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Teil VII: Melencolia I (1514) und die Meisterstiche

Albrecht Dürers Meisterstiche gelten in der Kunstgeschichte wie auch in seinem grafischen Gesamtwerk als unübertrefflicher Höhepunkt. So zählen die drei nahezu gleich großen und in etwa zeitgleich entstandenen Kupferstiche „Ritter, Tod und Teufel“ (1513), „Hl. Hieronymus im Gehäus“ (1514) und „Melencolia I“ (1514) zu den absoluten Spitzenleistungen, die zu Ikonen der Renaissance schlechthin wurden.

Die Bezeichnung Meisterstiche rührt einerseits von der unglaublichen Virtuosität, Feinheit und vollendeten Präzision in der Technik wie auch vom höchst anspruchsvollen Niveau der Bildinhalte, deren Bedeutung und mögliche Interpretationen Generationen von Forschern beschäftigt hat und noch beschäftigen wird.

Das rätselhafteste, komplexeste und modernste Bild unter den drei berühmten Stichen ist Melencolia I. Als Melancholie wird seit Aristoteles und der Antike ein geistiger und seelischer Zustand der Schwermut verstanden, mit positiven wie negativen Einflüssen, von dem insbesondere begabte und schöpferische Menschen betroffen sind. Das Genie Albrecht Dürer hat in seiner Melencolia I jedoch das gesamte Wissen seiner Zeit zu einem singulären, universalen „Denkbild“ verdichtet, das laut Klaus-Peter Schuster stellvertretend für eine ganze Epoche steht. In dieser Grafik überwiegen der düstere Charakter und der nachdenkliche, aber auch sehr klare und wache Blick der personifizierten Melancholie. Eine Fülle von Gegenständen, Hund oder Putto, verweisen auf unterschiedliche Stufen des Daseins und Bewusstseins sowie auf verschiedene Bereiche wie das Handwerk, die Künste, die Wissenschaft, die Metaphysik, den Neuplatonismus, die Theologie, die Mathematik und die nach „Maß, Zahl und Gewicht“ geordnete göttliche Schöpfung (magisches Zahlenquadrat, Waage, Sanduhr).Ist doch eine der schwierigsten Fragen der Philosophie seit Platon der Zusammenhang von Zeit und Zahl.

Der Kupferstich, der im Todesjahr von Dürers Mutter entstand, wird ferner als Art symbolisches Selbstbildnis gedeutet. Ja es scheint in alle Richtungen interpretierbar zu sein und vermutlich war dies auch Dürers Intention. Wie das Leben schlechthin, wirft Melencolia I mehr Fragen auf, als dass sie uns Antworten gibt. Die Zeit scheint in diesem Moment des Nachdenkens und des Bewusstseins stillzustehen. Laut Hartmut Böhme ist „Das Blatt die Landschaft eines Denkens, dem die Welt fragwürdig geworden ist“. Im Durchdenken dieser Welt erkennt der Mensch sich als ein Selbst, der trotz Wissen um die eigenen Grenzen das Mögliche schafft.

Autor/in: 
Eva Schickler
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 01|2004, Seite 33

 
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