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Bald europaweite Ausschreibungen?

Gegensätzliche Interessen prallten bei der Informationsveranstaltung „Entwicklungstendenzen des ÖPNV-Marktes“ zusammen, die die IHK und die Ernst & Young AG, Nürnberg, organisiert hatten. Aktueller Anlass war die Initiative der Europäischen Union, Verkehrsleistungen im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) ab 2005 europaweit auszuschreiben und damit dem Wettbewerb zu öffnen.

Die Europäische Union will die EU-Verordnung 1191/69, die neben dem Personenbeförderungsgesetz die Ausschreibungen von Linien im öffentlichen Personennahverkehr regelt, weiter öffnen. Die Kommunen, die eigene Verkehrsgesellschaften betrieben, würden durch den Wegfall der Quersubventionierung stark betroffen (d.h. die Defizite der Verkehrsbetriebe dürften nicht aus Gewinnen etwa der kommunalen Energieversorger gedeckt werden), so Rechtsanwalt Arnd Bühner von Ernst & Young.

Sehr skeptisch äußerte sich Ministerialdirigent Dieter Wellner, Leiter der Verkehrsabteilung im Bayerischen Wirtschaftsministerium, über den Vorstoß der EU. Man sei zwar nicht generell gegen eine Öffnung des ÖPNV-Marktes, aber es müsse gewährleistet sein, dass der „sehr effiziente“ Nahverkehr in Bayern mit seinen mittelständischen Strukturen nicht beeinträchtigt werde: „Mittelstandsfeindliche und marktbeherrschende Stellungen einzelner Unternehmen müssen verhindert werden.“ Zudem werde sich die Staatsregierung dafür einsetzen, dass die Wettbewerbsbedingungen für alle Verkehrsunternehmen – seien sie privat oder kommunal, seien es Bus oder Schiene – gleich gestaltet werden.

Noch drastischer kommentierte Karl-Ludwig Wutzer, mittelfränkischer Bezirksvorsitzender des Landesverbandes Bayerischer Omnibusunternehmen e.V. (LBO), die geplante Neuordnung: Der EU-Entwurf opfere mittelständische Verkehrsunternehmen zu Gunsten einer „faktischen Verstaatlichung des ÖPNV“. Das bisher geltende Konzessionsmodell nach dem Personenbeförderungsgesetz habe sich seit vielen Jahren bewährt und entscheidend dazu beigetragen, dass eine „vorbildliche mittelständische Unternehmensstruktur“ gewachsen sei. Die EU-Vorschläge seien nur scheinbar eine Zauberformel, in Wirklichkeit würden sie zur Bildung von Oligopolen, einem Verschwinden des Mittelstandes und geringerer Qualität führen. Erfahrungen aus Großbritannien, Schweden und Frankreich zeigten, dass diese Befürchtungen realistisch seien. Die Umsetzung der EU-Verordnung würde die Chancen des Mittelstandes gegenüber den kommunalen Verkehrsbetrieben sowie gegenüber der Bahn und deren Töchtern erheblich verringern. Der Geschäftsführer der Städtischen Werke Nürnberg, Ewald Woste, entgegnete, die Anbieter in der Region dürften sich nicht in eine Konfliktsituation hinein manövrieren, sonst würden tatsächlich internationale Konzerne gewinnen.

Alexander Freitag, Geschäftsführer des Münchner Verkehrsverbundes, und die Fürther Landrätin Dr. Gabriele Pauli lenkten den Blick auf positive Effekte von Ausschreibungen im ÖPNV: In der Region München sei das Angebot deutlich ausgeweitet worden, wobei Preise gesunken und der Anteil mittelständischer Verkehrsunternehmen gestiegen sei. Landrätin Pauli unterstrich, Ausschreibungen hätten gegenüber dem Konzessionsmodell den Vorteil, dass Bündel von Verbesserungen (z.B. Vertaktung der Fahrpläne, Vereinheitlichung der Linienführung) besser durchzusetzen seien. Im Landkreis Fürth sei beispielsweise die VGN-Linie 115 Großhabersdorf – Roßtal zwar teurer geworden, durch den Einsatz neuer Busse sei aber die Qualität verbessert worden. In anderen Fällen seien Kostensenkungen für den Landkreis und damit für den Steuerzahler erzielt worden.
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 12|2002, Seite 23

 
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