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Interview

Wie ist die Lage in Japan?

Am 11. März 2011 wird Japan erschüttert von einem Erdbeben der Stärke 9,0. In der Folge verwüstet eine bis zu 38 Meter hohe Tsunami-Welle ganze Landstriche, reißt über 20 000 Menschen in den Tod und es kommt zum GAU im Atomkraftwerk Fukushima. WiM sprach mit Marcus Schürmann, Stv. Delegierter der deutschen Wirtschaft in Japan, über die Folgen der Katastrophe.

Herr Schürmann, wie haben Sie den 11. März erlebt?

Der 11. März, viertel vor drei, war ein einschneidendes Erlebnis. Die Uhren sind in der Tat stehen geblieben, die Erde hat sehr schwer gewackelt. In Tokio war die Erdbebenstärke auch noch auf Magnitude Richterskala sieben. Natürlich waren wir zuerst mit der Sicherheit unseres Büros und der Mitarbeiter beschäftigt und konnten erst im Laufe der Folgestunden verstehen, was in Nordjapan in der Region Tohoku passiert ist.

Was konnten Sie konkret in den Wochen und Tagen danach tun?

Die Arbeit der Kammer ist im Grunde von der normalen Arbeit umgestellt worden auf ein Informationsmatching. Wir waren wirklich an der Nahtstelle und haben Informationen zur Situation der deutschen Wirtschaft in Japan zusammengestellt, sie aufbereitet und wieder Unternehmen, Medien und vielen Stellen in Deutschland zugänglich gemacht. Viele deutsche Unternehmen in Japan (rund 500) wollten sich an unabhängigen Quellen orientieren. Unsere Rolle war auch wichtig für die Informationsverbreitung und Versachlichung von Informationen in Richtung Deutschland.

Wie stellt sich die Lage aktuell dar?

Bezogen auf die Lage im Atomkraftwerk in Fukushima ist die Situation nach wie vor relativ komplex. Die Arbeiten zur Stabilisierung der Situation machen Fortschritte. Man muss aber ganz deutlich sagen: Von einer echten Sicherheit im Umkreis des AKW ist noch nicht zu sprechen. Allerdings mit Blick auf Tokio und den Industriegürtel zwischen Tokio und Osaka, der ja für die deutsche Wirtschaft von großer Bedeutung ist, sind die radiologischen Messwerte für Luft und Wasser stabil und liegen auf einem Level vergleichbar mit Deutschland. Insofern gibt es auch vom Auswärtigen Amt nur noch eine Teil-Reisewarnung.

Auch die Produktsicherheit ist soweit im Griff. Wenn deutsche Unternehmen in Japan einkaufen, wissen sie nun, wie sie sich gegenüber ihren japanischen Partnern verhalten sollen oder wie sie sich in den Lieferverträgen einigen können. Ein wichtiger Aspekt ist auch die Logistik: Wenn Waren von Japan nach Deutschland transportiert werden, gibt es eine Reihe von funktionierenden Richtlinien und Regelungen zur Messung von Radioaktivität bei Containern und Schiffen. Ein dritter Punkt ist der Bereich der Lebensmittel – wobei der Lebensmittelexport von Japan nach Deutschland mengenmäßig nicht wirklich relevant ist.

Vor welchen Herausforderungen steht Japan jetzt?

Die großen Herausforderungen sind Schadensbeseitigung und Wiederaufbau. Die betroffene Region ist eine wirtschaftlich überschaubare Region, die nur knapp vier
Prozent des japanischen Bruttoinlandproduktes ausmacht. Dort sind über 25 Millionen Tonnen Schrott und Schutt entstanden, die aufgeräumt und beseitigt werden müssen. Gleichzeitig muss auch die „Lifeline“ wiederhergestellt werden – d.h. die wesentliche Infrastruktur wie Strom und Wasser, Straßen, der „Shinkansen“ (der Hochgeschwindigkeitszug in Japan), Flughäfen, usw.. Das ist alles soweit auf einem guten Weg. Eine besondere Herausforderung scheint mir jedoch der Bereich Energieversorgung zu sein, insbesondere Energieengpässe, die dann möglicherweise auch zu Produktionsstopps führen können.

Was bedeutet das Ganze für deutsche Unternehmen?

Es gibt Aussichten, stärker ins Geschäft mit japanischen Partnern zu kommen, insbesondere was die Energieversorgung angeht. Japan muss sich momentan damit befassen, den Energiemix perspektivisch neu auszurichten mit der Frage: Muss die Atomkraft heruntergefahren und dafür der Anteil erneuerbarer Energien hochgefahren werden? Man misst Deutschland hier einen Knowhow-Vorsprung zu und das bietet einen interessanten Anknüpfungspunkt für deutsche Unternehmen. Weiterhin besteht für japanische Unternehmen bedingt durch die Katastrophe die Notwendigkeit, zunehmend globalisieren zu müssen. Energieengpässe der Industrie, Wettbewerbsdruck und mögliche Erhöhung der Stromkosten führen zu einem Umdenken auf japanischer Seite, sich anderweitig zu orientieren – möglicherweise im Ausland – und andere Partner mit ins Boot zu holen. Und dadurch gibt es Chancen, für deutsche Firmen mit japanischen Unternehmen ins Geschäft zu kommen. Wir sehen da recht gute Möglichkeiten. Das hat auch eine kürzlich durchgeführte Umfrage gezeigt, die wir in Japan bei rund 450 deutschen Unternehmen durchgeführt haben.

Wirtschaftskontakte Japan

427 Firmen aus Mittelfranken stehen in wirtschaftlichen Kontakten zu Japan, 150 davon pflegen dauerhafte Engagements: 85 Firmen mit Vertretungen, 39 mit Niederlassungen, 13 mit Produktionsstätten und 13 mit Joint Ventures.

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 08|2011, Seite 14

 
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