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Serious Games

Spielend gelernt

Computerspiele dienen nicht mehr nur dem Zeitvertreib, sondern auch der Bildung: Die "ernsthaften Spiele" etablieren sich bei der Wissensvermittlung in Betriebswirtschaft, Technik und Wissenschaft. Von Andrea Wiedemann; Illustration: Anton Atzenhofer

Man soll nie vergessen, dass die Gesellschaft lieber unterhalten als unterrichtet sein will.“ Adolph Freiherr von Knigge hat diese Erkenntnis schon Ende des 18. Jahrhunderts formuliert. Sie ist wohl zeitlos gültig und liefert den Ansatz einer Erklärung für den Trend, dass Computerspiele immer häufiger als Lernmedien eingesetzt werden. Gerade in der beruflichen Bildung sowie in der Personalentwicklung sind Serious Games gefragt.

Als Bezeichnung für eine Spielegattung wurde der Begriff „Serious Games“ etwa um die Jahrtausendwende in den USA populär. Wenig später schwappte diese Trend-Welle nach Europa. Roland Weiniger, Inhaber der in Nürnberg ansässigen Firma Game Engineers und Spieleentwickler mit über zwei Jahrzehnten Erfahrung, registrierte vor etwa sieben Jahren, dass Serious Games auch in der deutschen Spielebranche ein wichtiges Thema geworden waren.

Vielfältige Anwendungen

Als Serious Games werden Spiele und Anwendungen bezeichnet, die „mit verfügbaren Technologien und dem Design der Unterhaltungssoftware-Branche entwickelt werden und als gemeinsame Basis den Anspruch erheben, nicht primär dem Unterhaltungszweck zu dienen“, so die etwas sperrige Definition aus einer Branchenstudie. Die „ernsthaften Spiele“ können alle Spiele-Genres abdecken – von der Simulation über Abenteuer und Strategie bis hin zu Planspielen. Dabei lassen sich Serious Games für unterschiedliche Plattformen konzipieren, egal ob PC, Smartphone, Konsole oder Browser. Ebenso vielfältig sind die Anwendungsgebiete, die sich vom Bildungswesen über die Medizin und den Verteidigungssektor bis zu Politik und Gesellschaftswissenschaften erstrecken.

 

Schulung von Baggerfahrern

 

Ein traditionelles Genre der „ernsthaften Spiele“ sind die sogenannten Simulation and Real Games; sie sind vor allem in den Bereichen Medizin und Technik verbreitet und werden auch in der Berufsbildung eingesetzt. Ein Beispiel dafür sind die Bagger-Simulatoren im Bauindustrie-Zentrum Nürnberg-Wetzendorf. In einer Fahrerkabine sitzen die angehenden Baumaschinenführer vor einem Bildschirm und üben mit Joystick das nötige Fingerspitzengefühl, um die tonnenschweren Gefährte zu bewegen.

Das Bauindustrie-Zentrum nutzt die Simulatoren im Kurs „Grundausbildung Baumaschinenführer für Minibagger und Kleinradlader“. Zentrumsleiter Herbert Dechant und Claudia Eder, verantwortlich für überbetriebliche Ausbildung, sind sehr angetan vom Simulationstraining, weil es wetterunabhängig, risikolos und ressourcenschonend ist. Die Software macht es möglich, dass zwei Bagger nebeneinander auf einer virtuellen Baustelle arbeiten. Kollisionen mit Objekten oder gar mit Menschen werden mit Punktabzug geahndet. Außerdem wird überwacht, ob die Fahranfänger die im Lehrplan vorgegebenen Sicherheitsregeln einhalten, etwa den Fahrzeugcheck vor Arbeitsbeginn.

Die Entwicklung dieser Baggersimulatoren hat Conworld.biz übernommen, ein von der in Nürnberg ansässigen Globe-PM GmbH initiiertes Portal. Deren Geschäftsführer Arno Blickling und Ingo Slaby haben ihre Begeisterung für 3D-Welten in ein vielversprechendes Geschäftsmodell verwandelt: Mit einem Team aus Game-Designern, Programmierern und Grafikern haben sie Bausimulationsspiele entworfen, bei denen sich bis zu acht Spieler vernetzt auf einer Baustelle bewegen können. 2010 holte Blickling Baumaschinen-Modelle von Sennebogen, Liebherr und Komatsu in die virtuelle Welt. Dann folgte der Schritt von der reinen Unterhaltung in Richtung Serious Games: „Wir haben erkannt, dass die faszinierenden Technologien der Spiele auch anderweitig genutzt werden können.“

„Business Games“

Dieser Transfer von Technologien und Designs aus der Unterhaltungssoftware in die Kompetenz- und Wissensvermittlung lässt sich auch beim Genre Business Games beobachten: Sie bilden die Realität aus den verschiedenen Bereichen der Betriebswirtschaft ab, angefangen von der Personal- und Prozessplanung bis hin zur Unternehmensführung. Ein bekanntes Beispiel dieser Spielegattung ist Sharkworld, bei dem Teilnehmer ihre Qualitäten im internationalen Projektmanagement beweisen sollen: Schauplatz der Geschichte ist Shanghai, wo ein riesiges Haifisch-Aquarium gebaut werden soll. Der Spieler schlüpft in die Rolle des Projektmanagers, der bei seiner Arbeit mit bösen Überraschungen und allerlei Intrigen fertig werden muss.

Neben solchen Spielen „von der Stange“ bestellen Unternehmen Serious Games als „Maßanfertigungen“. Unter den Kunden von Roland Weiniger sind Konzerne, die individuelle Spielelösungen in Auftrag geben, die sowohl bei der Auswahl von Führungskräften als auch bei Trainingsmaßnahmen eingesetzt werden. Details verrät der Spieleentwickler allerdings nicht, denn seine Klienten wollen keine Interna über Strategien und Prozesse preisgeben.

Beim sogenannten „Recrutainment“ kommen Serious Games zum Zug, wenn Firmen oder Branchenverbände um die Gunst künftiger Auszubildender werben. Ein Beispiel ist Techforce: Mit diesem Abenteuer- und Lernspiel will der Arbeitgeberverband Gesamtmetall Jugendliche für Metall- und Elektroberufe begeistern. Der Spieler konstruiert und montiert als Mitglied eines Azubi-Teams einen „futuristischen Glider“. Ein weiteres Anwendungsgebiet von Serious Games im Unternehmen sind Produktschulungen. So kann der Nachwuchs im Einzelhandel im browserbasierten Spiel „Virtueller Supermarkt“ Warenkunde und Verkaufen üben.

Didaktische Vorteile

Ist die wachsende Popularität von Serious Games eine Modeerscheinung oder eine Konzession an den digitalen Zeitgeist? Haben Computerspiele im Vergleich zu anderen Lernmedien tatsächlich charakteristische Vorzüge aufzuweisen? Linda Breitlauch, Professorin für Gamedesign an der Mediadesign Hochschule für Design und Informatik in Düsseldorf, argumentiert, dass das Spielen eine wesentliche Funktion im Lernprozess einnimmt. Ihre These: „Computerspiele können nicht nur Wissen und Fähigkeiten vermitteln, sondern sogar intelligenter machen.“ Das spielerische Lernen funktioniert, weil Serious Games mit didaktischen Vorteilen punkten: Der Lernende kann als Spieler in die virtuelle Welt des Mediums eintauchen (Immersion) und emotional nachempfinden (Involvement), wodurch ein aktiver Lernprozess in Gang gesetzt wird (Aktivation). Damit dieses Reaktionsmuster gestartet wird, müssen allerdings Spiel- und Lerninhalte auf eine Weise synchronisiert sein, die Spaß und Motivation des Spielers auf einem hohen Niveau hält.

Gerade die Generation, die mit Internet, Mobiltelefonen und MP3-Playern aufgewachsen ist, weist eine hohe Affinität zu Serious Games auf. Weil diese „Digital Natives“ künftig einen großen Anteil an den Belegschaften der Unternehmen stellen werden, könnte die Bedeutung des spielerischen Lernens mit digitalen Technologien in der beruflichen Bildung weiter zunehmen.

Derzeit wird der Anteil der Serious Games am Gesamtmarkt für Computerspiele auf zwei bis fünf Prozent geschätzt. Nach Angaben des Branchenverbands BIU betrug der Umsatz mit Computer- und Videospiel-Software im Jahr 2012 in Deutschland 1,85 Mrd. Euro. Demnach lässt sich das Volumen für den Serious-Games-Markt auf 37 bis 92 Mio. Euro beziffern. Die Studie „German Entertainment & Media Outlook 2011-2015“ von PricewaterhouseCoopers prognostiziert der Computerspiel-Industrie im Jahr 2015 einen Umsatz von 2,5 Mrd. Euro. Experten wie Roland Weiniger und Arno Blickling sind überzeugt, dass Serious Games dabei zu den Wachstumssegmenten gehören werden, denn in den Unternehmen nimmt die Aufgeschlossenheit für diese Lernmedien zu. „In den Chefetagen gibt es heute viel weniger Berührungsängste mit diesem Thema, weil die Entscheider eigene Erfahrungen mit digitalen Spielen haben“, so die Einschätzung von Weiniger.

Er hofft, dass der Wirtschaftsraum Mittelfranken von der steigenden Nachfrage nach Serious Games profitiert. Der Spieleentwickler spricht dabei nicht nur für seine eigene Firma, sondern als stellvertretender Vorsitzender der SpieleGilde. Der 1993 in Nürnberg gegründete Verband versteht sich als „Interessensvertretung, Business-Community, Netzwerk und Dienstleister“ für alle Akteure der Spielebranche. Weiniger sieht in der Metropolregion Nürnberg zahlreiche Anknüpfungspunkte, um das Profil des Standorts im Bereich Serious Games zu schärfen: „Es gibt hier im Raum Spieleentwickler, Software-Spezialisten und Webdesigner. Wenn es gelingt, diese Szene aus Einzelkämpfern und kleinen Unternehmen besser zu vernetzen, könnten die hier vorhandenen Kompetenzen auch außerhalb der Region wahrgenommen werden.“ 

Autor/in: 

Andrea Wiedemann

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 06|2013, Seite 24

 
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