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Teil XV: Betende Hände, 1508

Das hätte sich selbst Dürer vermutlich nicht träumen lassen. Unter allen Dürer-Motiven nehmen die „Betenden Hände“ nach wie vor Platz 1 auf der Popularitäts-Skala ein. Die massenhafte Verbreitung in Privathaushalten scheint sich kontinuierlich fortzusetzen. Ein Blick in die Suchmaschinen des WorldWideWeb bestätigt dies. Bis heute hat Dürers religiöses Urbild nichts an Aktualität verloren. Adaptierte Motive gibt es in allen nur erdenklichen, möglichen bis unmöglichen Variationen, Materialien und Formaten: vom Tattoo bis zur Großskulptur an einer amerikanischen Universität, vom klassischen Relieftäfelchen bis zur originellen Werbekampagne. Die weltweit umfangreichste Sammlung derartiger Objekte gehört übrigens der Albrecht-Dürer-Haus-Stiftung in Nürnberg. Von brotloser Kunst kann in Verbindung mit dieser industriellen Produktion von Dürer´ schen „Devotionalien“ keinesfalls die Rede sein. Wie viele Arbeitsplätze hat Albrecht Dürer eigentlich durch diese eine künstlerische Idee schon geschaffen? Was dem breiten Publikum durchaus beglückende Momente bereitet, scheint Kunsthistorikern und eingefleischten Dürerfans mitunter Bauchschmerzen zu verursachen. Denn während Dürers Pinselzeichnung als einzigartige Ikone und Virtuosenstück gilt, steht die Adaption häufig für das krasse Gegenteil, den Inbegriff des Kitsches.

Im Hinblick auf das Originalbild, datiert 1508, handelt es sich um eine der insgesamt achtzehn Studien, die Nürnbergs berühmter Sohn in brillanter Präzision auf blau grundiertem Papier als Vorbereitung der Mitteltafel des Heller-Altars anfertigte. Ursprünglich befand sich die Studie des Händepaars zusammen mit der eines Apostelkopfes auf einem gemeinsamen Bogen Papier. Karin Wimmer fand in ihrer Doktorarbeit heraus, dass Dürer unter Einsatz eines Spiegels seine eigene linke Hand quasi optisch verdoppelte und so als Modellvorlage für die Darstellung verwenden konnte. Das Ergebnis ein Meisterwerk: Eine Pinselzeichnung von höchst verblüffender, plastischer Wirkung, mit einer durchdachten wie einzigartigen Komposition und von außergewöhnlich beseelter und suggestiver Ausdruckskraft. In der gesamten Kunstgeschichte unübertroffen. Mit dieser vom Kontext des Altarbildes isolierten Darstellung wurden Dürers „Betende Hände“ zum zeitlosen, allgemein gültigen Archetypus, der laut Wimmer selbst in der extremsten Trivialisierung immer noch wiedererkennbar blieb.

Autor/in: 
Eva Schickler
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 09|2004, Seite 34

 
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