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Wachsende Unterstützung für Al-Qaida in islamischen Ländern

„Mit großer Sorge“ beobachtet der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Dr. August Hanning, dass die Popularität von Terroristenchef Bin Laden bei arabischen Jugendlichen zunimmt. Gründe seien u.a. der ungelöste Palästina-Konflikt sowie der drohende Krieg gegen den Irak. Eine Bedrohung gehe auch von der zunehmenden Entfremdung zwischen westlicher und islamischer Welt aus, die den Terroristen Zulauf verschaffe. Diese wenig optimistischen Erkenntnisse trug Hanning beim 113. „Kammergespräch“ in der IHK vor.

Der internationale, ganz besonders der islamistische Terrorismus, der sich durch grenzüberschreitende „Arbeitsteilung“ und geschickte Tarnung auszeichnet, hat in den letzten Jahren nach Beobachtung des BND deutlich zugenommen. Attackiert werden vorrangig Personen und Objekte mit hohem Symbolwert, angestrebt wird vorrangig eine große psychologische Wirkung. Als „Kommunikationsstrategie der Schwachen“ lässt sich nach Worten Hannings diese Art von Terror beschreiben.

Der politische Islam ist eine etwa 150 Jahre alte Bewegung, die 1928 mit der Gründung der Muslimbruderschaft in Ägypten neuen Schwung erhielt. Die Al-Qaida zeichnet sich im Spektrum der islamistischen Bewegung durch eine Reihe von Besonderheiten aus: Sehr zielgerichtete und langfristige Planung von Attentaten, „Professionalität“ und ausgeprägte Abschottung bei der Vorbereitung von Terrorakten, ausgeklügeltes Kommunikations- und Finanznetz sowie hohe Opferbereitschaft (Hanning: „Jedoch ist nicht jeder Al-Qaida-Terrorist zwingend zum Suizid bereit“). Als Ziele nennt Al-Qaida selbst die Errichtung von Gottesstaaten überall in der islamischen Welt, die Vertreibung der USA und ihrer Verbündeten von den „Heiligen Stätten“ und nicht zuletzt die Absicht, Massenvernichtungswaffen einzusetzen. Die Terroristen sind laut Hanning überzeugt, dass ein hoher Blutzoll die „Feinde“ zum Abzug bewegen wird. Als Vorbilder dienen der Abzug der Amerikaner aus dem Libanon und aus Somalia, der israelische Rückzug aus dem Süd-Libanon und der Sieg über die Sowjetunion in Afghanistan.

Bei der Rekrutierung von Terroristen spielen nach BND-Kenntnissen Moscheen „eine zentrale Rolle“. Auch sei ein ständiger Spendenfluss an das Terror-Netzwerk, das als „Franchise-Unternehmen“ mit vielen autonomen Zellen und vereinzelten Rückverbindungen zur Al-Qaida-Spitze organisiert sei, zu erkennen. Ein „Austrocknen“ des relativ „preisgünstigen“ Terrors durch Zugriffe auf das Vermögen sei kaum möglich, allerdings lieferten Hinweise auf die Finanzierung auch wichtige Erkenntnisse über die Funktionsweise des Netzwerks an sich.

Hanning erklärte, man könne sicher nicht alle Attentate verhindern, „man kann aber viel tun“. So sei die Terror-Allianz seit dem 11. September durchaus erfolgreich gewesen: Die Zerschlagung des Netzwerks in Afghanistan (dort sind nach BND-Schätzungen 70 000 bis 80 000 Moslems aus aller Welt militärisch ausgebildet worden, davon erhielten rund 15 Prozent ein Terror-Training), zahlreiche Festnahmen, das Verbot terroristischer Organisationen sowie eine stark intensivierte internationale Zusammenarbeit könnten positiv vermerkt werden.

Zwar habe Al-Qaida in Afghanistan u.a. in der Schlacht um den Gebirgskomplex Tora Bora schwere Verluste erlitten, doch sei die oberste Führungsebene weitgehend intakt. Eine größere Zahl von Kämpfern habe sich ins Ausland absetzen können und reorganisiere sich derzeit, wobei eine besondere Gefahr von Ländern mit schwacher Zentralgewalt und großer muslimischer Präsenz ausgehe (u.a. Pakistan, Indonesien, südliches Thailand, Jemen).

Besondere Sorge bereite den Sicherheitsbehörden und Geheimdiensten, dass derzeit offenbar wieder schwere Terroranschläge geplant seien. Darauf wiesen eine erhöhte Kommunikation von Verdächtigen sowie die jüngsten Al-Qaida-Botschaften hin. Das Terrornetz stehe angesichts einiger Erfolge der Sicherheitsbehörden unter Handlungsdruck, die Anhänger erwarteten Initiativen. Die jüngsten Ton- und Videobänder der Terroristen zeigten zudem, dass nicht mehr nur die USA und Israel im Visier seien, sondern auch deren Verbündete. So seien Deutschland und Frankreich explizit als mögliche Terrorziele genannt worden. Die Geheimdienste rechnen nach Angaben damit, dass Al-Qaida in Zukunft verstärkt wirtschaftliche Ziele angreifen wird, und dass in einer Art Doppelstrategie sowohl regionale als auch international bedeutsame Ziele attackiert werden.

Hanning zeigte sich davon überzeugt, dass Polizei, Militär und Geheimdienste zwar unverzichtbar zur Terrorbekämpfung sind, das Problem aber dadurch allein nicht gelöst werden kann. Wie IHK-Präsident Hans-Peter Schmidt wies er auf die immensen Probleme in der islamischen Welt hin, die eine schnelle Austrockung des Terrors als unwahrscheinlich erscheinen ließen: Eine entscheidende Rolle komme dem Bildungssystem zu, das zur Entfremdung gegenüber dem Westen wesentlich beitrage. Angesichts der großen wirtschaftlichen und sozialen Probleme sowie des starken Bevölkerungswachstums in der islamischen Welt zeigte sich Hanning „nicht sehr optimistisch“. Eine der größten Herausforderungen für Europa in den nächsten Jahrzehnten werde der große Immigrationsdruck aus den arabischen Ländern sein. Hanning und Schmidt mahnten gleichermaßen einen Dialog zwischen den Kulturen, einen verstärkten wirtschaftlichen Austausch und eine intensive auswärtige Kulturpolitik an, um es nicht zu einem Krieg der Kulturen kommen zu lassen.
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 12|2002, Seite 13

 
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