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Freihandelsabkommen

Über den Atlantik

Die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) wird kontrovers diskutiert. Eine Bestandaufnahme. Von Melanie Kreß

Schon 18 Jahre liegen die Anfänge der derzeit verhandelten „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ (TTIP) zwischen der EU und den USA zurück. Damals machte Bundesaußenminister Klaus Kinkel einen ersten Vorschlag für ein umfangreiches Freihandelsabkommen zwischen den beiden größten Märkten der Welt, das über die reine Abschaffung der Zölle hinausgehen sollte. Im Juli 2013 wurde schließlich die erste Verhandlungsrunde aufgenommen. Die öffentlichen Wahrnehmung wird geprägt durch Furcht um die hohen deutschen Standards im Umwelt- und Verbraucherschutz. Beispiele sind die Diskussionen um Chlorhühnchen und Hormonfleisch.

Doch die Europäische Kommission als Verhandlungsführer auf europäischer Seite hat klar gestellt: Die Regelungen zum Schutz europäischer Verbraucher seien ebenso wenig verhandelbar wie der Bereich der regionalen Daseinsvorsorge, die Grundlage seien die entsprechenden europäischen Richtlinien und nationalen Gesetze. Diese Auffassung teilt die EU-Kommission auch mit der amerikanischen Regierung, wie auch vor Kurzem auf einer TTIP-Konferenz in München deutlich wurde. Dort stellte sich Elena Bryan, Senior Trade Representative der US-Botschaft bei der EU, den kritischen Fragen der Verbraucherschützer und Bauernverbände. Bryan unterstrich, dass die nationale Regulierungshoheit durch TTIP nicht beeinträchtigt werde.

Streitthema Agrarprodukte

Die Schärfe, mit der die entsprechenden Interessenvertreter ihre Argumente gegen TTIP vorbringen, steht im Gegensatz zu den wirtschaftlichen Dimensionen: Denn der Anteil der Agrarprodukte am gesamten Handel zwischen der EU und den USA ist im Grunde zu vernachlässigen. Das gilt auch für den Freistaat Bayern: Nur rund ein Prozent der eingeführten Agrarprodukte und Lebensmittel stammen aus den USA. Dennoch sind Themen wie Lebensmittelsicherheit und Agrarpolitik natürlich sensibel, weshalb die bestehenden Ängste bei den TTIP-Verhandlungen ernst genommen werden müssen.

Investitionsschutz

Die Gemüter werden außerdem durch das Thema Investitionsschutz erhitzt, das aber als deutsche „Erfindung“ angesehen werden kann. Das erste Abkommen zum gegenseitigen Schutz von Investitionen überhaupt wurde im Jahr 1959 zwischen Deutschland und Pakistan unterzeichnet. Bis heute hat Deutschland mit rund 130 Staaten Investitionsförderungs- und -schutzverträge abgeschlossen. Selbst innerhalb der EU bestehen rund 200 Investitionsschutz-Verflechtungen (sogenannte Intra-EU BITs, Bilateral Investment Treaties). Weltweit sind etwa 3 400 Investitionsschutzabkommen in Kraft. Besonders wichtig sind sie in Regionen mit unsicherer Rechtslage, um für die notwendige Planungssicherheit zu sorgen und um Auslandsinvestitionen durch einen effektiven Rechtsschutz vor Enteignung zu schützen.

Die Debatte, ob ein Investitionsschutzabkommen zwischen Staaten mit hoch entwickelten Rechtsschutzsystemen überhaupt notwendig ist, wird derzeit intensiv geführt. Als Reaktion darauf wurden die TTIP-Verhandlungen in diesem Punkt vorläufig ausgesetzt. Die EU-Kommission hat gleichzeitig ein öffentliches Konsultationsverfahren initiiert und den Bürgern ermöglicht, sich online an der Diskussion zu beteiligen. Damit kommt die EU auch den Forderungen nach mehr Transparenz und nach einer stärkeren Beteiligung der Öffentlichkeit entgegen. Sollten die Verhandlungspartner zu dem Ergebnis kommen, dass der Freihandelspartnerschaft auch ein Investitionsschutzabkommen beiseite gestellt werden soll, so muss aus Sicht der deutschen Wirtschaft die richtige Balance hergestellt werden zwischen Investitionsschutz auf der einen und staatlicher Regulierungshoheit auf der anderen Seite.

Freihandel als Grundlage des Wohlstands

Eine nüchterne Betrachtung der Fakten lenkt den Blick weg von Gen-Food, NSA-Abhöraffäre und anderen Aspekten, die derzeit das USA-Bild der Europäer trüben, und hin zu den historischen Chancen, die das Abkommen gerade für Deutschland bieten würde. Denn Deutschland ist wie kaum ein anderes Land durch seine starke Exportwirtschaft auf offene Märkte und freien Handel angewiesen.

Im Zentrum der Verhandlungen steht nach wie vor der Freihandelsgedanke – im Kern also die gegenseitige Erleichterung des Marktzugangs für Waren und Dienstleistungen. „Der erfolgreiche Abschluss eines transatlantischen Abkommens würde den gemeinsamen Handel beleben und dem Ziel dienen, Wohlstand und Wirtschaftswachstum zu generieren, Arbeitsplätze zu schaffen und Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen“, so IHK-Hauptgeschäftsführer Markus Lötzsch. Die Tragweite wäre enorm, weil die USA der größte Handelspartner der EU sind und die beiden Verhandlungspartner gemeinsam 47 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) erzielen und rund ein Drittel des weltweiten Handels abwickeln.

Erwartungen der Unternehmen

Für deutsche Produkte und Dienstleistungen sind die Vereinigten Staaten seit langem der größte außereuropäische Absatzmarkt. 3 500 deutsche Unternehmen haben bislang rund 216 Mrd. Dollar in den USA investiert und dort 580 000 Arbeitsplätze geschaffen. Laut der aktuellen Untersuchung „Going International“ des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) halten rund 60 Prozent der deutschen exportierenden Unternehmen ein Abkommen daher für „wichtig“ oder „sehr wichtig“. (www.ihk-nuernberg.de/going-international). Befragt wurden die Unternehmen auch über ihre Erwartungen an die TTIP: Ganz oben auf der Wunschliste für Handelserleichterungen stehen die Anpassung bzw. die gegenseitige Anerkennung von Normen, Standards und Zertifizierungen. Diese sind bislang mit einem hohen Kosten- und Zeitaufwand verbunden und insbesondere für den deutschen Mittelstand ein maßgeblicher Faktor bei der Entscheidung für oder gegen ein Engagement auf dem US-Markt. An zweiter Stelle nennen die befragten Unternehmen den Abbau von Zöllen. Zwar sind die Importzölle im Handel zwischen der EU und den USA im weltweiten Maßstab vergleichsweise niedrig, doch angesichts des enormen Exportvolumens würde die Abschaffung der Zölle laut DIHK einer Kostensenkung um mehr als zwei Mrd. Euro entsprechen. Zudem erhofft sich der Studie zufolge jedes vierte Unternehmen kostengünstigere Wege, um Streitigkeiten zwischen Geschäftspartnern beizulegen. Der DIHK weist zudem darauf hin, dass Unternehmen mit hohen Auslandsinvestitionen auch mehr im Inland investieren und hierzulande überdurchschnittlich viele Arbeitsplätze schaffen. Auch in dieser Hinsicht sei ein freier Welthandel bedeutsam.

Vorbild für andere Weltregionen

TTIP würde nicht nur den Handel über den Atlantik fördern, sondern darüber hinaus eine Vorbildfunktion entfalten. Es ergibt sich die historische Möglichkeit, eine Blaupause für weltweite Standards und potenziell auch für Investitionsschutzabkommen zu entwickeln. Insbesondere im Asien-Pazifik-Raum nimmt die Zahl der Freihandelsinitiativen stark zu, sodass sich die handelspolitische Weltkarte über kurz oder lang verändern wird. Eine verstärkte Zusammenarbeit von EU und USA bei der gemeinsamen Setzung von Normen, Regeln und Standards könnte somit auch für den Welthandel wegweisend sein. Modellcharakter wird TTIP jedoch nur erlangen, wenn sich die Verhandlungsergebnisse an dem orientieren, was von den Betroffenen – also von Bürgern, Verbrauchern und Unternehmern – als zweckmäßig in der Umsetzung empfunden wird. Elena Bryan erklärte deshalb bei der Tagung in München, die Regeln würden nur dann optimale Wirkung entfalten, wenn alle Betroffenen sie auch mitgestalten können.

Engagement der IHKs

Die IHK-Organisation befasst sich intensiv mit dem Thema TTIP. So begleitete IHK-Hauptgeschäftsführer Markus Lötzsch im Frühjahr Bayerns Europaministerin Dr. Beate Merk als Vertreter der bayerischen IHKs auf einer Expertenreise nach Washington. Dies war die erste Auslandsreise eines Landesministeriums zu diesem Thema. Die Delegation des Freistaats führte Gespräche mit Außenhandelsexperten der US-Regierung, politischen Meinungsmachern (Vertretern sogenannter Thinktanks) sowie mit Repräsentanten der deutschen Politik und Wirtschaft in den USA. Die Erfahrungen und Erkenntnisse aus diesen Gesprächen finden Eingang in die Positionierung der bayerischen IHKs, aber auch in das Positionspapier, das der DIHK erarbeitet hat. DIHK-Präsident Dr. Eric Schweitzer bringt die Positionen der deutschen Wirtschaft auch in den von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel einberufenen TTIP-Beirat ein, der am 21. Mai 2014 zum ersten Mal zusammentrat. Diesem Gremium gehören 20 Mitglieder an, darunter u.a. Vertreter der Wirtschaft sowie von Verbraucher- und Naturschutzverbänden. Es soll dazu beitragen, die Transparenz der Verhandlungen sowie die gesellschaftliche Akzeptanz von TTIP zu erhöhen.

Die IHK Nürnberg für Mittelfranken wird sich weiterhin aktiv für dieses Thema einsetzen, denn auch die mittelfränkische Wirtschaft ist eng mit den USA verflochten. Rund 790 Unternehmen unterhalten Geschäftsbeziehungen mit US-Partnern, 300 von ihnen sind in den Vereinigten Staaten dauerhaft in Form von Vertretungen, Niederlassungen, Produktionsstätten und Joint-Ventures aktiv. Bereits seit vielen Jahren sind die USA das bedeutendste Zielland für Auslandsinvestitionen mittelfränkischer Firmen.

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 07|2014, Seite 22

 
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