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Basel II lässt die Kreditgeber genauer hinsehen

Weit reichende Reformen in vielen unterschiedlichen wirtschaftlichen Bereichen lassen eine sachgerechte Bewertung von Liegenschaften aller Art künftig gefragter denn je erscheinen. Dies trifft im besonderen Maße auch für die gewerblich genutzte Immobilie zu. Die Bewertung von Immobilien zur Vorbereitung von Investitionsentscheidungen spielt dabei eine immer gewichtigere Rolle.

Aus der Sicht der Finanzdienstleister
Im Rahmen von Basel II und Rating wird der als Kreditsicherheit dienende Grundbesitz mehr als bisher einer intensiven und wiederholten Wertermittlung unterzogen werden, da Banken und weitere Kreditinstitutsgruppen vor dem Hintergrund der Mindestanforderungen an das Kreditgeschäft (MaK) vermehrt Risikovorsorge betreiben müssen. Insbesondere Gewerbeimmobilien sind hierbei in einem regelmäßigen Zyklus von drei Jahren oder bei einer Preisschwankung von mehr als zehn Prozent pro Jahr neu zu bewerten. Qualifizierte und qualitativ hochwertige Bewertungsleistungen sind heute und künftig ein wichtiger Schlüssel für erfolgreiche Kreditgeschäfte, sie schaffen mehr Transparenz und unterstützen bankinterne Entscheidungsprozesse.

Es stellt sich in diesem Zusammenhang auch immer häufiger die Frage, wer mit der Abarbeitung dieses stark zunehmenden Bewertungsbedarfes betraut werden soll. Sind so genannte In-house-Lösungen vorzusehen oder sind Bewertungen als Outsourcing-Leistungen an externe Sachverständige bzw. Sachverständigengesellschaften zu vergeben? Letzterem wird in jüngster Vergangenheit vermehrt Aufmerksamkeit gewidmet, nicht nur wegen interessanter Kosten-Nutzen-Effekte und klarer Haftungsabgrenzungen, sondern auch angesichts dreier Aufgabenschwerpunkte bei der professionellen Bewertung von Wohn- und Gewerbeimmobilien:

Erstens gilt es immer häufiger, bei bestehenden Kreditengagements die Werthaltigkeit von Objektsicherheiten durch eine Bewertung unter Marktwert- und Verkehrswertgesichtspunkten bzw. unter Beleihungswertgesichtspunkten objektiv zu überprüfen und/oder neu festzustellen und die ermittelten Wertergebnisse schriftlich zu dokumentieren. Bei der Wertermittlung für gewerblich genutzte Grundstücke liegt darüber hinaus auch häufig ein Schwerpunkt der gutachterlichen Bewertungstätigkeit in der Abschätzung möglicher Drittverwendungsfähigkeiten (alternative Nutzungen), sowohl aus gebäudetechnischer wie auch aus wirtschaftlicher Sicht.

Zweitens werden vermehrt standardisierte und laufende Objektbesichtigungen und -begutachtungen im Zuge von kurzfristig erfolgten bzw. bevorstehenden Kreditvergaben, insbesondere auch für Kleindarlehen (50 000 bis 300 000 Euro), vorgesehen. Bei den Besichtigungen der Objekte erfolgt in solchen Fällen eine Plausibilitätsüberprüfung in Bezug auf Markt- und Beleihungsfähigkeit sowie Beleihungswertansatz. Außerdem werden der Bodenwertansatz und die Bautenstände bei Neubauvorhaben überprüft. Die Ergebnisse der Objektbesichtigungen werden dann mit einem individuellen Besichtigungs- bzw. Begutachtungsprotokoll dokumentiert, das immer häufiger gerne auch in digitaler Form abgefordert wird.

Drittens fallen immer wieder auch so genannte Portfolio- bzw. Gruppenbewertungen bei risikobehafteten bzw. notleidenden Kreditengagements für den bankinternen Marktfolgebereich an. In diesen Fällen sind häufig neben so genannten Vorratsgrundstücken auch noch im Bau befindliche Objekte unter Residualwertgesichtspunkten zu begutachten.

Aus der Sicht der Unternehmen
Weitere Veränderungen für die Immobilienbewertung ergeben sich aus der aktuellen Entwicklung der internationalen Rechnungslegung bei Großkonzernen sowie vermehrt auch bei mittleren und kleineren Unternehmen. Kritisch hinterfragt werden zunehmend „stille Reserven“ in den Unternehmensbilanzen. So können Unternehmen aus unterschiedlichen Gründen gezwungen sein, ihren „wahren“ Immobilienwert anzugeben. Insbesondere die ab 2005 europaweit geltenden Konzernbilanzierungsstandards „International Accounting Standards“ (IAS) / International Financial Reporting Standards (IFRS)“ erfordern künftig eine regelmäßige Offenlegung der aktuellen Marktwerte von firmeneigenen Immobilien.

Mit der Möglichkeit, Immobilienwerte nach dem Fair Value Prinzip (= Marktwertmodell) zu berücksichtigen, leiten diese Standards einen Paradigmenwechsel in der Einstellung von Immobilienwerten zu Bilanzierungszwecken ein, sind doch die Unterschiede zwischen Bilanzierungsregelungen von Handelsgesetzbuch (HGB) und IAS-/IFRS bei der Bewertung des Immobilienvermögens im Anlagevermögen besonders groß. Bietet das HGB noch deutlich größere Wahlmöglichkeiten bei der Zugangsbewertung (Erstbewertung) von Immobilien, so kehrt sich dies bei den Bilanzierungsregelungen zur Folgebewertung von Immobilienvermögen deutlich zu Gunsten der IAS-/IFRS- Regelungen um. Hier werden Liegenschaften im Anlagevermögen in betrieblich genutzte Immobilien und Immobilien zur Finanzanlage unterschieden. Verbunden mit dieser Unterteilung sind insbesondere die Regelungen IAS 16 sowie IAS 40 von großer Bedeutung.

Gemäß IAS 16 sind eigengenutzte, zur betrieblichen Geschäftstätigkeit genutzte Immobilien beim erstmaligen Ansatz zu Anschaffungs-/Herstellungskosten zu bilanzieren. Für die Folgebewertung besteht dann ein Wahlrecht zwischen dem Anschaffungs-Kostenmodell (Benchmark-Methode, bei der wie herkömmlich die fortgeschriebenen Anschaffungs-/Herstellungskosten ausgewiesen werden) bzw. dem Fair-Value-Bewertungskonzept (alternativ zulässige Methode), bei dem eine Neubewertung basierend auf dem beizulegenden Zeitwert (Marktwert) erfolgt.

Der IAS 40 -Investment Property- kommt bei nicht selbst genutzten Immobilien, die als reine Finanzinvestition gehalten werden, zur Anwendung. Als Beispiele sind hier Grundstücke zu nennen, die als langfristiges Investment gehalten werden, oder aber Grundstücke, über deren endgültige Verwendung noch nicht entschieden wurde. Kurzum alle Renditeobjekte, die zum Zwecke der laufenden Rendite gehalten werden oder um einen Wertzuwachs zu erzielen. Beim erstmaligen Bilanz-Ansatz kommen auch hier die Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten allerdings jetzt inklusive der Transaktionskosten zum tragen. In der Folgebewertung muss das Unternehmen ebenfalls eine Auswahl zwischen dem Fair-Value-Bewertungskonzept und dem Anschaffungs-Kostenmodell treffen.

Aus der Sicht der Kommunen
Aktuelle Änderungstendenzen bei der Rechnungslegung der öffentlichen Hand lassen eine sachgerechte Bewertung kommunaler Liegenschaften gleichfalls immer wichtiger erscheinen. Tatsache ist, dass viele Kommunalverwaltungen in den kommenden Jahren vor der großen Herausforderung stehen, ihr kameralistisches Haushalts- und Rechnungswesen durch verstärkten Einsatz betriebswirtschaftlicher Instrumente weiterzuentwickeln. Dabei wird dem bisher beschrittenen Weg - die Erweiterung der Kameralistik um eine Kosten- und Leistungsrechnung - die Wahlmöglichkeit gegenübergestellt, die doppelte Buchführung (abgekürzt: Doppik) einzuführen. Im Zuge dieser Umstellung werden Immobilien als größter Vermögensbestandteil innerhalb der Eröffnungsbilanz besonders ins Gewicht fallen.

Spezielle Bewertungsdienstleistungen
Die drei beschriebenen Sichtweisen sollen beispielhaft aufzeigen, dass der Markt in Zukunft qualifizierte, zeitnahe sowie laufende Grundstücksbewertungen verstärkt nachfragen wird. Gesetze, ökonomische Bedürfnisse, aber auch Bedürfnisse im privaten Bereich werden dies begünstigen. Für Sachverständige hat dies weit reichende Folgen. Vermehrt werden Bewertungsdienstleistungen gebraucht, die eine vertiefende Spezialisierung erfordern. Längst ist es nicht mehr nur damit getan, z. B. auf Basis von Buchwerten, Feuerversicherungswerten oder historischen Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten, unter Berücksichtigung von nicht nachvollziehbaren Zu- oder Abschlägen bzw. unter Zuhilfenahme so genannter „üblicher Vervielfältiger-Faktoren“ stichtagsbezogene Verkehrs- oder Marktwerte abzuleiten. Methodenvielfalt und -innovation lautet ein Schlagwort.

Immobilienwert-Experten müssen alle geforderten nationalen wie internationalen Bewertungsmethoden kennen und diese auch anlassorientiert anwenden können. Last but not least müssen ökonomische Sichtweisen, die insbesondere bei gewerblich genutzten Immobilien eine gewichtige Rolle spielen, künftig noch stärker innerhalb einer Bewertung berücksichtigt werden.

Dr. Bernd Rödl, bernd.roedl@roedl.de, Jochen Nagel, jochen.nagel@roedl.de
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 03|2004, Seite 12

 
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