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Satelliten-Kommunikation

Datenschätze aus dem All

Mit dem Copernicus-Programm will die EU bei der Weltraum-Infrastruktur in die erste Liga aufrücken. Die Geodaten lassen sich von Unternehmen, Planern und Behörden vielfältig nutzen.

Die EU-Raumfahrt folgt keinem Selbstzweck, sondern will neue wirtschaftliche Potenziale erschließen. Geoinformationen sind beispielsweise digitale Rohstoffe für Transportunternehmen und Logistikdienstleister, um besser auf Wetterveränderungen und Naturkatastrophen reagieren zu können. Für Unternehmen, die ihre Produkte und Dienstleistungen optimal auf ihre Zielgruppen im In- und Ausland anpassen wollen, sind exakte Geodaten ein digitaler Schatz, weil sie diese tagesaktuell und kontinuierlich (Zeitserien) beispielsweise mit Daten der Sozialforschung verknüpfen können.

Deshalb war der Start des Satelliten „Sentinel-1A“ am 3. April 2014 ein symbolträchtiges Datum: Er markierte eine neue Ausbaustufe der europäischen Infrastruktur im Weltraum und auf der Erde. Das aus Steuermitteln der EU-Mitgliedsländer finanzierte Geodaten-Sammelprogramm „Copernicus“ (ehemals GMES) ist das zweite Vorzeigeprojekt der EU-Raumfahrt neben dem Satelliten-Ortsbestimmungssystem „Galileo“.

Copernicus, dessen Finanzierung bis 2020 sichergestellt ist, ergänzt die bestehende Infrastruktur im Weltraum. Europa soll dann über das weltweit umfassendste und leistungsfähigste zivile Erdbeobachtungssys-tem verfügen, so der Tenor beim „Nationalen Forum für Fernerkundung und Copernicus“ in Berlin, das im April 2014 zum vierten Mal einberufen worden war. Die Veranstaltung fand unter dem Motto „Erdbeobachtung für Mensch und Umwelt“ beim Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) statt.

Im Herbst sollen die ersten Geodaten über „Sentinel-1A“, der zugleich eine neuartige laserbasierte Datenübertragungstechnik testen wird, empfangen werden. Dessen Radar kann hoch präzise Bilder der Erdoberfläche aufnehmen, mit denen beispielsweise an Deutschlands 3 500 Kilometer langen Küsten jeder Umweltverschmutzer, der illegal Öl ins Meer ableitet, zuverlässig entdeckt wird – selbst bei Nacht und Nebel.

Die „Sentinel-2“-Mission, deren Start für 2015 vorgesehen ist, wird mit speziellen optischen Sensoren ausgerüstet sein. Die auf diese Weise gesammelten Daten können beispielsweise dabei helfen, begrenzte Ressourcen und Infrastrukturen auf der Erde besser zu managen. Die EU und die Europäische Weltraumorganisation (ESA) bieten den EU-Mitgliedsländern die Rohdaten der sechs geplanten Copernicus-Missionen kostenlos zur Nutzung an – eine weltweit einzigartige Offerte, die die europäische Wirtschaft und Hochtechnologie stärken soll.

Beteiligung der Wirtschaft

80 europäische Firmen sind an der „Sentinel-1A“-Mission direkt beteiligt. Mittelbar sollen künftig auch „copernicusvorbereitete“ Unternehmen, die bereits konkreten Bedarf an speziellen Daten aus dem Orbit angemeldet haben, profitieren. Sentinel-Satellitenpaare (A- und B-Variante einer Mission) werden gleichzeitig im Orbit sein und künftig alle sechs Tage den gleichen Punkt auf der Erde überfliegen. Auf diese Weise können Geo-Inventur- und Geo-Planungsdaten u.a. für Bergbau und Rohstoffnutzung generiert werden.

Analysetechniken der Sozialstatistik, die mit Geo-Daten „veredelt“ werden, ermöglichen es Unternehmen, die künftige Nachfrage von bereits auf dem Markt befindlicher Produkte zum Beispiel im Bereich Verkehr und Logistik neu zu bewerten. Die automatisierte Auswertung der multispektralen Satellitenbilder, die in einer Auflösung von bis zu zehn Metern vorliegen werden, ist dabei eine der zentralen Herausforderungen.

Eine Chance für mittelständische Unternehmen, sich mit neuen IT-Produkten auf dem deutschen und europäischen Markt zu etablieren. Gesucht werden Anwendungen (Programme/Apps), mit denen industrielle und gewerbliche Nutzer genau die Daten aus dem „Copernicus“-Datenstrom aufbereitet auf den PC bzw. das Smartphone bekommen, die sie benötigen – kontinuierlich und zuverlässig. Das können beispielsweise Forst- und Landwirte sein, die sich über die Entwicklung von Schädlingspopulationen informieren lassen, um rechtzeitig gegensteuern zu können.

Einsatz in Forst- und Landwirtschaft

Dass die Natur eine Bildsprache spricht, die von Satelliten aufgezeichnet werden kann, macht sich die Forst- und Landwirtschaft längst zunutze. Seit 2005 hat die Fernerkundung auch ein Auge auf die Wälder und Felder von 25 EU-Mitgliedsstaaten – ein Angebot, das allerdings für die Nutzer bislang nicht kostenlos ist. Unbefriedigend bisher war, dass zum Beispiel temporäre Brachflächen sich oftmals nicht von Grünflächen unterscheiden ließen, was Probleme bei der EU-weiten Kontrolle der Agrarsubventionen (ordnungsgemäße Verwendung von Fördergeldern) verursachte.

Mit dem „Copernicus“-Programm verbindet sich die Hoffnung, dass die Satellitendaten exakter werden und auch privaten Land- und Forstwirten bezahlbare Geo-Daten zur Verfügung stehen. Beispielsweise werden sich ertragsmindernde Anbaubereiche dank Biomasseanalyse aus dem All künftig exakt eingrenzen lassen, sodass künftig nur noch dort gedüngt werden muss, wo es tatsächlich notwendig ist: In naher Zukunft wird sich dann – vielleicht auch via Smartphone-App – die Frage beantworten lassen, welcher Standort sich für welche Weizensorte besonders eignet.

Ob dann beispielsweise der mittels Algorithmen prognostizierte Ernteertrag mit dem tatsächlichen Ertrag übereinstimmt, unterliegt – was die Daten aus dem All betrifft – der Kontrolle durch den „Satelliten-TÜV“ des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Deren Bodenstation in Neustrelitz (Mecklenburg-Vorpommern) erstellt als eine von fünf Stationen weltweit den Weltraumwetterbericht für die NASA und arbeitet u.a. mit der Universität Würzburg und der Technischen Universität München zusammen. In der Station laufen in einem einzigartigen Satelliten-Kontrollprojekt auf einer Referenzfläche Vergleichsdaten zusammen, die auf einer 30 000 Hektar großen landwirtschaftlich genutzten Beobachtungsfläche bei Demmin gewonnen werden. Die auf der Referenzfläche gesammelten Daten werden ständig mit den Daten aus dem Orbit abgeglichen, um zu garantieren, dass der Datenlieferant aus dem All kontinuierlich fehlerfrei arbeitet.

Die Land- und Forstwirtschaft ist nur eines von vielen möglichen Anwendungsgebieten der Satelliten-Daten, ein weiteres ist die verbesserte Warnung vor Gesundheitsgefahren. Wie lange darf man wann wo in der Sonne sein, ohne sich dem Risiko von Hautkrebs auszusetzen? Nach welchem Zeitplan muss ich meine Medikamente rechtzeitig vorbeugend einnehmen, um dem Einsetzen der Birkenblüte vor meinem Haus zu trotzen? Satellitenbasierte Daten werden solche Fragen künftig besser und früher beantworten können.

Große Fortschritte erwarten Experten auch für die Regional- und Städteplanung: Vom All aus können Wissenschaftler und Planer beispielsweise das Wachstum der Städte oder Umweltbelastungen besser kontrollieren. So lässt sich aus dem Orbit frühzeitig erkennen, welches Ausmaß die Flächenversiegelung angenommen hat und wie sich die vom Menschen verursachte Luftverschmutzung entwickelt.

Auszahlen dürften sich die neuen technischen Möglichkeiten auch bei Naturkatastrophen: Bei der Hochwasserkatastrophe im vergangenen Jahr standen den Einsatzkräften in Bayern oft keine Satellitenbilder zur Lagebeurteilung zur Verfügung bzw. die Bilder waren nicht tagesaktuell. Von Copernicus und den politischen Entscheidern erhoffen sie sich einen kostenlosen, frei zugänglichen Echtzeit-Zugang zu den entsprechenden Daten und Diens-ten sowie ein Langzeitarchiv mit Geodaten. Damit wäre es auch möglich, Deichbrüche exakt zu simulieren und schon vor dem Eintritt von Katas-trophen vorbeugend tätig zu werden.

Infrastruktur für Big Data

Die Verantwortung für das Copernicus-Programm und die Bereitstellung der Datenzugänge für die EU-Mitgliedsstaaten liegt bei der EU-Kommission. Der ab Herbst erwartete Datenstrom aus dem internen Copernicus-Netz über den deutschen Datenknoten misst sich in Petabytes. Das sind Datenmengen, die man beherrschen lernen muss.

Das Bundesinnenministerium hat deshalb bereits im Jahr 2011 den Auftrag erteilt, bis 2017 eine „Big Data“-Infrastruktur zu etablieren. Eine nationale Copernicus-Plattform soll die Daten organisieren, Nutzern zugänglich machen, Systeme zur echtzeitfähigen Datenverarbeitung bereit halten und die Interoperabilität zwischen Datensystemen sichern, die bereits national genutzt werden.

Zugang zu den digitalen Rohdaten wird es über kostenlose Direktzugänge für registrierte Nutzer und Nutzergruppen sowie mittelbar durch die zum Teil kostenpflichtige Nutzung von Copernicus-Diensten (aufbereitete Daten) geben.

Ob dabei die Daten zu den Nutzern oder die Nutzer aufgrund begrenzter Übertragungsbandbreiten zu den Daten kommen (müssen), ist eine noch offene Frage. Klar ist, dass die künftigen Nutzer ihren Datenbedarf exakt eingrenzen sollten, um die Datenströme zu minimieren. Ein Zugriff auf alle nationalen „Copernicus“-Daten ist theoretisch im Rahmen eines wissenschaftlichen Zugangs für registrierte Nutzer über ein noch aufzubauendes deutsches „Copernicus“-Archiv möglich.

Autor/in: 
Matthias Metzner
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 06|2014, Seite 44

 
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