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Energieeffizienz

Weniger ist mehr

Wissenschaftler aus der Region Nürnberg forschen an den ¬Bau¬materialien und Energietechnologien der Zukunft.

In Herzogenaurach entstehen gerade acht Reihenhäuser, die es in sich haben: Sie werden als Plus­energie-Gebäude gebaut und sollen mehr Energie erzeugen, als sie verbrauchen. Damit übertreffen sie deutlich die Standards von Niedrigenergie- und Passivhäusern. Sie sind Teil des Forschungsprojekts „HerzoBase-Energiespeicherhäuser“, mit dem neuartige Komponenten für die Gebäudehülle und die Gebäudetechnik entwickelt werden und das durch das Energieforschungsprogramm des Bundeswirtschaftsministeriums gefördert wird. Die Federführung bei diesem Verbundvorhaben des Energie Campus Nürnberg (EnCN) hat die Technische Hochschule Nürnberg (THN) inne, Bauherrin ist die oberfränkische Raab Baugesellschaft. Weitere Partner sind die Stadt Herzogenaurach, die lokale Arbeitsgruppe Agenda 21 sowie Unternehmen aus den Bereichen Baustoffe und technische Gebäudeausrüstung.

Als „Leuchtturmprojekt für energieeffizientes Bauen und nachhaltige Energieversorgung“ bezeichnet Projektleiter Prof. Dr. Wolfgang Krcmar von der THN das Forschungsvorhaben, dessen Ergebnisse auch auf den Büro- und Gewerbebau übertragbar seien. Vier der Häuser werden in zweischaliger Bauweise ausgeführt: Die mit dem Vulkangestein Perlit gefüllten Ziegelwände werden zusätzlich mit einer zwölf Zentimeter dicken Wärmedämmfassade aus Vorsatzziegeln verstärkt, die mit Calostat gefüllt sind. Hierbei handelt es sich um einen neuartigen Dämmstoff der Firma Evonik Industries, der unbrennbar und „atmungsaktiv“ ist und eine minimale Wärmeleitzahl hat. Auch bei der Gebäudetechnik der Reihenhäuser wird auf neueste Technik gesetzt: Dazu gehören eine Photovoltaikanlage (PV) und geothermische Wärmepumpen, die mit einem Batterie- und einem thermischen Speicher gekoppelt sind. Sie sorgen – zusammen mit einem intelligenten Monitoring von Energieerzeugung und Energieverbrauch – für ein optimales Zusammenspiel der Komponenten. „Intelligent“ ist das System auch deswegen, weil es sich an die Verbrauchsgewohnheiten der Bewohner anpasst.

Energie Campus Nürnberg

Die THN-Arbeitsgruppe kann bei diesem Referenzprojekt auf die gesamte Kompetenz des Energie Campus Nürnberg zurückgreifen. An dieser 2011 gegründeten Forschungsplattform haben sich außer der THN vom Start weg die Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), die drei Fraunhofer-Institute IIS, IISB und IBP sowie das Bayerische Zentrum für Angewandte Energieforschung (ZAE Bayern) beteiligt. Gemeinsam wollen sie Technologien für eine sichere, kostengünstige, klimaschonende, akzeptierte und nachhaltige Energieversorgung entwickeln. Schwerpunkte sind u. a. erneuerbare Energietechnik, Energietransport, Speichertechnologie, effiziente Energienutzung sowie Konzepte für den Energiemarkt.

Entsprechend gut sei der EnCN auch bei der Forschung rund um das energieeffiziente Bauen aufgestellt, so Geschäftsführer Dr. Alexander Buchele: „Wir forschen entlang der gesamten Wertschöpfungskette der Energie.“ Damit sei man bundesweit einzigartig – auch wegen der Zusammenarbeit verschiedener Forschungsdisziplinen. Über 100 Wissenschaftler aus 13 Fachrichtungen kooperieren institutionsübergreifend, über 150 Industriepartner begleiten die Arbeit oder sorgen für einen Technologietransfer.

Regenerative Energieerzeugung

Als „Solarfabrik der Zukunft“ gilt das „Technikum für gedruckte Solarzellen“ des EnCN“. Für den Druck von Solarzellen werden zunächst durch neue Synthesewege spezielle Tinten hergestellt, mit der sich Solarmodule auch in Kleinserien kostengünstig produzieren lassen. Diese Solarfolien sind flexibel und können beispielsweise für Fensterbeschichtungen oder Fassadenverkleidung genutzt werden. Darüber hinaus ist es möglich, farbige Solarbilder auszudrucken, die sich auch als energiegewinnendes Firmenschild am Eingang einsetzen lassen.

Speicherung

Die Speicherung regenerativ gewonnener Energie ist eine der Herausforderungen bei der Energiewende: Denn wenn dem produzierten Strom zu wenige Verbraucher gegenüber stehen, müssen Solaranlagen oder Windparks heruntergefahren oder abgeriegelt werden. Die regionale Ballung von PV-Anlagen kann auch dazu führen, dass am Tag erzeugter Strom nicht komplett genutzt werden kann und zu relativ unattraktiven Konditionen in das öffentliche Netz eingespeist werden muss. Demgegenüber könnte abends und nachts mehr regenerativer Strom gebraucht werden, um beispielsweise die Batterien von Elektroautos aufzuladen.

Am EnCN wird daher u. a. an der Energiespeicherung via Wasserstoff getüftelt. Er gehört zu den viel versprechenden Energieträgern der Zukunft, da er vollkommen regenerativ hergestellt werden kann. In seiner Reinform ist es nur unter hohem Druck oder bei extremen Minustemperaturen möglich, ihn zu speichern und zu transportieren. Als eine Lösung, die schon als Durchbruch in der Wasserstoffspeicherung eingestuft wird, gilt die sichere und effiziente Speicherung von Wasserstoff in flüssigen organischen Wasserstoffspeichern, sogenannter Liquid Organic Hydrogen Carrier (LOHC). Dieser LOHC kann bei Umgebungsbedingungen transportiert und gelagert werden. Weder hoher Druck noch niedrige Temperaturen werden benötigt. Darüber hinaus wird die Speicherung von Wasserstoff in Methanol oder Ameisensäure untersucht. Außerdem beschäftigen sich die Teams am EnCN beispielsweise mit intelligenten stationären Batteriesystemen auf Basis von Lithium-Ionen-Batterien. In einem internationalen Projekt wurde ein spezielles Batteriemodul zum Laden von E-Fahrzeugen entwickelt.

Effiziente Energienutzung und Monitoring

Der größte Anteil des Energiebedarfs in Gebäuden entfällt auf die Wärmeerzeugung; auch die Kühlung, die zumeist durch elektrisch betriebene Kompressionskältemaschinen gewährleistet wird, verbraucht viel Energie. Deshalb soll das von der EU geförderte Forschungsprojekt „Sensible“ („Storage Enabled Sustainable Energy for Buildings and Communities“) in Zusammenarbeit mit Siemens für mehr Effizienz sorgen. Im Mittelpunkt steht auch hier die Frage, wie Energieerzeugung und -verbrauch – gerade angesichts der schwankenden Stromproduktion von Wind- und Solaranlagen – besser aufeinander abgestimmt werden können. Für ein Gleichgewicht sind elektrische Speicher, aber auch flexible Energieverbraucher notwendig, die ihren Energiebedarf an die jeweilige Verfügbarkeit von erneuerbar erzeugtem Strom anpassen können.

Ein anderer Ansatz, um Stromspitzen aus regenerativer Erzeugung abzufangen und eine Überlastung der Netze zu vermeiden, ist der Einsatz von sogenannten Micro Grids. Erzeugung, Verbrauch und Speicher sind hier in einer Einheit zusammengeführt, sodass dieses System im Idealfall ohne Einspeisung in das bzw. ohne Bezug aus dem Netz auskommt. Ein Beispiel ist die Pilotanlage des EnCN für das Klärwerk 1 der Stadt Nürnberg: Dort produzieren eine Photovoltaik- und eine Windkraftanlage mit Batteriespeicher den Strom autark vom Stromnetz. Für eine verbesserte Effizienz arbeitet das Micro Grid, anders als die etablierte Wechselstromtechnik, bei der elektrischen Energieversorgung auf Gleichstrombasis, womit technologisches Neuland betreten wird.

Ein weiterer Ansatz aus dem EnCN-Portfolio ist das Energiemanagement für intelligente, vernetzte Smart Buildings. Mit der Fraunhofer-Lösung Omega 2.0 lassen sich die verschiedenen Systeme, Komponenten und Applikationen für das Energie- und Gebäudemanagement bündeln, um Gebäudefunktionen mit Hilfe von Smartphones beobachten und steuern zu können. In die modular aufgebaute Plattform können beliebig viele Ergänzungen und Erweiterungen vorgenommen werden. PV-Anlagen oder Kraftwärmekopplungs-Anlagen können ebenso eingebunden werden wie Haushaltsgeräte oder die Beleuchtung.

Dämmung

Eine effektive Wärmedämmung zählt zu den wichtigsten Faktoren bei der angestrebten Energieeffizienz von Gebäuden. Sowohl für Neubauten als auch für die Altbausanierung entwickeln die THN-Werkstofftechniker neue Dämmkonzepte. In Kooperation mit der Freien Universität Berlin werden Baustoffe mit neuartigen Nanofasern ausgerüstet und damit die Wärmedämmung von Wandbaustoffen weiter verbessert. „Dadurch entsteht eine neue Klasse höchstwärmender Baustoffe und Isolationsmaterialien“, so Prof. Krcmar. Für die Herstellung der Nanofasern werden einerseits nachwachsende, CO2-neutrale Einsatzstoffe genutzt, andererseits wird an einem Verwertungskonzept gearbeitet, um Alt-Styropor aus dem Baustoff-Recycling in stärkerem Maße einsetzen zu können.

Zu den Wandbaustoffen zählen auch Mörtel und Putze, die von der EnCN-Arbeitsgruppe wärmetechnisch optimiert werden. In mehrjähriger Forschungsarbeit wurde die Wärmeleitfähigkeit von Dünnbett-Mörtel abgesenkt, dieser Effekt konnte auch auf einen Sockelputz übertragen werden. Die Arbeitsgruppe ist inzwischen in der Lage, ganze Wandsysteme, die aus Wandbaustoff, Mörtel und Putzschichten bestehen, höchstwärmedämmend auszurüsten.

Ein weiterer Aspekt für einen verbesserten Wärmeschutz von Gebäuden wird im Rahmen des EnCN-Projekts „i.Solar Control“ untersucht. Hierbei geht es speziell um Fenster mit mehreren, selektiv beschichteten textilen Sonnenschutzbehängen. Die infrarotaktive Beschichtung reflektiert hauptsächlich die Wärmestrahlung, während das sichtbare Tageslicht zu großen Teilen durchgelassen wird. Die Wissenschaftler testen die Einsatzmöglichkeiten in Wohngebäuden und arbeiten daran, den Sonnenschutz im Zusammenspiel mit dem Gesamtsystem Gebäude besser zu regeln. Das soll durch Algorithmen erreicht werden, die auch Wetterprognosen berücksichtigen und mit denen sich Energieanlagen und Sonnenschutz optimal und aufeinander abgestimmt regeln lassen.

Eine Herausforderung ist es, die in der Metropolregion erarbeiteten Forschungsergebnisse in den breiten Markt zu bringen. Die neuen Vorsatzziegel, die in den Reihenhäusern in Herzogenaurach verwendet werden, ermöglichen große Sprünge hin zu einer hoch effizienten Dämmtechnik. Allerdings setzt die Anwendung bei den Herstellern hohe Investitionen voraus, die nur aus einer entsprechenden Nachfrage resultieren kann.

Deshalb sind Leuchtturmprojekte wichtig, die die Potenziale der neuen Effizienztechnologien in der Praxis zeigen. Der Siemens Campus in Erlangen ist ein solches Vorzeigeprojekt: Im ersten Bauabschnitt entstehen dort acht neue Bürogebäude für rund 7 000 Mitarbeiter sowie Kantine und Parkhäuser. Energietechnisch soll der Komplex ein Vorbild an Effizienz und Nachhaltigkeit sein: Als erster Siemens-Standort weltweit wird er mit Hilfe von Smart-Building-Gebäudetechnik CO2-neutral sein und damit einen Beitrag zum Klimaschutz leisten.

Autor/in: 

(tt.)

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 09|2017, Seite 26

 
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