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Familienfreundlichkeit

Ein Stückchen mehr Zeit

Wer als Arbeitgeber bei Fachkräften punkten will, muss intelligente Teilzeitmodelle anbieten – und zwar nicht nur für Frauen. Von Andrea Wiedemann, Illustration: Anton Atzenhofer

Unternehmen, die an der üblichen Alternative Vormittagsjob oder starre Vollzeit festhalten, werden schmerzhafte Wettbewerbsnachteile in Kauf nehmen müssen.“ Diese Ansage von Familienministerin Kristina Schröder zum Auftakt der Initiative „Familienbewusste Arbeitszeiten“ lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Die im Oktober gemeinsam mit dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) gestartete Kampagne soll Anregungen für flexiblere und damit familienfreundlichere Arbeitszeitmodelle geben. Denn die Standard-Lösungen – entweder der klassische Halbtagsjob oder Vollzeit – gehen an den Wünschen der meisten Eltern vorbei.

Diese Botschaft ist bei zahlreichen Unternehmen im Großraum Nürnberg längst angekommen. Seit 2003 gibt es die „Initiative familienbewusste Personalpolitik in der Metropolregion Nürnberg“, die von der IHK initiiert wurde. Für Renate Doeblin, Geschäftsführerin des IHK-Gremiums Erlangen, signalisieren solche Aktivitäten ein Umdenken: „Hier macht sich der Generationenwechsel in den Betrieben bemerkbar, Väter wollen mehr Zeit mit ihrem Nachwuchs verbringen, Mütter wollen beides, Kind und Karriere. Darauf muss sich die Personalpolitik der Unternehmen einstellen“, betont Doeblin, die für die IHK Nürnberg die Initiative „Familienbewusste Personalpolitik“ betreut. Deren Arbeit versteht sie auch als Beitrag zur Standortsicherung, denn die Attraktivität einer Region für qualifizierte Mitarbeiter wird nicht zuletzt von der Familienfreundlichkeit der Wirtschaft bestimmt.

Immerhin ist für 90 Prozent der Eltern Familienfreundlichkeit bei der Wahl des Arbeitgebers mindestens genauso wichtig wie das Gehalt. Dieses Ergebnis einer GfK-Studie kann Susanne Lang nur unterstreichen. Die Geschäftsführerin der Mekra Lang GmbH & Co. KG erlebt in Vorstellungsgesprächen immer wieder, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie einen hohen Stellenwert einnimmt: „Viele suchen sich unsere Unternehmen deshalb gezielt aus.“ Der weltweit führende Hersteller von Sichtsystemen für Nutzfahrzeuge zählt bei der betrieblichen Kinderbetreuung zu den „Leuchttürmen“ der Metropolregion. In Ergersheim (Landkreis Neustadt-Bad Windsheim), wo Verwaltung, Entwicklung und Produktion des international agierenden Familienunternehmens ansässig sind, wurde für den Nachwuchs der rund 1 000 Mitarbeiter eine Tagesstätte auf dem Werksgelände eingerichtet. Dort werden Kinder zwischen sechs Monaten und zwölf Jahren nach den Prinzipien der Montessori-Pädagogik betreut. Seit September 2010 gibt es sogar eine private Montessori-Grundschule bei Mekra Lang; im Moment werden in dieser Ganztagsschule 15 Kinder in einer altersgemischten Klasse unterrichtet, nächstes Schuljahr soll eine zweite Klasse dazu kommen. „Wir sind überzeugt, dass nur ein Ganztagesangebot, das auch die Ferien mit einschließt, eine echte Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglicht“, ist Susanne Lang überzeugt.

Hartnäckige Vorurteile

Diese Aussage würde Sabine Korn-Dörfler sofort unterschreiben. Über Klischees von den „Teilzeitmuttis, die mehr zuhause bei ihren kranken Kindern sind als im Büro“ kann sie nur den Kopf schütteln. „Schade, dass sich solche Vorurteile hartnäckig halten. Die Arbeitgeber vergeben dadurch eine große Chance, qualifiziertes Personal zu finden.“ Mit ihrem Mann leitet Korn-Dörfler die NetQuest GmbH, die IT-Consulting und Training bietet. In dem Unternehmen aus Oberreichenbach (Landkreis Erlangen-Höchstadt) sind sieben festangestellte Mitarbeiter tätig, fünf von ihnen in Teilzeit. Als NetQuest expandierte, stand die Entscheidung an, „Multitasker“ in Vollzeit einzustellen, die mehrere Fachgebiete abdecken können, oder sich über Teilzeitstellen das Know-how von Spezialisten zu sichern. „Wir haben uns für die letzte Option entschieden, und es war eine Win-win-Situation für alle Beteiligten“, erklärt Sabine Korn-Dörfler. Fachfrauen für Training, Marketing und Vertrieb bringen das Unternehmen voran – und arbeiten dabei in ganz individuellen Teilzeit-Lösungen. Das Argument, dass der Koordinationsaufwand für solche Modelle zu hoch sei, lässt Korn-Dörfler nicht gelten: „Gerade in kleinen Firmen ist es viel einfacher, sich untereinander abzustimmen.“

Freiraum für Kinder und Pflege

Bei der Nürnberger Datev eG arbeiten derzeit 20 Prozent der rund 6 000 Mitarbeiter Teilzeit – und zwar in den unterschiedlichsten Variationen. Unterstützung bei der Betreuung von Kindern oder pflegebedürftiger Angehöriger sollen den Mitarbeitern helfen, Beruf und Familie besser zu vereinbaren. Für diese Angebote ist der IT-Dienstleister für Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte 2010 bereits zum dritten Mal mit dem Zertifikat „audit berufundfamilie“ ausgezeichnet worden. Dieses Gütesiegel bekommen nur Unternehmen, die sich nachhaltig um familienbewusste Personalpolitik bemühen. Datev-Personalchef Jochen Kurz betont, dass der Ausgleich zwischen Arbeits- und Privatleben für die Mitarbeiter einen hohen Stellenwert einnimmt.

Die Datev reagiert so frühzeitig auf ein Problem, das künftig vielen Unternehmen zu schaffen machen wird: Bereits 2015 droht eine Arbeitskräftelücke von mehr als drei Mio. Menschen, die sich bis 2030 auf fünf Mio. vergrößern könnte. Renate Doeblin betrachtet das Angebot flexibler Arbeitszeiten ebenfalls als eine entscheidende Waffe im Kampf gegen den Fachkräftemangel. Und zwar nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer, die sich stärker in der Familie oder in einem Ehrenamt engagieren wollen, oder für Menschen, die wegen gesundheitlicher Einschränkungen nur noch 30 Stunden pro Woche arbeiten wollen. Voraussetzung für tragfähige Arbeitszeitmodelle unterhalb der 40-Stunden-Schwelle ist allerdings der Abschied von der „Präsenzkultur“. Noch immer setzen viele Vorgesetzte die Leistung eines Mitarbeiters mit dessen Verweildauer im Büro gleich. Hier hofft Renate Doeblin auf eine Unternehmenskultur, die „High Potentials“ auch dann akzeptiert, wenn sie eine anderes Verständnis von Lebensqualität haben als die 60- bis 80-Stunden-Woche.

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 02|2011, Seite 24

 
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