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Lateinamerika

Die Chancen nicht verpassen

Die boomenden Länder des Kontinents bieten beste Perspektiven für europäische Unternehmen. Sie müssen aber darauf achten, dass ihnen die asiatische Konkurrenz nicht den Rang abläuft. Von Cornelia Sonnenberg

Die Staaten Lateinamerikas haben aus den großen Krisen der zurückliegenden Jahre gelernt. Deshalb stehen sie in der aktuellen Finanzkrise meist besser da als jene Länder, von denen sie einst belehrt wurden. Die Volkswirtschaften an der Pazifik- und Atlantikküste wachsen. Sie profitieren von den hohen Rohstoffpreisen, aber auch von der Tatsache, dass sich eine dynamische und kaufkräftige Mittelklasse bildet. Damit bieten diese Märkte Möglichkeiten für Produkte aller Art, von Konsumgütern bis zu Investitionsgütern, von Dienstleistungen bis zu Finanzprodukten. Für Europa und insbesondere Deutschland bieten sich große Chancen.

Vor allem die Länder an der Pazifikküste entwickeln sich mit einer noch immer viel zu wenig beachteten Dynamik. Hauptabnehmer der Exportprodukte der Region sind heute die asiatischen Länder, damit verbunden ist eine intensivere Bindung Lateinamerikas an die gesamte Asien-Pazifik-Gruppe. Obwohl Europa traditionell zu den wichtigsten Akteuren in Lateinamerika gehört hat, sind es inzwischen asiatische Investoren, die ganz gezielt in strategische Bereiche wie die Rohstoffwirtschaft und den Energiesektor vorstoßen.

Gerade der Rohstoffsektor dieser Länder bietet den Hochtechnologieländern Europas, insbesondere Deutschland, enorme Chancen für ein viel stärkeres Engagement als bisher. Traditionell sind es die Bergbauzulieferer, die auf die ein großer Teil des Geschäfts entfällt. Dabei reicht die Bandbreite von Großunternehmen wie Siemens, Thyssen und MAN über Mittelständler wie Festo, Liebherr, FAM oder Kaeser bis zu Hunderten von kleinen und mittleren deutschen Betrieben, die seit vielen Jahren gute Geschäfte mit dieser Branche machen. Aber nur wenige von ihnen haben sich bisher entschlossen, über Vertretungen oder Filialen hinaus in den Abnehmerländern auch zu produzieren oder Technologieentwicklungen mit lokalen Partnern voranzutreiben. Hier vergeben sich gerade die deutschen Unternehmen eine Chance. Das mag sicherlich daran liegen, dass die meisten eben keine Großkonzerne sind, aber viele gehören durchaus zu den sogenannten „Hidden Champions” – hoch spezialisierte Hersteller, die in der globalisierten Welt Marktführer sind.

Die Bergbauindustrie Lateinamerikas rangiert heute unter den größten der Welt, hier sind alle Multis der Erde tätig. In den kommenden Jahren und Jahrzehnten stehen milliardenschwere Investitionen in Bergbau, Infrastruktur und den dazu notwendigen Energie- und Wasserprojekten an. Deshalb muss ein neuer Ansatz der Zusammenarbeit gesucht werden – hin zu einer strategischen Kooperation, die die gesamte Wertschöpfungskette von Erschließung über Abbau, Aufbereitung und Transport bis zur Grubenschließung und Altlastenbewältigung erfasst. Dabei müssen hochproduktive, ressourceneffiziente Technologien eingebracht, Know-how transferiert und gemeinsam mit lokalen Akteuren an neuen Lösungen geforscht werden.

Europa gerät aus dem Blick

Ein ganz anderes, aber strategisch ebenso wichtiges Aktionsfeld ist die Bildung: Traditionell war Lateinamerika aus der Geschichte der Einwanderung heraus auf Europa orientiert. Inzwischen hat Europa gerade bei den Eliten dieser Länder, insbesondere bei den jungen Menschen, die in großer Zahl die Universitäten Lateinamerikas besuchen, die Rolle des Vorreiters bei Zukunftsthemen verloren. Studenten und Wissenschaftler schauen heute zuallererst in die USA, zunehmend auch nach Asien und in abnehmendem Maße nach Europa.

Die Zeit ist reif, den aufstrebenden Generationen Lateinamerikas zu zeigen, wie innovativ Wirtschaft und Gesellschaft des „alten Kontinents” sind. Die Lateinamerikaner sind auf der Suche nach Vorbildern für demokratische und sozial gerechtere Gesellschaften, in denen Bildung ein Faktor für soziale Integration ist. Hier muss Europa sichtbarer werden, denn es hat in dieser Beziehung viel zu bieten. Auch bei Netzwerken aus Unternehmen, Universitäten, öffentlichen und privaten Akteuren, die ein attraktives Umfeld für Kreativität und Zukunftstechnologien bilden, sollte sich Europa stärker engagieren. Vor allem Deutschland kann hier außerordentlich viel einbringen – beispielsweise das System der Dualen Berufsbildung, die schlagkräftigen Forschungsverbünde und das Modell des globalisierten und innovativen Mittelstands.

Autor/in: Cornelia Sonnenberg, ist Hauptgeschäftsführerin der Deutsch-Chilenischen Industrie- und Handelskammer in Santiago de Chile (www.camchal.cl).
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 05|2012, Seite 18

 
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