Telefon: +49 911 1335-1335

Interview

Ist Vollbeschäftigung möglich?

Die Arbeitslosenzahlen sind so niedrig wie seit 1992 nicht mehr, und selbst das Wort Vollbeschäftigung kehrt wieder in die öffentliche Diskussion zurück. Über die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt sprach WiM mit Joachim Möller, dem Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).

Im Oktober und November hatten wir weniger als drei Millionen Arbeitslose. Wird sich die positive Entwicklung am Arbeitsmarkt fortsetzen?

Im Winter wird die Arbeitslosigkeit zwar saisonal bedingt wieder steigen, aber generell kann man klar sagen: Die Aussichten sind gut. Der deutsche Arbeitsmarkt hat die Weltwirtschaftskrise viel besser überstanden, als alle Experten erwartet haben. Nach den Erfahrungen früherer Krisen hätte es 1,5 bis 1,8 Millionen Arbeitslose mehr gegeben. Durch Kurzarbeit, Abbau von Guthaben auf den Gleitzeitkonten, betriebliche Bündnisse für Beschäftigungssicherung und andere Maßnahmen wurden diese Jobs gerettet. Seit Mitte 2010 haben wir wieder das Vorkrisenniveau am Arbeitsmarkt erreicht. Und für das nächste Jahr erwarten wir einen weiteren Rückgang der Arbeitslosigkeit. Im Jahresdurchschnitt 2011 werden wir dann unter drei Millionen Arbeitslose haben, rund 300 000 weniger als dieses Jahr.

Können Sie das Jobwunder erklären?

Das deutsche Jobwunder lässt sich durchaus erklären. Die Krise traf vor allem die wirtschaftlich starken Unternehmen im Exportbereich. Sie hatten in den Jahren vor der Krise gut verdient und verfügten daher oft über ein finanzielles Polster. Vor allem aber: Es waren dieselben Betriebe, die vor der Krise Probleme bei der Rekrutierung von Fachkräften hatten. Sie wussten, wie schwierig es sein kann, gute Leute zu finden. Daher wollten sie ihre Fachkräfte halten, und sie waren dazu auch finanziell in der Lage. Die Politik hat mit der Förderung der Kurzarbeit das ihre dazu getan, und die Beschäftigten und ihre Vertreter haben sich ebenfalls flexibel gezeigt und Opfer gebracht. In der Summe hat sich das für alle Beteiligten gelohnt.

Wie stehen die Chancen von jungen Leuten auf dem Arbeitsmarkt?

Die Aussichten sind deutlich besser als in den vergangenen Jahren, unter einer Bedingung: eine gute Qualifikation. Die Nachfrage der Unternehmen nach qualifizierten Arbeitskräften wird in der Tendenz eher zunehmen. Auf der anderen Seite nimmt die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter ab, demnächst sogar um mehrere Hunderttausend pro Jahr.

Bedeutet das auch, dass wir mehr Zuwanderung brauchen?

Lange kamen vor allem Menschen nach Deutschland, die unterdurchschnittlich qualifiziert waren. Es wäre aber nötig, dass mehr Hochqualifizierte kommen. Wir brauchen daher ein Punktesystem oder ein ähnliches Verfahren, dass Menschen wegen ihrer Qualifikation und nicht aufgrund ihrer Herkunft ins Land lässt. Dabei sollten wir nicht glauben, dass das alle Fachkräfte-Probleme lösen könnte. Asiaten zum Beispiel schauen eher in die USA. Und auch die jungen Osteuropäer sprechen mehr Englisch als Deutsch.

Bundeswirtschaftsminister Brüderle sieht uns bereits auf der Schnellstraße zur Vollbeschäftigung. Teilen Sie seine Einschätzung?

Nur wenn die jungen Menschen hierzulande besser qualifiziert werden, in den Betrieben mehr für die Weiterbildung getan und die Arbeitsmarktpolitik nicht kaputtgespart wird. Für Fortbildungen und Umschulungen beispielsweise muss Geld in die Hand genommen werden. Vollbeschäftigung ist kein Selbstläufer. Wenn Wirtschaft und Gesellschaft nicht deutlich mehr als bisher in Bildung investieren, wird es zu einem Fachkräftemangel bei immer noch hoher Arbeitslosigkeit kommen.

Aber Sie halten Vollbeschäftigung für möglich?

In manchen Regionen Süddeutschlands liegt die Arbeitslosenquote bereits jetzt unter drei Prozent. Da kann man bereits von Vollbeschäftigung sprechen. Das wird zukünftig in immer mehr Gebieten so sein. Derzeit haben wir aber auch noch viele Regionen mit zweistelligen Arbeitslosenquoten – und das nicht nur im Osten Deutschlands. In Bremerhaven oder Teilen des Ruhrgebiets ist die Arbeitslosigkeit höher als in vielen Gebieten Thüringens. Es bleibt also noch viel zu tun.

Wenn wir alles richtig machen würden – wann könnten wir dann bundesweit Vollbeschäftigung erreichen?

Wenn wir genug für die Bildung und im Bereich Arbeitsmarktpolitik tun, dann könnten wir in zehn Jahren durchaus Vollbeschäftigung haben.

Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
Das zur Bundesagentur für Arbeit gehörende Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) wurde 1967 gegründet. Der Gesetzgeber gab dem Institut den Auftrag, Arbeitsmarktforschung zu betreiben, um so den Arbeitsmarkt besser verstehen und Problemlösungen entwickeln zu können. Das IAB untersucht beispielsweise arbeitsmarktpolitische Maßnahmen wie Weiterbildung oder Ein-Euro-Jobs auf ihre Wirksamkeit, erstellt Arbeitsmarkt-Prognosen sowie internationale und regionale Vergleiche. Forschungs- und Publikationsfreiheit garantieren, dass unabhängiger und damit auch kritischer Rat erteilt werden kann.

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 12|2010, Seite 20

 
Device Index

Alle Ansprechpartner/innen auf einen Blick