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Zertifizierung

Gütesiegel für Nachhaltigkeit

Stadtquartiere, Gewerbegebiete und Gewerbeimmobilien, bei deren Entwicklung der Aspekt der Nachhaltigkeit berücksichtigt wurde, haben Wettbewerbsvorteile. Wie funktioniert die Zertifizierung? Von Karina Gruhler-Hirsch

Der Wettbewerb der Kommunen um Unternehmen und Einwohner wird angesichts der demografischen Entwicklung zunehmen. Dies zeigt sich bereits heute in ländlichen Gebieten, die abseits der Wirtschaftszentren liegen und sich mit den Auswirkungen einer schrumpfenden Bevölkerung konfrontiert sehen.

Wie kann der eigene Wirtschaftsstandort zukunftsfähig gestaltet werden, wie kann man Unternehmen halten und gewinnen? Die Antworten auf diese Fragen sind vielschichtig, aber ein wichtiger Ansatzpunkt der Wirtschaftsförderung ist die Entwicklung und Zertifizierung von nachhaltigen Quartieren und Gebäuden.

Diese vereinen die Aspekte Wirtschaftlichkeit, Nutzerkomfort und Umweltschutz. Dafür müssen bereits bei deren Planung und Umsetzung funktionale Aspekte, Technik, Prozesse und der Standort im Fokus stehen – kurzum: die „Gesamtperformance“ der Gewerbeimmobilien muss stimmen.

Dies ist auch der Ansatz, den die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen DGNB verfolgt (www.dgnb.de), bei der man Immobilien oder Quartiere zertifizieren lassen kann. Im Gegensatz zu anderen Zertifizierungssystemen im Bereich Green Building, wie das amerikanische „LEED“, muss sich der Bauherr bzw. Planer nicht an starre Vorgaben halten, sondern kann die auf seine Bedürfnisse passenden Kriterien einbringen und seinem finanziellen Budget anpassen.

Die DGNB vergibt ihre Vorzertifikate und Zertifikate in den Auszeichnungsstufen Gold, Silber und Bronze. Dabei liegt Bronze bereits weit über dem Durchschnitt „normal“ gebauter Gebäude oder geplanter Quartiere.

Die Aufbereitung und Durchführung des Prozesses bis zur Prüfung bei der DGNB führt ein unabhängiger DGNB-Auditor oder DGNB-Consultant durch, der vom Investor direkt beauftragt wird. Das Zertifikat wird auf Messen oder Veranstaltungen verliehen und kann somit werbewirksam eingesetzt werden.

Die Mehrkosten für den Zertifizierungsprozess belaufen sich auf rund 0,5 Prozent der Bausumme. Aktuell lassen sich 13 verschiedene Gebäudetypen und Stadtquartiere zertifizieren. Die Zertifizierung von Gewerbegebieten befindet sich in der Pilot-Phase, dafür können noch Erstanwender-Projekte zu vergünstigten Konditionen angemeldet werden.

Vorteile für die Kommunen

Nicht nur die Eigentümer einer Immobilie profitieren von einer Zertifizierung, sondern auch die Kommunen: Sie können bei ihrem Standort-Marketing damit punkten, dass sie über nachhaltig entwickelte Gewerbeimmobilien und -flächen verfügen, und sich auf diese Weise gegenüber anderen Wirtschaftsstandorten profilieren. Die Zertifizierung ist also ein nicht zu unterschätzender Pluspunkt bei der aktiven Ansprache von Investoren.

Für Kommunen und Unternehmen gleichermaßen wichtig ist zudem, dass die DGNB-Zertifizierung ihnen kein starres Korsett anlegt. Sie erhalten im Gegenteil mehr Planungssicherheit, weil die DGNB-Kriterien auch Flexibilität und Vorsorge für mögliche Umnutzungen, Rückbauten oder Erweiterungen bestehender Immobilien fordern.

Zertifizierte Gewerbegebiete oder Stadtquartiere lassen sich optimal an veränderte Rahmenbedingungen anpassen, sodass Erweiterungen oder Maßnahmen der betrieblichen Infrastruktur (z.B. Ausbau der Wasserver- und -entsorgung, Installation einer Photovoltaikanlage auf dem Firmengelände) problemlos möglich sind.

Das erspart den Betrieben und den Kommunen erhebliche Planungskosten und -zeiten, unnötiger Mehraufwand wird vermieden (z.B. Aufgraben der Straßendecke). Städte und Gemeinden profitieren nicht zuletzt dadurch, dass sie Infrastrukturleistungen nicht unnötig vorhalten müssen.

Bewertung des Umfeldes

Die DGNB bewertet auch den Standort und die Versorgungsstrukturen vor Ort. Dazu können u.a. folgende Kriterien zählen: Nähe zu Haltestellen des öffentlichen Nahverkehrs, Einbindung in das Rad- und Fußwegenetz, Nähe zu Einkaufsmöglichkeiten, öffentliche Freiräume innerhalb des Projektgebietes, Attraktivität der Gestaltung, Barrierefreiheit und nicht zuletzt das Thema Sicherheit.

Diese Faktoren werden unter dem Begriff „Soziokulturelle und funktionale Qualität“ zusammengefasst, auf sie entfällt fast ein Viertel der Bewertungspunkte bei der Zertifizierung. Dies ist auch gerechtfertigt, denn schließlich geht es um viele Menschen, die in den Gewerbegebieten arbeiten und die einen Anspruch auf ein gutes Arbeitsumfeld haben.

Dieser Aspekt ist nicht nur im Hinblick auf Motivation, Arbeitseffizienz und betriebliche Gesundheitsförderung bedeutsam, sondern auch hinsichtlich des Wettbewerbs um qualifizierte Fachkräfte.

Die Betriebe müssen sich künftig mehr Gedanken machen, was sie ihren Mitarbeitern zusätzlich zum Arbeitsplatz bieten können. Dies sind manchmal vermeintlich kleine Parameter: So manches Gewerbegebiet wurde schon ohne Rücksichtnahme auf eine ÖPNV-Erschließung entwickelt.

Dabei genügt oft bereits die Verlegung einer (unrentabel gewordenen) Haltestelle, ohne dass dem betreffenden Verkehrsverbund Mehrkosten entstehen. Für viele Mitarbeiter ist es wichtig, dass sie in den Pausen einen Spaziergang durchs Grüne machen oder bei einem Bäcker eine Brotzeit einkaufen können.

Ein weiterer Aspekt ist die Beachtung einer gesundheitsfördernden Bauweise, z.B. die Verwendung von lösungsmittelfreien Farben, eine optimierte Lichtgestaltung und Zugluftfreiheit, sodass sich die Mitarbeiter wohlfühlen und gesund und leistungsfähig bleiben. Barrierefreiheit für Mitarbeiter mit Behinderung sowie Duschmöglichkeiten für Beschäftigte, die mit dem Fahrrad in die Arbeit kommen, sind weitere Beispiele, mit denen man Gewerbeimmobilien attraktiv machen kann und mit denen die Betriebe die Prüfer bei der Zertifizierung überzeugen können.

Integrale Planung

Weitere Kernpunkte der Zertifizierung, egal ob Stadtquartier, Wohnblock oder Bürogebäude, sind die Kriterien integrale Planung und Prozessqualität. Hierzu gehört die Bildung von integralen Planungsteams mit einem Projektkoordinator.

Denn wenn schon zu einem frühen Planungszeitpunkt alle Fachplaner und relevanten Stellen (z.B. Behindertenbeauftragter, Feuerwehr, DGNB-Auditor usw.) mit einbezogen werden, hat dies positive Auswirkungen auf Qualität, Zeitmanagement und Kosten. Eine stringente Planung von Beginn an macht Nachtragsplanungen erfahrungsgemäß überflüssig und sie optimiert sowohl die Erstellung und den Betrieb von Immobilien, als auch eventuell erforderliche Um- und Rückbauten.

Die Vorteile von zertifizierten nachhaltigen Gebäuden und Quartieren lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

  • Sie erhöhen die Marktchancen bei Verkauf und Vermietung.
  • Sie bieten Qualität von Anfang an und zwar schon in der Planungsphase.
  • Sie steigern die Nachfrage und reduzieren damit das Risiko von Leerständen.
  • Sie sichern schnellere und günstigere Kreditvergaben.
  • Sie erhöhen die Transparenz für Investoren, Betreiber, Nutzer und Bürger.
  • Sie sind zukunftsfähig und geben Planungssicherheit.

Bis jetzt wurden von der DGNB im In- und Ausland mehr als 500 Objekte ausgezeichnet, die von diesen Pluspunkten profitieren. Zertifizierte Stadtquartiere können u.a. in Düsseldorf (Le Quartier Central), in Berlin (CityQuartier DomAquarée; Potsdamer Platz) oder in Frankfurt am Main (Europaviertel West) besichtigt werden.

In Hamburg läuft aktuell die Zertifizierung des Stadtquartiers „Unter den Linden“ für einen Privatinvestor. Hier entsteht in einem weitläufigen Parkgelände auf dem Gebiet einer ehemaligen Klinik ein neues Wohnquartier, bei dem der Fokus auf den Erhalt der denkmalgeschützten Gebäude und des Baumbestandes liegt.

Dieses Bespiel ist deswegen erwähnenswert, weil die Stadt Hamburg das nachhaltige Bauen aktiv voranbringen will und deshalb die DGNB-Zertifizierung in ihren Bebauungsplänen fördert – für Erwerber von Wohneigentum gibt es sogar finanzielle Unterstützung. Auch dies ist eine Möglichkeit, um Investoren, Unternehmen und Bewohner am Standort zu halten und anzuwerben.

Autor/in: Karina Gruhler-Hirsch, ist Diplom-Geografin und DGNB-Consultant bei HFP Hirsch_Fischer_Partner Bau_Projekte_Beratungen in Augsburg (gruhler-hirsch@hfp-augsburg.de, www.hfp-augsburg.de).
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 09|2013, Seite 70

 
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