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Schule und Wirtschaft

Talente gesucht

Weil die Zahl der Schulabgänger sinkt, verbessern sich die Chancen der Hauptschüler auf dem Ausbildungsmarkt weiter. Viele Unternehmen werben an den Schulen um engagierte junge Leute und unterstützen sie bei der Berufswahl.

Jugendliche, die in diesem Jahr einen Ausbildungsplatz suchen, sind in einer komfortablen Lage. Weil sich der demografische Wandel schon deutlich bemerkbar macht, stehen immer weniger Schulabgänger für eine Lehrstelle zur Verfügung und die Betriebe haben Mühe, ihre Ausbildungsplätze zu besetzen. Bayern wird besonders stark von der Arbeitskräftelücke betroffen sein, heißt es in einer gemeinsamen Studie der IHK Nürnberg für Mittelfranken und der Handwerkskammer für Mittelfranken. 620 000 qualifizierte Mitarbeiter werden laut der Untersuchung 2022 im Freistaat fehlen. Allein in Mittelfranken werden in zehn Jahren mehr als 90 000 Fachkräfte fehlen.

Statistisch gesehen kann bereits jetzt jeder Mittelschüler mit Schulabschluss eine Ausbildungsstelle finden, wenn auch nicht immer im Wunschberuf. Aktuell betreut die IHK in Mittelfranken 22 000 Ausbildungsverhältnisse, 35 Prozent der Auszubildenden haben einen Mittelschul- bzw. Hauptschulabschluss. Viele Ausbildungsplätze, das zeigt eine Übersicht der IHK, werden überwiegend oder ausschließlich mit Hauptschülern besetzt.

„Die Unternehmen müssen sich etwas einfallen lassen, damit sie für Schulabgänger attraktiv bleiben“, sagt Udo Göttemann, Leiter des IHK-Fachbereichs Berufsausbildung. Er rät den Betrieben, aktiv zu werden, sich nach außen hin zu öffnen, frühzeitig Kontakte zu Schulen zu knüpfen und sich als verlässlichen Ausbildungsbetrieb darzustellen. Wichtig sei es beispielsweise, gute Praktika anzubieten, bei denen die Schüler einen aussagekräftigen Einblick in einen Beruf und in einen Betrieb erhalten. Das müsse seitens der Unternehmen systematisch angegangen werden und erfordere ein konzeptionelles Vorgehen. Göttemann hält es auch für entscheidend, den Jugendlichen, die sich für eine Ausbildung in einem Unternehmen interessieren, Wertschätzung entgegen zu bringen. Dafür plädiert auch Erich Schuster, Mitbegründer der Erlanger defacto.gruppe und Initiator des Projekts „Hauptschul-Power“. Diese Initiative soll Hauptschülern größere Chancen für die berufliche Entwicklung bieten und „Lust auf die Zukunft machen“. Unter der Anleitung von Pädagogen und Trainern erweitern die Schüler in einem achtteiligen Programm ihre fachlichen Kompetenzen und entwickeln soziale Kompetenzen wie Verantwortung und Eigeninitiative. Zahlreiche Unternehmen aus der Metropolregion Nürnberg fördern diese Initiative, die seit 2007 jährlich durchgeführt wird.

Auch die IHK unterstützt den Kontakt zwischen Schülern und Unternehmen mit zahlreichen Initiativen. Als Beispiel nennt Göttemann den „Aktionstag Handel“, der Schulabgängern die Vielfalt der Ausbildungsberufe im Handel und im Dienstleistungsgewerbe nahe bringt. Die beteiligten Unternehmen informieren dabei in der Schule über Berufs- und Karrierewege im Handel sowie über die entsprechenden Ausbildungsberufe, anschließend absolvieren die Schüler einen Praktikumstag in den Betrieben. 89 Schüler haben kürzlich am vierten Aktionstag Handel teilgenommen. „Die Branche hat damit etwas für ihr Image getan und jungen Menschen berufliche Perspektiven eröffnet“, zieht Göttemann Bilanz.

„Kompetenzcheck“

Eine weitere Initiative ist der „Kompetenzcheck“, bei dem die IHK mit der Handwerkskammer kooperiert. Dabei handelt es sich um einen 90-minütigen Online-Test, mit dem die Schüler ihre Fähigkeiten, Persönlichkeitsmerkmale und Qualifikationen erfassen können. Eingesetzt wird der Test, den die Lehrer im Rahmen der vertieften Berufsorientierung im Unterricht verwenden können, vor allem in den 8. Klassen der Mittelschulen. Die Schüler erhalten ein individuelles Stärkenprofil und Empfehlungen, welche Berufsfelder für sie geeignet sind. Die Nürnberger Zeitung als weiterer Kooperationspartner bietet den Test als „NZ-Talentcheck“ im Internet für Schüler an, die keine Mittelschulen besuchen.

Ein wichtiges Informationsangebot ist der Elternbrief – ein Begleitbrief zur Berufswahl, der sich an die Eltern der Schüler richtet. Er liegt auch in Sprachen wie Türkisch, Griechisch und Russisch vor und macht deutlich, dass sich eine betriebliche Ausbildung auf jeden Fall lohnt. Entstanden ist der Infobrief aus dem Arbeitskreis Schule-Wirtschaft für Mittelschulen Nürnbergs. Daneben gibt es Arbeitskreise für Gymnasien sowie Real- und Wirtschaftsschulen. Auch der „Heiße Stuhl“, bei dem Schüler die Geschäftsführer eines Unternehmens befragen, geht auf diese Arbeitskreise zurück. Kürzlich setzte sich beispielsweise Hella Vestner-Lieb, Geschäftsführerin des Personaldienstleisters Vestner, auf den heißen Stuhl und erzählte den Schülern der Ernst-Penzoldt-Schule, einer Mittelschule in Erlangen, von ihrem Berufsalltag.

Eine wichtige Grundlage für den Kontakt zwischen Mittelschülern/Hauptschülern und Wirtschaft ist die sogenannte „Vertiefte Berufsorientierung“ (VBO), die allen Mittel- bzw. Hauptschülern angeboten wird. Die Durchführung von VBO-Maßnahmen sei ein fester Bestandteil der Berufsorientierung für diese Schülergruppe, so Göttemann. Die VBO-Richtlinien böten einen großen Spielraum für individuell gestaltete Projekte.

Zahlreiche Projekte zählen dazu, so auch die Schülerprojekte des Fürther Instituts für Berufsorientierung Dr. Bauer. Rund ein Dutzend Projektwochen mit mehr als 130 Mittelschülern hat Initiator Dr. Reinhard Bauer bereits in Mittelfranken organisiert, weitere sind geplant. Zum Konzept gehört, dass zehn bis 15 Schüler für vier bis fünf Tage in einem Unternehmen an einer gemeinsamen Aufgabe arbeiten. Während der Projektwoche werden die Schüler seitens des Betriebs angeleitet und von ihren Lehrern betreut. Am letzten Tag präsentieren die Schüler bei einer Abschlussveranstaltung im Unternehmen ihre Ergebnisse. Finanziert werden die Projekte je zur Hälfte vom Staatlichen Schulamt und der Agentur für Arbeit.

Eines der Schülerprojekte fand bei der Deutschen Bahn statt. Hier lernten die Schüler den Beruf des Gleisbauers kennen. Ihr Projekt bestand darin, am DB-Ausbildungszentrum Nürnberg einen Platz zu pflastern. „Entscheidend für die Motivation der Schüler ist, dass sie an einer realen Aufgabe arbeiten. Sie sehen sofort das Ergebnis“, sagt Jürgen König, Leiter Personalmanagement der DB Netz AG im Bereich Nürnberg. Von den Schülern, die am Schülerprojekt der Bahn teilnahmen, konnte sich die Hälfte vorstellen, sich um einen Ausbildungsplatz als Gleisbauer zu bewerben.

Ähnlich gute Erfahrungen mit den Schülerprojekten hat Jörg Hillebrecht gemacht, Direktor des Hotels NH Nürnberg City. Er hatte bereits zwei Schülergruppen in seinem Haus, die die Berufe Koch, Hotel- und Restaurantfachmann kennen lernten. Während der Projekttage waren die Schüler voll in den Hotelbetrieb integriert. Wer sich von den Schülern später um einen Hotelberuf bewirbt, wird wissen, was in einer Ausbildung als Koch, Restaurant- oder Hotelfachmann auf ihn zukommt.

Autor/in: 
Carsten Lange
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 06|2012, Seite 18

 
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