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Ballacks Siegtreffer für unterwegs

Schafft das mobile Handy-Fernsehen mit dem medialen Rückenwind der Fußball-EM jetzt den Durchbruch?

Die Technik fürs mobile Fernsehen ist längst reif – doch es fehlt an gut aufbereiteten Inhalten, die große Nachfrage blieb bisher aus. "Blöd wer das verpasst" und "Die Empfehlung des Jahres" war Ende Mai das Titelangebot der Werbebeilage eines großen Elektronikdiscounters überschrieben. Auffällige Pfeile zeigten auf ein Handy der neuesten Generation, das neben den heute üblichen Standards (MP3-Player, Zwei-Megapixel-Digitalkamera) die "Weltneuheit kostenloses Fernsehen mit DVB-T Unterstützung" versprach.

Dieses Angebot des koreanischen Unternehmens LG zur Fußball-EM ist nicht das einzige. Vielfach wird mit Anzeigen und TV-Spots für mobile Endgeräte geworben, die audiovisuelle Inhalte empfangen können. Der Zeitpunkt dieser Maßnahme ist einerseits schlüssig, gleichzeitig aber auch überraschend. Um diesen Widerspruch zu verstehen, muss man die Geschichte des Mobilfernsehens kurz rekapitulieren. "Ronaldinho für unterwegs" und ähnlich lauteten schon vor zwei Jahren vor der Fußball-WM in Deutschland die Schlagzeilen, die den Durchbruch der fernsehtauglichen, tragbaren elektronischen Empfangsgeräte ankündigen sollten. Die Einführung kostspieliger technischer Neuheiten auf dem elektronischen Unterhaltungsmarkt kurz vor einer Fußball-Welt- oder Europameisterschaft hat Tradition. So schaffte 1972 das Farbfernsehen in Deutschland den großen Durchbruch, 2006 kurbelten Ballack, Zidane und Co. den Verkauf von Flachbildschirmen an.

Tatsächlich wurde vor der letzten WM 2006 in Deutschland bereits der Run auf fernsehfähige Handys erwartet, der Sendebetrieb startete dann auch in zunächst fünf deutschen Städten, darunter Nürnberg. Doch der Coup auf dem umkämpften, stagnierenden Handy-Markt, der dringend neue Produkte braucht, um an traumhafte Zuwachsraten der Vergangenheit anzuknüpfen, kam nicht zustande. Dass jetzt ein koreanischer Hersteller die Netzbetreiber T-Mobile, Vodafone und e-plus überzeugt hat, sein Produkt mit der überholten DVB-T-Technologie zu vertreiben, ist eine überraschende Wendung, die nur durch einige Entwicklungen der jüngsten Zeit verstehen ist.

Lange Zeit verzögerte die Politik den Start ins Massengeschäft. Die erforderliche Entscheidung der Frequenzvergabe blieb im föderalen Dschungel der deutschen Medienpolitik stecken. Zudem konkurrierten zwei praktisch gleichwertige Techniken der Übertragung der Signaldaten, DMB und DVB-H, um Anerkennung. Beide nahmen sich im Grunde nichts – Digital Multimedia Broadcast ist eine Weiterentwicklung des digitalen Radiostandards DAB; Digital Video Broadcasting-Handheld steht dagegen für die verbesserte Form des digitalen terrestrischen TV-Empfangs – also jener DVB-T-Technik, derer sich nun die Koreaner bei ihrer Marktoffensive in Deutschland bedienen.

Noch im Oktober letzten Jahres forderte Bayerns Medienminister Eberhard Sinner zwar "neue attraktive Angebote für das innovative Medium Handy-TV". Gleichzeitig lehnte er aber eine Festlegung auf eine Übertragungstechnik ab. "Die bestehenden Standards, insbesondere DMB und DVB-H sollen gleiche Entwicklungschancen haben", formulierte Sinner. Mitte März 2008 griff die EU-Kommission entscheidend ein und empfahl ihren Mitgliedsländern, DVB-H anderen Technologien vorzuziehen. Die Entscheidung sei "notwendig, um endlich das Handy-Fernsehen voranzubringen", lautete die lapidare Begründung. Bei der Vergabe der DVB-H-Lizenzen entschieden sich die zuständigen Landesmedienanstalten gegen die Bietergemeinschaft der Netzbetreiber Vodafone, T-Mobile und O2. Den Zuschlag erhielt das Joint-Venture Mobile 3.0, unter diesem Namen haben sich die Provider MFD und Neva Media zusammengeschlossen. Hinter diesen Unternehmen stehen große Medienkonzerne wie Burda und Holtzbrinck, doch im Konsortium fehlen die großen Netzbetreiber.

In diese Lücke drängte nun LG mit seinem neuesten Handy-Modell, das bundesweit 30 kostenlose Programme empfängt. Damit ist ein weiteres Erfolgskriterium erfüllt, denn speziell der deutsche Nutzer ist mit guten kostenlosen TV-Programmen verwöhnt und zeigt wenig Bereitschaft, für ein zusätzliches Angebot Gebühren zu zahlen. Ein Manko hat jedoch die Offensive: Die Inhalte werden eins zu eins vom Fernsehen aufs Handy übertragen – es fehlt an geeigneten, speziell aufbereiteten Formaten. Experten wie der Duisburger Telekommunikationswirtschafts-Professor Torsten Gerpott zweifeln deshalb am großen geschäftlichen Siegeszug. Den "erwarteten Milliardenmarkt", so Gerpott im "Manager-Magazin", "wird es nicht geben." Oder müssen die öffentlich-rechtlichen Sender vorangehen? Denn der Entwurf für den neuen Rundfunkstaatsvertrag der Länder, über den in Kürze entschieden wird, sieht vor, dass ARD und ZDF den Auftrag für den Aufbau eines Handy-TV erhalten. Über welche Übertragungstechnik die Sendungen verbreitet werden sollen, ist auch hier noch nicht festgelegt.

Autor/in: 
Peter Budig
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 06|2008, Seite 30

 
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