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Familiengesellschaften

Nachzahlung droht

Viele Unternehmen laufen Gefahr, dass die Sozialversicherung Nachforderungen für mitarbeitende Familienangehörige stellt.

Wie sind mitarbeitende Angehörige in Familienunternehmen sozialversicherungsrechtlich einzustufen – als selbstständige Unternehmer oder als abhängig beschäftigte Mitarbeiter, für die Beiträge an die Sozialversicherung abgeführt werden müssten? Vor allem auf Familiengesellschaften mit Minderheitsgesellschaftern, die diesen Aspekt nicht eindeutig geklärt haben, könnten hohe Nachforderungen von den Sozialversicherungen zukommen. Denn das Bundessozialgericht (BSG) hat in einem Urteil aus dem Jahr 2012 (Aktenzeichen B 12 KR 25/10 R) eine neue Rechtsauffassung festgeschrieben, die manche Familien-GmbH in gefährliche Schieflage bringen kann.

In der Praxis war es oft schwer zu beurteilen, ob mitarbeitende Familienangehörige als Unternehmer oder als abhängig Beschäftigte einzuordnen sind. In der Rechtsprechung hatten sich deshalb im Laufe der Zeit bestimmte Indizien herausgebildet, an Hand derer die Unterscheidung vorgenommen werden kann. So gingen die Gerichte bei mitarbeitenden Familienangehörigen bis zum zitierten BSG-Urteil von einer unternehmerischen Tätigkeit aus, wenn z.B. folgende Voraussetzungen gegeben waren: weisungsfreie Tätigkeit, unternehmerisches Risiko und alleinige Branchenkenntnisse, über die sonst niemand im Betrieb verfügt Oder um es anders auszudrücken: Wenn beispielsweise der mitarbeitende Junior-Chef als „Seele“ des Betriebs angesehen wurde und er weitgehend frei handeln konnte, galt er als Unternehmer und musste deshalb keine Beiträge an die Sozialversicherung abführen. Für die Gerichte waren also die tatsächlichen Entscheidungsbefugnisse im Unternehmen entscheidend, dazu zählte auch das Recht, als Geschäftsführer mit sich selbst Geschäfte zu machen (Befreiung vom sogenannten Selbstkontrahierungsverbot, die im Handelsregister eingetragen werden muss). Die Frage, ob ein mitarbeitender Familienangehöriger mit einer solchen verantwortlichen Stellung auch eine Kapitalbeteiligung an der Familiengesellschaft hielt, war dagegen eher zweitrangig.

Dies hat sich mit dem BSG-Urteil geändert, das nun die Aspekte Kapitalbeteiligung und „Rechtsmacht“ ein weitaus größeres Gewicht gab als dies früher der Fall war. Dem Urteil lag folgender Fall zugrunde: Ein Vater (GmbH-Alleingesellschafter) hatte die Leitung des Unternehmens an seine beiden Kinder übertragen. Seinen Sohn hatte er aufgrund von dessen Erfahrungen und Kenntnissen als „Kopf und Seele“ des Betriebes sowie als Verantwortlichen für den technischen Bereich eingesetzt und mit den entsprechenden Vollmachten ausgestattet. Außerdem wurde schriftlich festgelegt, dass der Sohn durch eine Gewinntantieme am betrieblichen Erfolg beteiligt und vom sogenannten Selbstkontrahierungsverbot befreit wird. Der Vater verzichtete zudem auf sein Weisungsrecht und gestattete eine Arbeits- und Urlaubszeit nach Lage der Gesellschaft.

All dies sei nicht der springende Punkt, so die Richter des BSG, vielmehr komme es auf die im Gesellschaftsvertrag getroffenen Vereinbarungen an. Im konkreten Fall sei ausschlaggebend, dass die „Rechtsmacht“ des Sohnes nicht ausdrücklich im Gesellschaftsvertrag festgeschrieben worden sei. Die tatsächliche Verteilung der Befugnisse im Betrieb reicht nach Auffassung der Richter als alleiniges Kriterium nicht aus, um eine Unternehmer-Eigenschaft zu begründen. Der Sohn sei deshalb als abhängig beschäftigter Arbeitnehmer anzusehen und damit zur Abführung von Beiträgen an die Sozialversicherung verpflichtet.

Auch wenn ein Unternehmer in der täglichen Praxis auf seine Weisungsbefugnis verzichtet, ohne dies ausdrücklich im Gesellschaftervertrag festzuschreiben, kommt es nach Auffassung des Gerichts häufig irgendwann doch zu Meinungsverschiedenheiten über die Geschäftspolitik und zu anderen Konflikten (z.B. zwischen Senior- und Junior-Chef). Bisweilen greift der Senior als Mehrheitseigner dann doch wieder aktiv in das Geschehen ein und zieht erneut unternehmerische Entscheidungen an sich. Die Richter sprechen in diesem Zusammenhang von einer sogenannten „Schönwetter-Selbstständigkeit“: Es könne nicht sein, dass die Unternehmereigenschaft z.B. des Junior-Chefs nur solange gelte, wie es keine Konflikte in der Familie gibt. Deshalb sei die tägliche betriebliche Übung für sich genommen kein ausreichendes Indiz für die Beurteilung der Unternehmer-Eigenschaft und damit der Sozialversicherungsfreiheit.

Dass die „Schönwetter-GmbH“ Familienunternehmen substanziell bedrohen kann, befürchtet Steuerberater Gerhard Gammel von der Nürnberger Kanzlei Gammel Steuerberater Rechtsanwälte und vereidigte Buchprüfer. Denn seit dem BSG-Urteil gehe die Deutsche Rentenversicherung Bund DRB nach seiner Beobachtung bei ihren Prüfungen „offensiver“ vor als in der Vergangenheit. Die Prüfer verweisen dabei häufig auf die fehlende Rechtsmacht bzw. auf eine fehlende Sperrminorität der geschäftsführenden Gesellschafter, die deshalb unternehmerische Entscheidungen im Familienkreis oft nur schwer durchsetzen können.

Ein konkreter Fall: Bei einem mittelständischen Unternehmer mit zwei geschäftsführenden Kindern, die die GmbH-Anteile zusammen mit dem Vater zu gleichen Teilen halten, forderte die DRV in ihrem Bescheid zur sozialversicherungsrechtlichen Statusfeststellung für die vergangenen vier Jahre 165 000 Euro nach. Die Begründung: Aufgrund der Kapitalbeteiligung von je einem Drittel habe keiner der Gesellschafter-Geschäftsführer einen maßgeblichen Einfluss auf die Gesellschaft, die Kinder seien deshalb nicht als Unternehmer anzusehen. Der Betrag war sechs Wochen später fällig, auch ein Widerspruch hat nach Auskunft der DRV keine aufschiebende Wirkung.

Die DRV Bund kann eigenen Angaben zufolge keine konkreten Zahlen nennen, wie viele Bescheide zur Schönwetter-Selbständigkeit seit dem Jahr 2012 erlassen wurden und wie hoch die Nachforderungen durchschnittlich waren. Sie weißt jedoch den Eindruck zurück, es würden offensiv Betriebsprüfungen zu Lasten von Arbeitgebern durchgeführt.

Dennoch zeigt sich Gammel besorgt: Vielen kleineren Familienbetrieben mit einem einstelligen Millionen-Euro-Umsatz drohe angesichts der meist hohen Nachforderungen und der sehr kurzen Zahlungsfrist die Insolvenz. Ähnlich sieht das der Arbeitsrechtler Dr. Christoph Kurzböck von der Nürnberger Kanzlei Rödl & Partner, die eher große, international agierende Familienunternehmen betreut. Auf Kleinunternehmen, bei denen oft der Vater die Geschäfte schrittweise an die Kinder übergibt, oder auf Betriebe mit einer mitarbeitenden Ehefrau könne die neue Rechtsprechung voll durchschlagen. Gleiches befürchtet er auch für zahlreiche GmbHs, die sich in einer Wachstumsphase mit hohem Kapitalbedarf befinden und plötzlich mit hohen Nachforderungen und kurzen Zahlungszielen konfrontiert werden. Von den betroffenen Unternehmen durfte „ein Viertel in arge Schieflage“ kommen, schätzt Kurzböck. Den Unternehmen, bei denen Veränderungen im Gesellschafter- oder Geschäftsführerkreis anstehen, rät er deshalb dringend, auch die sozialrechtlichen Aspekte überprüfen zu lassen.

Allerdings ist noch vieles im Unklaren: So weist das offizielle Portal „Sozialgerichtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland“ (www.sozialgerichtsbarkeit.de) in Sachen Schönwetter-Selbstständigkeit nur 18 Urteile auf, von denen wiederum nur drei rechtskräftig sind. Jeder potenzielle Zweifelsfall sollte deshalb intensiv mit fachkundigen Experten analysiert werden, um unliebsame Überraschungen zu vermeiden.

Autor/in: 

tt.

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 04|2016, Seite 42

 
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