Mit dem weltberühmten Kupferstich „Adam und Eva“ (1504) hat Albrecht Dürer das historische Motiv
vollkommen neu interpretiert. Das als gottesebenbildliche, ideale Schönheit per mathematischer Konstruktion
gestaltete und höchst selbstbewusst dargestellte Urelternpaar wurde bewusst aus dem bisherigen Zusammenhang
isoliert. Der Nürnberger Weltkünstler hat italienisch-antike Rezeption mit christlicher und humanistischer
Vorstellungswelt zu einer innovativen, zeitgemäßen Aussage verschmolzen. Multikulturell oder interdisziplinär
würde man heute diese Vorgehensweise bezeichnen, die in unserer zunehmend komplexer werdenden Zeit verstärkt
aufgegriffen wird, die Tiefe und gedankliche Durchdringung des universalen Nürnberger Künstlers jedoch nur selten
annähernd erreichen. Mit dem Medium Druckgrafik hat Albrecht Dürer seiner modernen Auffassung auch öffentlich
Nachdruck verliehen und diese populär gemacht. Die Thematik der ersten Menschen eignete sich wie kaum eine andere
als exemplarisches Spiegelbild der Zeit, das zugleich in der Lage war die Vergangenheit wie die Zukunft mit
einzuschließen, also auf Allgemeingültigkeit abzielte. Dürer, der die Dinge immer auf den absoluten Punkt bringen
wollte, war wie sooft frühzeitig auf der Suche nach neuen Wegen. Die Federzeichnung, die sich heute in Paris
befindet und nach 1495 datiert wird, zeigt Adam und Eva zum ersten Mal in der Kunstgeschichte als Liebespaar:
„Ein konkretes Vorbild für diese ungewöhnliche Darstellung Adams und Evas lässt sich jedoch weder südlich
noch nördlich der Alpen finden“ (C. Schoen). Diese gestalterische Idee greift Dürer schließlich 1510 in
einer Zeichnung und einer Holzschnittserie erneut auf.
Eine weitere Version als Gemälde von 1507, heute im Madrider Prado Museum, wurde wie der vorausgehende
Kupferstich weltberühmt und ebenso als höchst innovatives wie repräsentatives Meisterwerk eingeordnet. Es sind
die ersten lebensgroßen Aktdarstellungen in Deutschland. Sie entstanden nach Dürers zweitem Italien-Aufenthalt.
Über den ursprünglichen Kontext wird nach wie vor viel spekuliert, da sich so gut wie keine Informationen
erhalten haben.
Im Vergleich zum Kupferstich verzichtete Dürer auf Detailreichtum und Symbolik zugunsten einer intensiven
Einfachheit, Sinnlichkeit und Konzentration. Adam und Eva wurden als zwei autonome Geschlechter nun auf zwei
Lindenholztafeln getrennt gemalt. Ob Dürer damals schon vom Genter Altar (1432) van Eycks Kenntnis hatte? 1521
sollte er ihn lobend erwähnen. Als mögliche Inspirationsquelle werden unter Kunsthistorikern vielmehr die
Skulpturen Antonio Rizzo in Betracht gezogen, die sich in Venedig an der Arco Foscari befinden. Allerdings hatten
beide Künstler den revolutionären Schritt der Loslösung aus dem Gesamtzusammenhang nicht gewagt. Dürer steigerte
ihn ein weiteres Mal durch die Zweiteilung und die spezifische Komposition. Beide Personen sind etwa gleich groß
und haben unterschiedliche Hauttöne. Noch zwingender als beim Kupferstich stellt das Werk die (bis heute aktuelle
Frage) nach der Differenzierung und Gleichwertigkeit der Geschlechter. Dürers verschiedene, höchst moderne
Interpretationen waren darüber hinaus wesentliche „Initialzündungen“ für die vielfältigen und
massenhaften Sündenfall-Darstellungen im 16. Jahrhundert.