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Gesundheit im Betrieb

Herzlich willkommen zurück!

Mitarbeiter nach langer Krankheit wieder in den Betrieb integrieren: Das ist das Ziel des Betrieblichen Eingliederungs-Managements (BEM). Wie wird es in der Praxis umgesetzt? Von Thomas Tjiang; Illustration: Anton Atzenhofer

Seit 2004 findet sich im neunten Sozialgesetzbuch (§ 84 Abs. 2 SGB IX) eine Präventionsvorschrift, die alle Arbeitgeber zum Betrieblichen Eingliederungs-Management (BEM) verpflichtet. Unabhängig von der Betriebsgröße gilt diese Regelung, sobald ein Arbeitnehmer länger als sechs Wochen ununterbrochen oder innerhalb eines Jahres wiederholt arbeitsunfähig ist.

Sinn und Zweck ist es laut des Zentrums Bayern Familie und Soziales (ZBFS), umgehend zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit überwunden und damit Fehlzeiten verringert werden können. Außerdem soll geklärt werden, durch welche Hilfen und Leistungen einer erneuten Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt werden kann. Darüber hinaus gilt es, den Arbeitsplatz zu erhalten, die Fähigkeiten des Arbeitnehmers weiter zu nutzen und eine erhöhte Einsatzfähigkeit und Produktivität sicherzustellen.

Wie diese Klärung im Detail auszusehen hat, wird nach Angaben des Bundesarbeitsministeriums durch das SGB IX bewusst nicht vorgegeben. In jedem Betrieb und in jeder Dienststelle sei eine angemessene individuelle Lösung zu finden. Gesetzlich vorgegeben ist – die Zustimmung des Betroffenen vorausgesetzt – lediglich die Beteiligung der zuständigen Interessenvertretung der Beschäftigten (Betriebs- oder Personalrat), bei schwerbehinderten Beschäftigten außerdem die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung. Weiter sollen Werks- oder Betriebsarzt hinzugezogen werden, wenn dies erforderlich ist.

So hat beispielsweise der Nürnberger Bosch-Standort ein Eingliederungssystem, das entsprechend der strikten Datenschutzbestimmungen aktiv wird (siehe Interview Seite 30). Auf diesem Weg können viele Fälle, etwa Rückenprobleme, Bandscheibenvorfälle oder Knieprobleme, die für eine Fehlzeit von mehr als sechs Wochen sorgen, ganz konkret gelöst werden. So werden für eine bessere Ergonomie andere Stühle oder Schreibtische angeschafft oder bei Bedarf in der Fertigung Hebehilfen zur Verfügung gestellt.

Selbst Veränderungen der Arbeitsabläufe in der Fertigung sind möglich, wenn ein Beschäftigter beispielsweise nicht mehr mit der rechten Hand arbeiten kann. In solchen Fällen lässt sich ein Produktionsschritt für Linkshänder ausrichten. Weitere Bausteine des BEM bei Bosch sind die Suche nach einem geeigneteren Arbeitsplatz, der Tausch von Arbeitsplätzen mit Kollegen oder eine Veränderung der Einsatzzeiten. „Es gibt keine Standardlösungen, wir suchen in jedem Einzelfall nach dem optimalen Vorgehen“, erklärt der kaufmännische Werkleiter des Nürnberger Bosch-Werkes, Joachim Pietzcker.

Bei anderen Fällen, in denen das BEM greift, geht es um einschneidende persönliche Ereignisse, die einen Mitarbeiter aus der Bahn werfen. Hierzu gehören zum Beispiel der Tod eines nahen Angehörigen oder ein Pflegefall in der Familie. Über die betriebliche Sozialberatung kann dann nach Lösungen gesucht werden: Wenn der Mitarbeiter zuhause einen Angehörigen pflegt, wird darauf z.B. bei der Einteilung der Schichten Rücksicht genommen.

Vollständige Genesung abwarten

Die Sparkasse Nürnberg hat bei ihrer Dienstvereinbarung zum Betrieblichen Eingliederungs-Management auf eine Vorlage der Sparkassen-Organisation zurückgegriffen. „Dieses Konzept hat sich in der Praxis bewährt“, konstatiert Ursula Doreth, die seit zwei Jahren als BEM-Beauftragte aktiv ist. Auch wenn jedes Vorgehen bei einem BEM-Fall individuell ist, bietet die Dienstvereinbarung eine klare Struktur.

Etwa bei der Frage, ob ein Mitarbeiter nach sechswöchiger Krankheit einen Brief zu den BEM-Möglichkeiten per Post oder von der direkten Führungskraft überreicht bekommt. In der Regel werden die Briefe bei der Sparkasse Nürnberg persönlich übergeben und nur jeder zehnte Betroffene lehnt ein erstes Gespräch ab.

Einer der ersten Ratschläge, die die genesenen Mitarbeiter bekommen, ist die Empfehlung, tatsächlich erst dann wieder zum Arbeiten zurückzukehren, wenn man völlig ausgeheilt ist. Zudem ist nach einer Krebstherapie, einem Herzinfarkt, psychischen Belastungen oder einer schwierigen Knie-Operation ein langsamer Wiedereinstieg – mit ärztlicher Anordnung zur Wiedereingliederung – ratsam.

Dem latent schwelenden Dilemma, das dem BEM grundsätzlich innewohnt, ist die Sparkasse Nürnberg offensiv begegnet: Einerseits geht es um die vollständige gesundheitliche Wiederherstellung des Mitarbeiters, andererseits um dringende Arbeit in einer Abteilung, die fristgerecht und akkurat erledigt werden muss. Fällt jemand länger aus, müssen dessen Kollegen Überstunden leisten oder es bleibt Arbeit liegen.

Die Sparkasse geht deshalb zweigleisig vor: Zum einen wird über ein Präventionsprogramm im Zuge des Gesundheitsmanagements ein Bündel von Informationen und vorbeugenden Angeboten offeriert. Zum anderen greift das BEM bei der Betreuung von Kranken. „Denn Gesundheitsmanagement im Betrieb soll nie erst nach einer Krankheit ansetzen“, so Doreth.

Betroffene öffnen sich früher

Dazu komme eine kontinuierliche Aufklärung, die auch Themen wie psychische Erschöpfung, Alkoholprobleme oder Spielsucht beinhaltet. Doreth hat die Erfahrung gemacht, dass sich Betroffene oder Gefährdete mittlerweile eher trauen, sich zu öffnen. Die frühere Dunkelziffer werde offensichtlich kleiner. Vor diesem Hintergrund ist sie stolz, dass ihr bislang alle Wiedereingliederungen – bis auf einen Fall – erfolgreich gelungen sind. Allerdings ist vom langfristigen Präventionsansatz im SGB IX nicht die Rede; in diesem Punkt greife das Gesetz zu kurz, meint Doreth.

Bei Großunternehmen sei das BEM mittlerweile gut etabliert, bei kleinen und mittleren Betrieben besteht jedoch noch Nachholbedarf, so die Einschätzung von Amata Zahn, stellvertretende Leiterin der Gesellschaft zur Förderung beruflicher und sozialer Integration (gfi) gGmbH in Erlangen. Die gfi entwickelt im Raum Nürnberg, Fürth und Erlangen u.a. individuelle Komplettpakete für die Einführung eines BEM. Aus ihrem Alltag weiß Zahn, dass viele Betriebe zwar eine BEM-Vereinbarung haben, diese sich in der Praxis aber als nicht praktikabel erweist.

Das beginnt bei der Struktur des Prozesses, beispielsweise bei so grundlegenden Fragen, ob etwa ein Abteilungsleiter oder jemand aus der Personalabteilung zuerst mit einem Rückkehrer spricht. In kleineren Firmen ist es meist der Chef direkt, der einen engen Draht zu den Mitarbeitern hat. Übersehen würden häufig die rechtlichen Anforderungen und die Dokumentationspflichten eines BEM, so Zahn, die intern selbst die BEM-Verantwortung für rund 400 Mitarbeiter trägt.

Private Probleme als Auslöser

Die Expertin schätzt, dass hinter mehr als der Hälfte der BEM-relevanten Krankheitsfälle private Probleme wie Trennung, finanzielle Sorgen oder Schwierigkeiten von Alleinerziehenden stecken. Sie schaffen nach ihrer Rückkehr oft nicht mehr ihr gewohntes Arbeitspensum. Daher plädiert Zahn für eine sehr sorgfältige Konzeption und Ausgestaltung des BEM. Sonst müht sich der Mitarbeiter nach der Wiedereingliederung an seinem alten – unveränderten – Arbeitsplatz ab und steht dann kurze Zeit später wieder vor einem Nervenzusammenbruch.

FOM Hochschule informiert über BEM

Grundlegende Informationen über das Betriebliche Eingliederungs-Management (BEM) bietet das „Arbeitsrechtliche Frühstück“ der FOM Hochschule in Nürnberg am Dienstag, 25. Februar 2014 von 8.30 bis 9.30 Uhr (City Park Center, Zeltnerstr. 19). Die Themen: Voraussetzungen und ordnungsgemäße Durchführung eines BEM sowie Handhabung in der Praxis.

Anmeldung: FOM
Tel. 0911 242629-01
anica.hahn@fom.de

Autor/in: 

Thomas Tjiang

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 02|2014, Seite 26

 
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