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Teil III: „Das große Rasenstück“ (1503)

Vor 500 Jahren malte Albrecht Dürer ein schlichtes Stück Wiese: „Das große Rasenstück“. Niemals zuvor hat ein Künstler solch ein banales Motiv aufgegriffen und so radikal umgesetzt. Mit der Darstellung von Gräsern, Wiesenblumen und Kräutern, einem Aquarell, gerade mal 41 cm x 31,5 cm im Format, hat Nürnbergs weltberühmter Sohn neue Maßstäbe in der Kunstgeschichte geschaffen und einen richtungsweisenden Quantensprung in die Neuzeit erreicht.

Das Bild zählt zu den zutiefst empfundenen, virtuosesten, hypermodernen und herausragenden Schlüsselwerken, ist eine der berühmtesten Naturstudien überhaupt und wird auf Grund seiner grandiosen Qualität von Dürer-Spezialisten wie Fritz Koreny als „ein Wunder botanischer Genauigkeit in Naturgröße“ gerühmt. Fachleute waren in der Lage problemlos die Pflanzenarten des fränkischen Wiesenstücks zu bestimmen: darunter Rispen- und Knäuelgras, Breitwegerich, Ehrenpreis, Schafgarbe, Gänseblümchen und Löwenzahn. Die natürliche, zufällig und lebendig wirkende Anordnung der Halme ist in Wahrheit künstlerisch brillant komponiert und von höchst subtiler Ausführung. Die großzügigere Behandlung des Vordergrundes ist dabei weniger Nachlässigkeit als bewusster Kontrast, der zum stimmigen und lebendigen Gesamteindruck entscheidend beiträgt und für Dürers künstlerische Souveränität spricht. „Das Leben in der Natur gibt zu erkennen die Wahrheit der Ding“ schreibt er in seiner Proportionslehre.

Diese philosophische Grundhaltung ist besonders im Rasenstück spürbar und hebt es über viele Pflanzenstudien heraus, auch in Dürers eigenem Werk. Außergewöhnlich wie er uns dieses Stück Natur aus einer anderen Perspektive betrachten lässt, von einem ungewöhnlich niedrigen Standpunkt aus und uns somit eine bescheidene, respektvolle Haltung vor der Schöpfung vermittelt. Auch dieser Aspekt scheint besonders im 21. Jahrhundert aktueller denn je. Mit dem distanzierten Blick eines beobachtenden Wissenschaftlers präsentiert er dem Betrachter einen Mikrokosmos, einen Ausschnitt, der für das Ganze, das Universum steht und gleichzeitig gelingt es ihm ein Stück „Weltseele“ einzufangen und das Geheimnis des Lebens, des ewigen Kreislaufs von Werden und Vergehen auf geniale Weise zu verdichten.

Autor/in: 
Eva Schickler
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 09|2003, Seite 30

 
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