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Werkstätten für Behinderte

Mitten im Arbeitsleben

Werkstätten Noris Inklusion © Thomas Tjiang

Montage von Verteilern für die Antriebstechnik bei Noris Inklusion in Nürnberg.

Die Werkstätten leisten nicht nur wichtige soziale Arbeit, sondern bieten auch ein großes Spektrum für Kunden aus der Wirtschaft.

Beim Begriff Werkstatt sind Assoziationen an Handwerksbetriebe naheliegend. Darüber hinaus kann man aber auch an die Werkstätten für Menschen mit Behinderung denken. Allein in Bayern gibt es über 100 von ihnen, in denen ungefähr 32 000 Frauen und Männer beschäftigt sind. In Mittelfranken arbeiten derzeit mehr als 5 000 Menschen mit Behinderung in den 36 anerkannten Werkstätten.

Das Fürther Café Samocca ist eines der vielen Paradebeispiele für eine gelungene Beschäftigung behinderter Menschen: Die Lebenshilfe Fürth und die Dambacher Werkstätten für Behinderte haben vor zwei Jahren im Herzen der Innenstadt, im ersten Stock des neuen Einkaufsareals Neue Mitte, ein Tagescafé eröffnet, in dem Kaffeespezialitäten, Erfrischungsgetränke, Bio-Tees und Trinkschokoladen serviert werden. Das Franchise-Konzept der Kaffeerösterei Samocca aus Aalen sei aufgegangen, die Resonanz gut, so Rolf Bidner, Geschäftsführer der Dambacher Werkstätten. Ziel sei es, Menschen mit geistiger Behinderung eine attraktive Beschäftigung zu geben. Gleichzeitig wolle man auch einen kostendeckenden Betrieb erreichen.

Grundsätzlich erklären das Neunte Sozialgesetzbuch (SGB IX) und die Werkstättenverordnung (WVO) Begriff und Aufgaben einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM). Demnach ist sie eine Einrichtung zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben und zur Eingliederung in das Arbeitsleben, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden können. Das wird etwa durch eine angemessene berufliche Bildung oder eine Beschäftigung beabsichtigt. Darüber hinaus soll die Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit behinderter Menschen erhalten, entwickelt oder wiedergewonnen werden. In dieses Spektrum gehören ausgelagerte Arbeitsplätze auf den sogenannten ersten, allgemeinen Arbeitsmarkt.

Breites Angebotsspektrum

In Mittelfranken hat sich ein breites Spektrum an Werkstätten in unterschiedlicher Trägerschaft, etwa von Kirchen, Kommunen oder auch speziellen Trägern, herausgebildet. Diese Sozialunternehmen übernehmen auch eine Vielzahl von Auftragsarbeiten oder Dienstleistungen für die Wirtschaft. Dazu gehören beispielsweise Metall-, Holz- oder Kunststoffarbeiten, Elektromontage, digitale Archivierungen oder zertifizierte Aktenvernichtungen, Konfektionierungen oder Versandarbeiten. Aber auch Digital- oder Tampondruck, Lasergravuren, Wäscheservice, Gartenarbeiten, Catering und vieles andere mehr stehen auf der Angebotsliste mittelfränkischer Werkstätten.

Die Dambacher Werkstätten, eine Einrichtung der Lebenshilfe Fürth, beschäftigt insgesamt rund 260 Menschen mit geistiger Behinderung. Sie übernehmen Auftragsarbeiten wie die klassische industrielle Montage oder die Konfektionierung. Die Auftragslage in letzter Zeit beschreibt Dambacher-Chef Bidner als sehr gut. Egal, ob es um Elektromotoren, LED-Lampen oder Bürostuhlmechaniken geht – dank guter Konjunktur werde man gern als „verlängerte Werkbank“ eingesetzt. Aktuell kämen die Auftraggeber wegen ihrer vollen Auftragsbücher oft mit sehr kurzem zeitlichem Vorlauf.

Das fordert den Werkstätten ein hohes Maß an Einsatz und Flexibilität ab, denn anders als in herkömmlichen Betrieben wird in den WfbMs die „Arbeit an die Menschen angepasst“. Im Mittelpunkt stehe der Beschäftigte mit seinen Fähigkeiten, unterstreicht Christian Schadinger, Chef der Noris Inklusion gGmbH, die aus der „Werkstadt für Behinderte der Stadt Nürnberg“ hervorgegangen ist. Dafür werden Arbeitsschritte – für Außenstehende scheinbar umständlich – in viele kleine Einheiten zerlegt. Je nach Aufgabe oder Arbeitsschritt werden eigene Betriebsmittel oder Hilfsvorrichtungen speziell für einen Auftrag gebaut.

Dennoch erfüllen die montierten, gefrästen oder konfektionierten Produkte der Werkstätten immer den Qualitätsanspruch der Kunden. Dafür haben sich die Dambacher Werkstätten etwa nach DIN EN ISO 9001 zertifizieren lassen, in der Regel ist dieses Qualitätsmanagement ein Muss für alle Werkstätten. Denn Auftraggeber aus der Automobilindustrie oder Spielwarenbranche, die beispielsweise zu den Kunden der Werkstätten der Diakonie Neuendettelsau zählen, unterliegen selbst strengen Kontrollen und können keine Abweichungen tolerieren. „Das gilt bis ins kleinste Detail“, führt Sprecher Thomas Schaller aus.

Die Diakonie Neuendettelsau betreibt Werkstätten am Stammsitz sowie in Bruckberg, Gunzenhausen, Rothenburg ob der Tauber und Oberzenn. Der Werkstattneubau in Rothenburg wurde im vergangenen Jahr eingeweiht und bietet insgesamt 60 behinderten Menschen einen Arbeitsplatz. Insgesamt stellt die Diakonie Neuendettelsau mit rund 850 Werkstattplätzen in Mittelfranken knapp 15 Prozent aller Plätze im Regierungsbezirk. Die Einrichtung beschäftigt in ihren Werkstätten in aller Regel Menschen, die mindestens auch eine geistige Behinderung haben.

Der Vorteil für Unternehmen, die die Werkstätten beauftragen, liegt in der räumlichen Nähe, wie Schaller unterstreicht. Denn Kleinauflagen oder terminlich enge Aufträge könnten nicht einfach nach Osteuropa oder Fernost vergeben werden. Deshalb böten die Werkstätten für Unternehmen eine gute Möglichkeit der Flexibilisierung. Die Neuendettelsauer übernehmen etwa die Endmontage und Konfektionierung für Spielzeug und werden auch von der Schreibwarenbranche beauftragt. In Rothenburg ist der Textilbereich angesiedelt, dort wird beispielsweise Berufskleidung mit Firmenlogos bedruckt und mit Mitarbeiternamen bestickt.

Während manche Firmen, vom kleinen Mittelständler bis zum Global Player, regelmäßig Aufträge an die Werkstätten vergeben, kennen zahlreiche andere diese Möglichkeiten überhaupt nicht. Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln hat daher, gefördert vom Bundesarbeitsministerium, das Online-Portal Rehadat-Werkstätten (www.rehadat-wfbm.de) aufgebaut. Es informiert über die Angebote aller anerkannten Werkstätten und bietet für Unternehmen und Behörden die Möglichkeit, wie in einem Branchenverzeichnis nach Auftragsarbeiten, Dienstleistungen und Produkten der Werkstätten zu suchen.

Außenarbeitsplätze

Ebenfalls weitgehend unbekannt sind die sogenannten Außenarbeitsplätze. Hierbei sind die behinderten Menschen zwar weiter bei einer Werkstatt angestellt, arbeiten aber auf einem Außenarbeitsplatz in einer Kundenfirma, beispielsweise als qualifizierter Beikoch in einer Hotelküche. Solche Nischenarbeitsplätze zu finden, ist für Dambacher-Chef Bidner aber nicht einfach. Denn zum einen bedarf es der „Bereitschaft und Offenheit“ im Zielbetrieb, zum anderen müssen ganz spezielle Aufgaben gefunden werden, die den Interessen und Neigungen der behinderten Menschen entsprechen. Die Diakonie Neuendettelsau hat insgesamt zehn Personen auf solchen Einzel-Außenarbeitsplätzen, die Dambacher Werkstätten aktuell fünf Beschäftigte.

Arbeitgeber, die nicht die vorgeschriebene Zahl von schwerbehinderten Mitarbeitern im eigenen Betrieb beschäftigen und daher eine Ausgleichsabgabe zu entrichten haben, können von einem vergebenen Werkstattauftrag profitieren. 50 Prozent des Rechnungsbetrages von anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen oder Blindenwerkstätten, der auf die Arbeitsleistung der Werkstatt entfällt, können von der fälligen Ausgleichsabgabe abgezogen werden. Gleiches gilt für den Betrag, den ein Arbeitgeber an die WfbM für den Einsatz des Beschäftigten auf einem Außenarbeitsplatz zahlt. Der Beschäftigte selbst wird bei der Berechnung der vorgeschriebenen Schwerbehindertenquote aber nicht mitgezählt.

Der Bezirk Mittelfranken ist als überörtlicher Sozialhilfeträger mit zuständig für die Finanzierung der WfbMs. Im letztjährigen Bezirkshaushalt waren dafür über 85 Mio. Euro veranschlagt. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM), die bundesweite Interessenvertretung der Werkstätten, zieht trotz dieser Ausgaben eine positive Bilanz: Die Werkstätten verbesserten nicht nur die Lebensqualität von Menschen mit Behinderung, sie seien auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, denn die investierten öffentlichen Mittel würden nicht einfach verbraucht, sondern seien vielmehr gut angelegt. Eine bundesweite Studie zum Social Return on Investment (SROI) kam zu einem positiven Ergebnis: Werkstätten und ihre Mitarbeiter führen Steuern und Sozialbeiträge ab, vermeiden an anderer Stelle Kosten für die öffentliche Hand und erzeugen direkte und induzierte wirtschaftliche Effekte. In Summe verschaffen Werkstätten der öffentlichen Hand demnach pro Jahr Einnahmen und Einsparungen in Höhe von etwa sechs Mrd. Euro, dem stehen Investitionen von 5,6 Mrd. Euro gegenüber. Das Fazit der Bundesarbeitsgemeinschaft: „100 Euro, die in Werkstattleistungen investiert werden, erzeugen also eine Wertschöpfung von 108 Euro.“

Autor/in: 

tt.

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 03|2017, Seite 26

 
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