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Pflege

Zeit für kranke Angehörige

Die Bundesregierung hat die Möglichkeiten verbessert, um Beruf und Pflegen besser zu vereinbaren. Doch in der Praxis stößt das Modell noch auf geringes Interesse.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts sind in Deutschland rund 2,5 Mio. Menschen pflegebedürftig, mehr als zwei Drittel von ihnen werden zu Hause versorgt. Rund 743 000 Menschen werden in Pflegeheimen vollstationär betreut. Vor dem Hintergrund der steigenden Lebenserwartung und der sich wandelnden Altersstruktur rückt die Pflege hilfsbedürftiger Menschen zunehmend ins sozialpolitische Blickfeld.

Für 79 Prozent der Betroffenen lassen sich allerdings Beruf und Pflege nur schlecht miteinander vereinbaren, wie eine Umfrage im Auftrag des Bundesfamilienministeriums ergeben hat. In der Praxis ist es für berufstätige Familienmitglieder, die die Pflege Angehöriger übernehmen, oft schwierig, die Balance zwischen Pflege und Berufsalltag zu finden. Viele Menschen geben deshalb ihren Job ganz auf, um ihren Verpflichtungen in der häuslichen Pflege gerecht werden zu können.

Seit Anfang des Jahres 2012 gilt in Deutschland ein neues Gesetz zur Familienpflegezeit. Danach können Beschäftigte im Einvernehmen mit ihrem Arbeitgeber ihre Arbeitszeit über einen Zeitraum von maximal zwei Jahren auf bis zu 15 Stunden pro Woche reduzieren. Das Bruttogehalt wird in einem ersten Schritt entsprechend der reduzierten Arbeitsstunden gekürzt. Der Arbeitgeber stockt das Gehalt um die Hälfte der Kürzung auf. Wer also seine Arbeitszeit beispielsweise um 50 Prozent reduziert, erhält 75 Prozent seines Gehalts.

Der Arbeitgeber tritt mit diesem Aufstockungsbetrag in Vorleistung, leistet also einen Gehaltsvorschuss; zum Ausgleich müssen die Beschäftigten nach Ablauf der Familienpflegezeit wieder in Vollzeit arbeiten, bekommen aber so lange das reduzierte Gehalt, bis der Gehaltsvorschuss ausgeglichen worden ist.

Beispielrechnung: Eine Vollzeitbeschäftigte verdient 3 000 Euro brutto. Sie halbiert während der Familienpflegezeit ihre Arbeitszeit um 50 Prozent, erhält aber weiterhin ein Gehalt von 75 Prozent des bisherigen Bruttolohns, also 2 250 Euro. Um den Lohnvorschuss zurückzuzahlen, erhält die Arbeitnehmerin nach Beendigung der Familienpflegezeit weiterhin nur 75 Prozent Lohn bei 100 Prozent Arbeitszeit, bis das Zeit- und Gehaltskonto wieder ausgeglichen ist.

Befristete Arbeitsverhältnisse

Pflegezeit kann auch bei befristeten Arbeitsverhältnissen genommen werden, allerdings ist hier Folgendes zu beachten: Der Gehaltsvorschuss muss während der Laufzeit des befristeten Arbeits- oder Ausbildungsverhältnisses zurückgezahlt werden. Eine Familienpflegezeit kann daher nur noch für die Hälfte der Restlaufzeit des befristeten Arbeits- oder Ausbildungsverhältnisses vereinbart werden. Bei einer Restlaufzeit von beispielsweise zwölf Monaten ist also nur noch eine Familienpflegezeit von sechs Monaten möglich.

Die Beschäftigten genießen während der Familienpflegezeit und der sich anschließenden Nachpflegephase besonderen Kündigungsschutz, sodass eine Kündigung nur in besonderen Ausnahmefällen möglich ist. Ob es sich um einen Ausnahmefall handelt, entscheidet die jeweils zuständige Landesbehörde für Arbeitsschutz.

Den Gehaltszuschuss in der Pflegephase können die Unternehmen über ein zinsloses Darlehen beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) finanzieren. Zur Verfügung gestellt wird das Geld von der staatlichen Förderbank KfW. Wenn der Arbeitnehmer nach der Pflegephase wieder die gewohnte Arbeitszeit leistet, zahlt der Arbeitgeber den einbehaltenen Lohn dann an das Bundesamt zurück. Viele Unternehmen befürchten laut einer Umfrage allerdings höhere Personalkosten durch die Familienpflegezeit. Der Bundesrat hatte zudem in einer Stellungnahme die hohen Bürokratiekosten kritisiert, die vor allem kleinen Betrieben drohen.

Familienpflegezeit-Versicherung

Um Arbeitgeber, die während der Familienpflegezeit in finanzielle Vorleistung treten, abzusichern, gibt es eine Familienpflegezeit-Versicherung. Sie deckt das mögliche Ausfallrisiko der Rückzahlungen ab, sollte der Beschäftigte berufsunfähig werden oder sterben. Die Versicherung wird für die Dauer der Pflege- und der Nachpflegephase abgeschlossen. Eine solche Familienpflegezeit-Versicherung kann durch den Beschäftigten selbst oder durch den Arbeitgeber beantragt werden. Dabei gibt es drei mögliche Wege:

  • Der Beschäftigte schließt bei einer selbst gewählten Versicherung einen individuellen Versicherungsvertrag ab
  • oder der Arbeitgeber schließt eine individuelle Versicherung ab
  • oder der Versicherungsschutz wird durch die Aufnahme in eine vom Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) abgeschlossene Gruppenversicherung hergestellt.

Bisher haben bundesweit jedoch nur wenige Unternehmen, weniger als 200, diese neuen staatlichen Hilfsangebote in Anspruch genommen. Auch in Mittelfranken ist das Interesse bislang gering. Auf Nachfrage erklärten zum Beispiel die Unternehmen Städtische Werke Nürnberg, Ergo Versicherungen, Leoni, GfK und Datev, dass noch keiner ihrer Mitarbeiter einen Antrag auf Familienpflegezeit gestellt habe.

Andreas Krause, Leiter Personalservice bei der Datev, erklärte: „Für uns bei der Datev spielt das Gesetz keine Rolle, da wir schon vorher über Betriebsvereinbarungen das Thema Pflegeauszeiten berücksichtigt haben.“ So können sich Datev-Mitarbeiter kurzfristig freistellen lassen oder die Arbeitszeit auf bis zu 20 Wochenstunden reduzieren. Darüber hinaus können bei der Datev Pflegezeiten über ein Sabatical-Modell abgedeckt werden, bei dem die Mitarbeiter bei einem Gehalt von 75 Prozent ein Jahr freinehmen können. In den drei Folgejahren arbeiten sie wieder Vollzeit und beziehen weiterhin 75 Prozent ihres ursprünglichen Gehalts, bis die Differenz ausgeglichen ist. Möglich ist auch eine Beurlaubung bis zu zwei Jahren bei 66 Prozent Lohnfortzahlung und einer Nacharbeit in den folgenden vier Jahren. Aber auch diese Betriebsvereinbarung ist nach Angaben Krauses im Jahr 2012 nur einmal genutzt worden.

Nach Einschätzung von GfK-Sprecherin Marion Eisenblätter bietet das neue Gesetz zwar gute Ansätze, aber es enthalte auch einige Regelungen, die sich in der Praxis als schwierig erweisen könnten: Zum Beispiel die Verpflichtung zum Abschluss einer Versicherung oder den administrativen Aufwand, der für den Arbeitgeber mit der Umsetzung verbunden sei. Ihr Fazit: „Hier gibt es sicher noch Optimierungsbedarf.“

Autor/in: 
pw.
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 02|2013, Seite 30

 
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