäre, dass lediglich noch die Endprodukte in die EU importiert würden.
Laut Weißbuch müssen neben den Stoffen nun auch alle Verwendungszwecke registriert werden. Dies bedingt im Vorfeld der Produktion einen aufwändigen und komplexen Informationsfluss durch die Lieferkette, von den professionellen Anwendern über die Händler bis hin zu den Produzenten und Importeuren.


Forderungen des IHK-Ausschusses

Der EU-Kommission sollten, so der IHK-Ausschuss, vor dem Umsetzen des Weißbuches in eine Verordnung die genauen Auswirkungen auf die Wirtschaft bekannt sein. Dazu bedürfe es repräsentativer Daten aus allen betroffenen Branchen: die der chemischen Industrie und der Importeure, aber auch die des Handels und der nachgeschalteten Anwender. Zur Abmilderung der wirtschaftlichen Konsequenzen des Weißbuches erhebt der IHK-Ausschuss folgende Vorschläge:
Gleichbehandlung von in der EU hergestellten Produkten mit Importen. Vor der rechtlichen Einführung der neuen Chemikalienstrategie muss eine internationale Abstimmung und Harmonisierung erfolgen, um möglichen Wettbewerbsverzerrungen entgegenzutreten.

Einführung einer Vor-Registrierungspflicht, um Doppelregistrierungen von Stoffen und von deren Verwendungszwecken zu vermeiden. In der Folge könnten die Kosten durch gemeinsame Anmeldungen geteilt werden.

Beschränkung der Registrierungsinhalte für Stoffe auf wirklich notwendige Daten in Abhängigkeit vom tatsächlichen Risiko.

Vereinfachte Verwaltungsverfahren und geringere Registriergebühren für Unternehmen, die ein Umweltmanagementsystem nach der EG-Öko-Audit-Verordnung (EMAS) eingeführt haben
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 08|2002, Seite 26

 
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