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Gebäude mit Persönlichkeit

Bauwerke, die im Blickfeld der Öffentlichkeit stehen, verkörpern seit alters her zwei wesentliche Eigenschaften: Sie zeigen die gesellschaftliche Bedeutung ihrer Bauherren und sind Spiegel ihrer Weltanschauung. Mittelalterliche Kirchen mit ihren zahlreichen Abbildungen der christlichen Geschichte illustrieren dies ebenso wie die Schlossanlagen von Versailles oder der neue Triumphbogen „Grand Arche“ von Paris. Sie sind untrennbar verbunden mit Persönlichkeiten der Historie. Zahlreiche Unternehmen haben nachfolgend an diese traditionellen Vorbilder angeknüpft und mit ihren Firmensitzen eindrucksvolle Gebäude geschaffen.

Die Weltanschauungen – oder nennen wir es besser die Unternehmensphilosophie, da es sich schon lange nicht mehr um geistliche oder weltliche Fürsten handelt - wurden jedoch zunehmend hinter repräsentative Glasfassaden verbannt. Sie spiegelten wirtschaftliche Größe ohne erkennbaren Inhalt. Als Indiz hierfür mag gelten, dass es niemanden wirklich auffallen würde, wenn man die Signets an den Hochhaustürmen der Frankfurter Bankzentralen beliebig vertauscht.

Aber auch im kleineren Umfang haben diese Entwicklungen Fuß gefasst. Unsere täglichen Einkäufe erledigen wir in Discountern, die sich wie ein Ei dem anderen gleichen und selbst in der Farbauswahl ihrer Firmensignets nahezu identisch sind. Sie sind reduziert auf ihre Funktion ohne einen Zusatznutzen für ihre Kunden zu bieten.

„Wird die Leistung austauschbar – geht die Umsatzrendite gegen Null.“ Diese betriebswirtschaftliche These könnte Ausgangspunkt eines Trends sein, der sich vorzüglich auf dem Automobilsektor beobachten lässt. Einhergehend mit der Schärfung des Markenprofils entstehen an Stelle von imposanten Verwaltungsbauten in Wolfsburg, Ingolstadt und München so genannte Autostädte, die als Auslieferungszentralen funktionieren. Über diese technische Funktion hinaus sind sie gebaute Dynamik, Leistung und Beschleunigung und erzählen die erlebbare Geschichte der „Freude am Fahren“. Sie binden den Kunden wie den Mitarbeiter gleichermaßen emotional an die Marke und lassen ihn das Unternehmen hautnah erleben, um sich mit ihm zu identifizieren.

Diese Verknüpfung von Automobil und Architektur findet ihre Fortsetzung in zahlreichen Werbespots, die das prestigeträchtige Fahrzeug stets in Verbindung mit individueller Architektur zeigen. Diese wiederentdeckte Qualität, die weniger auf die Darstellung wirtschaftlicher Macht als vielmehr auf die Unternehmensphilosophie abzielt, ist nicht an Bauten von Großkonzernen gebunden, sondern lässt sich gerade weil sie die Idee des Unternehmens spiegelt, in jeder möglichen Größe realisieren - vom mittelständischen Unternehmen bis zum Kleinbetrieb.

Auf illustre Art und Weise wird dies z.B. von jungen Friseursalons vorgeführt, die sich vom Wettbewerb abheben, indem sie sich mit geringen Budgets aber guten Ideen in ein Raumschiff, eine italienische Bar oder ein Museum verwandeln.

Wohngebäude können von dieser Qualität auf den ersten Blick nicht profitieren. Man erwartet von ihnen keine erlebbare Geschichte – und wenn, welche sollte das sein bei der Vielzahl ihrer Mieter? Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Aller Orten entwickeln sich „Lofts“ zu stark nachgefragten Immobilien, die sich von der Durchschnittsware Eigentumswohnung vorteilhaft durch ihre Großzügigkeit in Verbindung mit einem historischen Gebäude abheben. Sie erzählen die Geschichte der kreativen Köpfe, von Künstlern, die sich individuelle Räume geschaffen haben, wie z.B. Andy Warhol mit seinen legendären Ateliers, den „Factorys“, in New York. In zahlreichen Großstädten wie München, Frankfurt oder Berlin, aber auch in Nürnberg entstehen neue Loftgebäude mit diesen Qualitäten. Manch andere, auch das muss gesagt werden, sind neu gebaute Lofts, die sich von einer Vier-Zimmer Sozialwohnung nur durch ihre geringfügig größere Raumhöhe unterscheiden.

Geschichten erzählen als Grundlage des Erfolgs: Dies wäre eine mit Sicherheit waghalsige Hypothese, die nicht jederzeit und jederorts einlösbar ist. Wirft man aber stellvertretend einen Blick auf ausgewählte Objekte des amerikanischen Architekten Frank O. Gehry, so könnte dieser Eindruck durchaus entstehen. Das überschaubare Thema eines Büro- und Verwaltungsgebäudes wurde im Düsseldorfer Zollhafen in einer ihm eigenen plastischen Formensprache neu interpretiert. Weit entfernt vom Einerlei der üblichen Glaspaläste hat das Ensemble und mit ihm das ganze Gebiet des Zollhafens profitiert. Es ist durch sein besonderes Ambiente zu einem heiß begehrten Standort für die Werbewirtschaft geworden, die sich in diesen ideenreichen Bauten wiedererkennt.

Thomas Krens, Direktor der Salomon R. Guggenheim Foundation, machte sich ganz in der Tradition seines Hauses dieses gestalterische Potenzial zu Nutze, indem er seinen Museumsneubau in Bilbao von Frank O. Gehry errichten ließ. Der sagenhafte Erfolg bestätigte diese Entscheidung für eines der markantesten Museen unserer Zeit, von dem man behaupten könnte, dass das Gebäude für seinen Inhalt wirbt.

Beiden Beispielen gemeinsam ist eine Qualität, die im positiven Sinn über ihre Kernaufgabe – ertragreich vermietbaren Büroraum bzw. gut belichtete Ausstellungsräume – hinausreicht. Ihre ideenreiche Architektursprache schafft ein vermarktbares Alleinstellungsmerkmal und wirkt wie ein Magnet auf das sie umgebende Stadtquartier. Es zieht eine Vielzahl von Menschen an, die sich mit diesen Gebäuden identifizieren.

Gute Ideen, Kreativität und technisches Know-how sind das Handwerkszeug, das man für diese Architektur braucht. Und genau damit entwickeln gute Architekten für ihre Bauherren Gebäude, die über ihr Raumprogramm und die technischen Anforderungen hinaus Geschichten erzählen und einen zusätzlichen Nutzen für sie schaffen.

Stefan Hering, hering.architekt@t-online.de
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 03|2004, Seite 22

 
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