Telefon: +49 911 1335-1335

Bilanzpolitik im Mittelstand

Flexible Positionen

Instrumente Management © vectorikart - ThinkstockPhotos

Das Bilanzrecht eröffnet viele Möglichkeiten, um zentrale Kennzahlen der Unternehmensbilanz zu beeinflussen.

Wie kann man die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage eines Unternehmens gezielt beeinflussen und sich dabei im Rahmen der Bilanzierungsnormen bewegen? Diese Möglichkeit eröffnet die Bilanzpolitik, die nicht nur den Jahresabschluss, sondern sämtliche publizierten Unternehmensinformationen umfasst. Sie richtet sich damit an eine Vielzahl von Stakeholdern – von Banken und Investoren über Lieferanten und Kunden bis hin zu Konkurrenten. Dabei ist eines vorab klarzustellen: Bilanzpolitik hat nichts mit Bilanzfälschung oder Bilanzbetrug zu tun. Bilanzpolitik bewegt sich immer innerhalb der rechtlichen Rahmenbedingungen der Bilanzierung und ist somit ein legitimes Mittel zur Erreichung der Unternehmensziele.

Je nach strategischer Zielstellung und aktueller Situation kann die Bilanzpolitik unterschiedliche Ausrichtungen verfolgen: Während bei der progressiven Bilanzpolitik die Unternehmenslage „verschönert“ dargestellt wird (z.B. zwecks Unternehmensverkauf oder  Kapitalaufnahme), zielt die konservative Bilanzpolitik darauf ab, die Lage „schlechter“ darzustellen als die Realität (z.B. aus steuerlichen Gründen oder bei Preisverhandlungen mit Lieferanten). Schließlich gibt es die bilanzpolitische Strategie der vagen Information, bei der möglichst wenig über die tatsächliche Situation preisgegeben werden soll, beispielsweise um Konkurrenten darüber im Unklaren zu lassen ob bzw. wie attraktiv ein (neues) Marktsegment tatsächlich ist.

Unternehmen, die Bilanzpolitik strategisch einsetzen, können in vielen Bereichen profitieren, z.B. bei der Kreditvergabe (Stichwort Rating). Banken setzen vor allem bei Entscheidungen über kleinere Kredite zunehmend auf standardisierte Prozesse, bei denen zumeist quantitative Aspekte und Kennzahlen (z.B. Eigenkapitalquote, Gesamtkapitalrentabilität, Liquiditätsgrad) eine tragende Rolle spielen. Genau diese können durch bilanzpolitische Maßnahmen beeinflusst werden, wodurch die Chance auf ein besseres Kreditrating deutlich steigen kann. Auch bei Verhandlungen mit Lieferanten, Großkunden und strategischen Partnern spielt die wahrgenommene Vermögens-, Finanz- und Ertragslage eines Unternehmens eine immer wichtigere Rolle, ebenso bei der Teilnahme an Ausschreibungen und öffentlichen Projekten.

Unternehmen können im Rahmen der Bilanzpolitik auch Einfluss auf wichtige Größenklassenkriterien (insbesondere die Bilanzsumme) nehmen und dadurch beispielsweise von bestimmten Publizitätspflichten befreit werden oder für staatliche Fördermittel in Frage kommen, die von der Betriebsgröße abhängig sind. Selbst für (potenzielle) Mitarbeiter spielen die „harten Fakten“ im Jahresabschluss eine immer wichtigere Rolle: Gut ausgebildete Fachkräfte werfen auch einen Blick auf die bilanzielle Gesundheit eines potenziellen Arbeitgebers, bevor sie ihren Arbeitsvertrag unterschreiben – oder den Arbeitgeber wechseln.

Instrumente der Bilanzpolitik

Die Bandbreite des bilanzpolitischen Instrumentariums ist riesig und beinhaltet viel mehr als nur bilanzbuchhalterische Möglichkeiten. In erster Linie können drei Bereiche unterschieden werden:

  • Reale Bilanzpolitik: Darunter versteht man die aktive Gestaltung der „realen“ Geschäftsvorfälle, bevor diese eintreten. Beispiele: Verschiebung einer Werbekampagne ins Folgejahr (Gewinn steigt), Vorziehen von Instandhaltungsarbeiten ins alte Jahr (Gewinn fällt), Nutzung von Leasing anstatt Kauf eines Pkw (Bilanzsumme sinkt) oder konsequentes Forderungsmanagement zum Jahresende (Liquidität steigt).
  • Materielle Bilanzpolitik: Hier wird gesteuert, wie ein Geschäftsvorfall in der Bilanz abgebildet wird, um auf diese Weise die Höhe ausgewiesener Abschlusspositionen wie z.B. Gewinn oder Eigenkapitalquote zu beeinflussen. Dies kann geschehen, indem beispielsweise bilanzielle Wahlrechte oder Ermessensspielräume genutzt werden.
  • Formelle Bilanzpolitik: Sie nimmt Einfluss auf die Art und Weise, in der Form, Struktur, Detaillierungsgrad und Ausgestaltung der publizierten Angaben dargestellt werden – jedoch ohne dass die Höhe der bilanziellen Positionen beeinträchtigt wird. Dies kann beispielsweise dadurch geschehen, dass über die Pflichtangaben hinaus zusätzliche Informationen bereit gestellt werden. Genutzt wird diese Möglichkeit von Unternehmen, um Transparenz zu signalisieren oder um gezielt wichtige und vorteilhafte Aspekte zu thematisieren (z.B. Nachhaltigkeit, Familienfreundlichkeit).

Strategischer Einsatz

Dieses breite Spektrum an Möglichkeiten gilt es strategisch zu nutzen. Bilanzpolitik sollte dabei immer bewusst und zweckorientiert eingesetzt werden, d.h. sie sollte auf die (kommunikativen) Ziele des Unternehmens ausgerichtet werden. Dafür ist eine gezielte Strategie mit einer klaren Zielstellung unerlässlich. Insbesondere die Fragen nach den Zielgruppen (Wer soll angesprochen werden – Banken, Lieferanten, Mitarbeiter usw.?) und nach der grundsätzlichen Ausrichtung (progressiv, konservativ oder vage?) der Bilanzpolitik sind von entscheidender Bedeutung. Außerdem müssen alle relevanten Bereiche des Unternehmens einbezogen werden, z.B. auch die Verantwortlichen für Unternehmenskommunikation und Personalwesen, um nach außen ein einheitliches Bild zu vermitteln.

Welche Auswirkungen der strategische Einsatz bilanzpolitischer Maßnahmen haben kann, zeigt das Beispiel eines fränkischen Mittelständlers aus der Baubranche. Das Unternehmen nutzte ausgewählte bilanzpolitische Instrumente – u.a. wurde die Ausübung des Wahlrechts bezüglich erhaltener Anzahlungen auf Bestellungen (§268 Abs. 5 S2 HGB) verändert, sodass Anzahlungen und zugehörige Vorräte saldiert werden können. Dadurch wurde die Bilanzsumme deutlich verringert. Außerdem verbesserten sich durch die neue Bilanzpolitikstrategie ausgewählte, ratingrelevante Kennzahlen substanziell: Die Eigenkapitalquote stieg von zuvor unter 20 auf über 40 Prozent, die Gesamtkapitalrentabilität von vorher ca. 1,5 Prozent hat sich mehr als verdreifacht, und die Liquidität zweiten Grades verbesserte sich von ca. 25 auf über 100 Prozent.

Grenzen der Bilanzpolitik

Trotz der umfangreichen Möglichkeiten der Bilanzpolitik sind dem Einsatz der Instrumente klare Grenzen gesetzt. Neben den rechtlichen Rahmenbedingungen existiert eine Vielzahl weiterer Aspekte, die die Bilanzpolitik einschränken: Kompensierende Gegeneffekte (Beispiel: Das Verschieben einer Werbekampagne erhöht zwar den Gewinn im aktuellen Jahr, verringert ihn aber im Folgejahr.), Transparenzvorgaben (z.B. Angaben im Anhang) und Kosten-Nutzen-Überlegungen. Auch moralisch-ethische Überlegungen sind zu berücksichtigen, ebenso wie mögliche negative Konsequenzen auf das operative Geschäft. Zudem sollte immer das übergeordnete Ganze im Blick behalten werden, d.h. die Auswirkungen jeder bilanzpolitischen Maßnahme insbesondere auf nicht-bilanzielle Aspekte müssen genau analysiert werden. Beispielsweise macht es keinen Sinn, ein Forschungs- und Entwicklungsprojekt aus rein bilanzpolitischen Gründen (Gewinn im alten Jahr erhöhen) in das Folgejahr zu verschieben, wenn das Unternehmen dadurch Gefahr läuft, ein neues Produkt erst nach der Konkurrenz fertigstellen und einführen zu können.

Insgesamt gesehen stellt die Bilanzpolitik ein wichtiges strategisches (Kommunikations-) Instrument dar, das für kleine und mittlere Unternehmen von großem Nutzen sein kann. Das aktuell häufigste Motiv für ihren Einsatz ist es, das Rating gegenüber Kapitalgebern zu verbessern. Aber die Einsatzmöglichkeiten gehen weit darüber hinaus.

Autor/in: 

Prof. Dr. Sebastian Serfas lehrt u.a. Rechnungswesen, Bilanzpolitik und Bilanzanalyse an der FOM Hochschule in Nürnberg und berät Unternehmen bei strategischen und operativen Fragestellungen (www.fom-nuernberg.de; sebastian.serfas@fom.de).

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 04|2015, Seite 44

 
Device Index

Alle Ansprechpartner/innen auf einen Blick