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WiM-Interview mit Dr. Ulrich Maly

"Wir sind auf der Europäischen Wetterkarte"

Zum Abschluss der WiM-Serie "Metropolregion kompakt" hat der Ratsvorsitzende, Nürnbergs Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly, das Wort: Vier Jahre Europäische Metropolregion Nürnberg und ein Blick in die Zukunft.

Am 28. April 2005 herrschte Aufbruchstimmung in der Region. Damals hat die deutsche Ministerkonferenz für Raumordnung den Großraum Nürnberg in den Rang einer "Europäischen Metropolregion" erhoben. Wie ist die Situation heute, vier Jahre später?
Ich denke, wir sind in den vergangenen Jahren weiter zusammengewachsen und wir haben mit konkreten Projekten zeigen können, dass die Metropolregion Nürnberg handlungsfähig ist und einen Mehrwert für die Region erzeugt. Und dieser Entwicklungsprozess ist rasant vonstatten gegangen, bedenkt man die Ausgangssituation und die Größe der Metropolregion.

Heute arbeiten in den Gremien der Metropolregion insgesamt rund 300 Unternehmer, Kulturvertreter, Touristiker, Wissenschaftler und Marketingfachleute aus der gesamten Metropolregion zusammen. Schon die Zusammenarbeit all dieser Persönlichkeiten steht für eine neue Qualität regionaler Vernetzung. Im Rat der Metropolregion kommen zwei Mal jährlich rund 50 Oberbürgermeister, Landräte und Bürgermeister zusammen, die natürlich auch in überregionalen Gremien die gemeinsamen Interessen besser vertreten können. Wer hätte vorhersagen können, dass das Forum Wissenschaft – gegründet in Zeiten der Exzellenzinitiative und hohen Konkurrenzdrucks – so schnell und erfolgreich einen jährlichen Wissenschaftstag der Metropolregion auf die Beine stellen würde? Tourismusbörsen, Messeauftritte und gemeinsame Stellungnahmen zu politischen Planungen auf Bundes- und europäischer Ebene sind schon fast zur Routine geworden. Für den Erfolg verantwortlich ist meines Erachtens ganz wesentlich auch das Prinzip der dezentralen Verantwortung: die Forumsarbeit unterstützen Geschäftsstellen in den Städten Fürth, Erlangen, Bamberg und Nürnberg.

Gilt das auch für das Verhältnis von Stadt und Land?
Für mich ist bemerkenswert, wie stark sich die "Kohäsionskraft" in der Metropolregion Nürnberg in den vergangenen Jahren weiterentwickelt hat. Ich meine, dass der bestehende Umgriff der Metropolregion Bestand haben wird. Hier spielt sicherlich die starke Gewichtung ländlicher Räume bei der politischen Willensbildung im Rat der Metropolregion eine große Rolle. Die Stadt-Land-Partnerschaft in unserer Region gilt bundesweit als exemplarisch. Im Rahmen eines MORO-Projektes (Modellprojekt der Bundesraumordnung) werden wir durch das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung finanziell unterstützt.

Was bringt die EMN für die Region konkret?
Lassen Sie mich mit den Bürgerinnen und Bürgern in der Metropolregion Nürnberg beginnen. In seiner Jahreskonferenz berichtet der Verkehrsverbund Großraum Nürnberg (VGN), dass er sich mittelfristig zum flächenmäßig zweitgrößten Verkehrsverbund nach Rhein-Main entwickeln will und damit der Umgriff im wesentlichen dem der Metropolregion Nürnberg entsprechen wird. Dies wird für den Bürger bedeuten, dass man umweltfreundlich und unkompliziert per Streifenkarte von Kitzingen bis an die tschechische Grenze und von Coburg bis Weißenburg-Gunzenhausen unterwegs sein kann. Diese Erweiterungsdynamik ist wesentlich durch die Metropolregion entstanden. Weit fortgeschritten sind auch die Vorbereitungen für den "Entdecker-Pass". Diese All-Inclusive-Karte mit Rabatten für bestimmte Freizeit- und Kulturangebote in der EMN lädt die Bürger auf eine Entdeckungsreise in die Region ein. Damit lässt sich "Fernweh ganz nah" stillen, so der Slogan zur Stärkung des Binnentourismus in der Metropolregion. Der "Entdecker-Pass" soll ab Oktober 2009 verkauft werden.

Oder nehmen Sie die Regionalkampagne "Original Regional aus der Metropolregion". Wir haben eine Fülle von regionalen Spezialitäten und Produkten, die frisch und qualitativ hochwertig sind. Für ihre Herstellung werden überwiegend regionale Rohstoffe verwendet und sie tragen aufgrund kurzer Transportwege zum Klimaschutz bei. Durch Plakataktionen, Präsentationen und Messeauftritte will die Regionalkampagne der Metropolregion das Bewusstsein unserer Bürgerinnen und Bürger für diese regionalen Schätze stärken und sie natürlich am Ende auch zu überzeugten Käufern dieser Produkte machen. Dadurch werden Wertschöpfung und Arbeitsplätze in der Region gehalten.

Wir wollen auf die Radarschirme der Entscheider! Das ist ganz knapp formuliert die wirtschaftliche Kernzielsetzungen der Metropolregion. Das Prädikat "Europäische Metropolregion" ist unsere Eintrittskarte in die "Champions League". Es mobilisiert und bündelt die Kräfte in der Region und macht damit ein schlagkräftiges Lobbying möglich. Dabei kann es um den Ausbau von Hochschuleinrichtungen und Forschungsinfrastruktur gehen, oder auch um die Einflussnahme auf Entscheidungen zur Verkehrsinfrastruktur. Oder denken Sie an das Entwicklungsleitbild, das unter Federführung der IHK Nürnberg erarbeitet wird. Damit einigt sich die Region auf die wirtschaftlich-technologischen Kompetenzen, auf die sie für die Zukunft setzen will. Mit dem Entwicklungsleitbild lässt sich überzeugend für Investitionen und Fördermittel für "Medizin und Pharma" oder "Energie und Umwelt" in Berlin und Brüssel werben. Metropolregion ist so verstanden eine Art Fitness-Programm, um unseren Raum für den internationalen Wettbewerb fit zu halten und davon profitieren natürlich zu allererst die Unternehmen.

Wodurch setzt sich die EMN von den anderen Metropolregionen in Deutschland ab?
In der Tat sind die elf deutschen Metropolregionen sehr unterschiedlich: Frankfurt am Main als internationaler Bankenstandort, Berlin als Bundeshauptstadt, Hamburg als Medienstandort usw. In diesem Reigen profiliert sich die Metropolregion Nürnberg am klarsten durch ihre Gateway-Funktion. Die geozentrale Lage im erweiterten Europa und eine gute Infrastruktur und Einbindung in die europäischen und internationalen Verkehrsnetze beschreiben eine zentrale Funktion, die die Metropolregion Nürnberg in der globalen Wirtschaft einnimmt. Vor kurzem wurden uns die überragenden Potenziale der Metropolregion als Logistik-Region durch ein Fach-Gutachten bestätigt. Der Hafen Nürnberg-Roth mit seinem trimodalen Güterverkehrszentrum entwickelt sich rasant und macht die Region zu einem wichtigen Verteilerknoten des Weltgüterverkehrs. Zur Gateway-Funktion gehört natürlich die NürnbergMesse. Sie zählt zu den Top Ten Messestandorten in Europa und weist einen überdurchschnittlich hohen Anteil internationaler Messen auf. Auch hier stehen alle Signale auf erfolgreiche Expansion.

Neben dieser wirtschaftlichen Betrachtung ist es sicherlich die ausgezeichnete Lebensqualität, die unsere Region charakterisiert. Wir genießen alle Vorteile, die die großen Ballungsräume bieten, ohne aber mit ihren üblichen Nachteilen zurecht kommen zu müssen. Aufgrund unserer polyzentralen Raumstruktur und starken Zentren und Entwicklungsachsen auch außerhalb der Städteachse Nürnberg-Fürth-Erlangen ist die Umweltqualität hoch und die Mobilität gut. Die Lebenshaltungskosten sind noch immer bezahlbar. Der Arbeitsmarkt bietet interessante Jobs und Entwicklungsmöglichkeiten. Eine Vielfalt von 18 Hochschulen und eine gut entwickelte Bildungs- und Ausbildungslandschaft macht uns zukunftsfähig. Beim Freizeit- und Kulturangebot sind wir mit elf Naturparks, einer reichen Bäderlandschaft und einer Fülle von Museen und historischen Denkmälern gesegnet.

Wie hat sich die Außenwirkung der EMN in den vergangenen Jahren entwickelt?
Ich denke, wir nutzen das Prädikat "Europäische Metropolregion" selbstverständlicher und unaufgeregter als noch vor vier Jahren. Wir haben ein gesundes metropolregionales Selbstbewusstsein entwickelt. Denken Sie etwa an gemeinsame Messeauftritte wie die MIPIM oder die Expo Real unter dem Dach der Metropolregion, dann wird klar, wie selbstverständlich wir uns insbesondere nach außen mit der Visitenkarte Metropolregion Nürnberg präsentieren. Ich selbst nenne ohne Zaudern neben unseren Nürnberger Attraktionen die Bayreuther Wagner-Festspiele, die Würzburger Residenz und die UNESCO-Weltkulturerbestätte Bamberg, wenn man mich auf internationalem Parkett nach den Glanzlichtern meiner Heimat fragt.

Wir sind auf der europäischen "Wetterkarte". Auch das ist ein Unterschied zu 2005. Die EU-Kommissarin für Regionalpolitik Danuta Hübner hat uns bei ihrem Auftritt auf dem Wissenschaftstag der Metropolregion in Bayreuth zum Modell für Europa gekürt. Das Forum Wirtschaft und Infrastruktur hat sehr zielgerichtet Kontakte zur Europäischen Kommission aufgebaut. Bei den diesjährigen Open Days der Städte und Regionen in Brüssel im Oktober werden wir gemeinsam mit der bayerischen Europaministerin Emilia Müller und unseren METREX-Partnern in der bayerischen Landesvertretung die europäische Meinungsbildung mitgestalten.

Wie sieht die Zukunft der EMN aus?
"Heimat für Kreative" bringt auf den Punkt, wohin sich die Metropolregion Nürnberg bis 2020 entwickeln möchte. Damit möchten wir eine strategische Fokussierung erreichen. Die Foren werden unter dieser Überschrift Leitprojekte auszeichnen und ihre Schwerpunktthemen setzen. Ein veritables Strategiemodell wird unsere gut eingeübte "Kultur der Spontanität" in den Gremien der Metropolregion flankieren.

Natürlich müssen wir bei unserer Vision "Heimat für Kreative" auf vorhandene Stärken aufsetzen. Beim Thema Heimat sind wir stark, weil die Metropolregion polyzentral strukturiert ist und seit ihrer Gründung ländlichen Räumen ein großes Gewicht beigemessen wird. Eine unserer unbestrittenen Standortqualitäten ist die hohe Lebensqualität und die Verwurzelung unserer Region in Tradition und Geschichte. Und diese Wurzeln reichen in ländlichen Räumen traditionell tiefer als in den großen Städten, was man sicher als ein Mehr an Heimat verstehen kann. "Original Regional" wird deshalb auch in Zukunft wichtig bleiben.

Eine weitere Aufgabe wird es sein, die Arten der Kreativität aufzudecken und zu entwickeln, die unsere Region auszeichnen und die zukunftsfähig und nachhaltig sind. So ist eine Studie zur Kreativ- und Kulturwirtschaft in der Metropolregion in Vorbereitung, die genau diesen Fragen nachgeht. "Fingerspitzen-Technologie" war Titel einer der letzten Anzeigen der Metropolregion in der Süddeutschen Zeitung. Die Anzeige verwies darauf, dass einige der weltbesten Instrumentenbauer in unserer Region arbeiten. Die regionale Musikwirtschaft ist übrigens dabei, sich ein "Original Regional aus der Metropolregion"-Label zur Stärkung ihrer Position gerade auf den internationalen Märkten aufzubauen. Dass die Menschen in unserer Region kreativ sind, zeigt der vierte Platz bei den Patentanmeldungen in Deutschland. Der weit überwiegende Teil der Patentanmeldungen kommt übrigens aus der Wirtschaft. Und hier sind es nicht nur die großen Unternehmen, sondern auch unsere typischen Mittelständler, die hohe Innovationskraft zeigen.

Eine der großen Herausforderungen der Zukunft liegt meines Erachtens in der Toleranz. Der amerikanische Wissenschaftler Richard Florida hat mit Technologie, Talente und Toleranz aus meiner Sicht treffend die drei Faktoren benannt, die für die Zukunftsfähigkeit von Städten und Regionen wichtig sind. Ohne Toleranz gegenüber anderen Kulturen, Religionen und Weltanschauungen wird es schwer, mit der immer stärkeren kulturellen Durchmischung unserer Gesellschaften umzugehen.

Ich würde mich freuen, wenn sich die Bürger in der Metropolregion in der Zukunft noch stärker als Europäer und Weltenbürger definieren würden. Dies gilt auch ganz besonders für die Nürnberger, die schon im Mittelalter mit der ganzen Welt Handel getrieben haben.

Externer Kontakt: Das Interview führten Kurt Hesse und Jeanette Witt.
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 04|2009, Seite 10

 
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