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Was muss jetzt in Deutschland geschehen?

Seit Jahren warnt Prof. Meinhard Miegel, Leiter des Institus für Wirtschaft und Gesellschaft in Bonn, vor dem Kollaps der Sozialsysteme auf Grund des demographischen Wandels. Vor den Gästen des Siemens Forums bilanzierte er Ende November auf Einladung des Bayerischen Unternehmensverbandes Metall und Elektro (BayME) den aktuellen gesellschaftlichen Zustand. WiM fragte ihn nach seiner aktuellen Analyse und Lösungsvorschlägen.

WiM: Deutschland nach der Wahl – lassen die ersten Weichenstellungen der Politik eine Zukunftsfähigkeit erkennen?
Nur sehr bedingt, denn bisher war der Anfang eher unspezifisch: Es wurde alles Mögliche in der Koalitionsverhandlung in Aussicht gestellt, von dem vieles bereits wieder kassiert worden ist. In der Zwischenzeit sind erst einmal Kommissionen eingesetzt worden, die zunächst die Politik in den nächsten vier Jahren formulieren sollen. Für mich ist ganz unklar, wohin es in den kommenden vier Jahren geht.

WiM: Der Reformbedarf in Deutschland ist aber groß. Wie schlimm ist denn aus Ihrer Sicht der Zustand unserer – wie Sie sagen – „Staatsgesellschaft“?
Der Reformbedarf ist enorm. Wir müssten die sozialen Sicherungssysteme – und zwar alle – umfassend reformieren. Das ist in der Vergangenheit nicht geschehen. Die Anläufe zum Beispiel von Ex-Arbeitsminister Walter Riester in Bezug auf die Rentenversicherung, waren viel zu kurzfristig konzipiert. Das muss alles konsequenter vorangetrieben werden. Deutschland ist heute in einer Situation, in der wir fast auf Stagnation programmiert sind, wenn es uns nicht gelingt, diesen Reformstau in unserer administrativ beherrschten Staatsgesellschaft zu überwinden.

WiM: Sie sehen einen entscheidenden Faktor im demographischen Wandel unserer Gesellschaft. Die Deutschen werden weniger und älter. Was bedeutet das für unser Sozialsystem?
Die Probleme sind hier wirklich sehr, sehr ernst. In der Vergangenheit hatten wir einen Anstieg von reichlich 30 Prozent bei denen, die durch Beiträge Ansprüche in jeglicher Form gegen die sozialen Sicherungssysteme hatten. Dieser Anteil wird sich in den kommenden 30 Jahren aus heutiger Sicht sogar verdoppeln. Reichlich 30 Prozent haben dieses System in die Schwierigkeiten gebracht, die wir heute haben. Jeder kann sich leicht ausmalen, was passiert, wenn sich noch einmal der Anteil der Anspruchsberechtigten verdoppelt – dann kollabieren diese Systeme. Ein solcher Zusammenbruch würde bedeuten, dass die Ansprüche die wir heute haben, nur zum Teil erfüllt werden. Das wäre für viele Menschen eine existenzielle Bedrohung.

WiM: Auf der Flucht vor staatlicher Abgabenlast und Regulierung blüht seit Jahren die Schattenwirtschaft, die den Systemen enorme Beitragsvolumen entzieht. Wie kann dieses Wachstumssegment in den legalen Bereich zurückgeführt werden?
Wir haben in Deutschland 8 bis 10 Millionen Menschen, die regelmäßig schwarz arbeiten. Wenn es gelänge, zumindest ein Teil von dieser Schwarzarbeit wieder in den legalen Bereich zurückzuführen, wäre ein Teil unserer Probleme einfacher zu handhaben. Voraussetzung dafür ist es aber, dass wir zu einem neuen Verhältnis zwischen Arbeits- und Kapitalkosten kommen. Die Arbeit ist – und das ist keine leere Floskel, das ist wirklich Fakt – in Deutschland viel zu teuer. Aber sie ist nicht viel zu teuer, weil die Menschen so viel verdienen würden, sondern weil jeder Arbeitende einen Rentner und einen Kranken und einen Pflegebedürftigen und einen Arbeitslosen mit zu versorgen hat. Das ist nicht zu schaffen.

WiM: Welchen Anteil hat hierbei das Arbeitsmarktkartell?
Das Arbeitsmarktkartell von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften muss aufgelöst werden, wenn wir die Probleme lösen wollen. Wir haben jetzt nur die Wahl, entweder alles wie es ist zu belassen. Dann wird die Arbeitslosenzahl weiter steigen. Oder aber wir brechen das Kartell. Ansätze hierfür gibt es ja bereits. Allerdings nicht weil die Gewerkschaften so lernbereit wären, sondern weil ihnen die Kontrahenten abhanden kommen. Immer mehr Arbeitgeber sind nicht willens, sich diesem Gefüge mit seinen eingeschliffenen Traditionen zu beugen, sondern setzen auf betriebliche Vereinbarungen. Das scheint mir zukunftsweisend.

WiM: Welche Verantwortung müssen vor diesem Veränderungsdruck die Unternehmer wahrnehmen?
Die Unternehmer haben eine wichtige Aufgabe. Sie dürfen sich nicht nur auf ihre Betriebe und Unternehmen konzentrieren. Sie müssen auch Verantwortung für das Gesamtgesellschaftliche tragen. Das war in der Vergangenheit sehr ausgeprägt. In den zurückliegenden 30 Jahren haben sich die Unternehmer weitgehend aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen. Sie müssen jetzt in das öffentliche Leben zurückkehren.
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 12|2002, Seite 18

 
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