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Ukraine

In kleinen Schritten voran

Der Maidan-Platz in der ukrainischen Hauptstadt Kiew.

Für Unternehmen ist es leichter geworden, sich in der Ukraine zu engagieren. Eine IHK-Veranstaltung zeigte Marktchancen auf.

Zuversichtlich zeigte sich Yuriy Yarmilko, Generalkonsul der Ukraine in München, zum Auftakt des „Wirtschaftstags Ukraine“: „Begegnungen wie diese bieten gute Chancen, die wirtschaftlichen Beziehungen auszubauen und das Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union mit Leben zu erfüllen.“ Zur Veranstaltung hatte die IHK Nürnberg für Mittelfranken im November eingeladen – noch vor der Zuspitzung des Konflikts mit Russland. Kooperationspartner waren die Auslandshandelskammer Ukraine (AHK) sowie die Wirtschaftsreferate der Stadt Nürnberg und Charkiw. Aus der Nürnberger Partnerstadt war eine hochkarätig besetzte Delegation aus Unternehmern und Kommunalpolitikerin angereist.

„Es freut uns, dass wir die Ukraine wieder auf der Agenda haben“, erklärte Armin Siegert, Leiter des IHK-Geschäftsbereichs International, zur Eröffnung der Konferenz. Diese Bemerkung lässt sich im übertragenen Sinn deuten: Die Ukraine hat die ökonomische Talsohle durchschritten. Die politischen Umbrüche – Stichwort Euromaidan 2013/14 –, der militärische Konflikt in der Ostukraine und die Annexion der Krim im März 2014 hatten massive Folgen für die Wirtschaftsleistung des Landes. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) brach 2014 um 6,5 Prozent, 2015 um 9,8 Prozent ein. Nun ist das Land mit 45 Mio. Einwohnern auf den Wachstumspfad zurückgekehrt: Das BIP soll 2018 bei 3,2 Prozent liegen, 2019 bei 3,3 Prozent, so die Prognose des Internationalen Währungsfonds.

Ukraine im Wandel

Derzeit befindet sich die Wirtschaft der Ukraine im Umbruch: Die Bedeutung der Schwerindustrie schwindet, während die Landwirtschaft, die Nahrungsmittel- und Zulieferindustrien sowie der IT-Sektor ökonomische Impulse setzen. „Wir erleben gerade einen tiefgreifenden Transformationsprozess“, unterstrich Alexander Markus beim Wirtschaftstag in Nürnberg. Wie der Vorstandsvorsitzende der AHK Ukraine berichtete, engagieren sich mehr und mehr deutsche Unternehmen in diesen Branchen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes sind die deutschen Exporte in die Ukraine von Januar bis August 2018 um 2,2 Prozent gestiegen. Die Importe legten um 19,9 Prozent zu. Der bilaterale Außenhandelsumsatz belief sich 2017 auf rund 6,6 Mrd. Euro. In Mittelfranken haben 260 Unternehmen Import- oder Exportbeziehungen; 60 Unternehmen sind langfristig im ukrainischen Markt engagiert.

Zu ihnen gehört die Leoni AG, die im September 2017 ihr zweites Werk in der Ukraine eingeweiht hat. In der westukrainischen Stadt Kolomyja werden Kabelsätze und Bordnetz-Systeme gefertigt, die vor allem für europäische Automobilhersteller bestimmt sind. Am Standort Stryj betreibt Leoni bereits seit 2002 ein Werk für Bordnetz-Systeme.

Wie Alexander Markus erklärte, halten sich aber viele potenzielle Investoren aus dem Ausland noch bedeckt: Sie warten ab, wie das „Superwahljahr“ 2019 verläuft. Im März stehen die Präsidentschaftswahlen an, im Herbst die Parlamentswahlen.

Klaus Kessler ist mit den politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen der Ukraine bestens vertraut. Seit über zehn Jahren ist der Rechtsanwalt für das Nürnberger Beratungs- und Wirtschaftsprüfungsunternehmen Rödl & Partner dort tätig. Seine Einschätzung: „Die Situation hat sich zum Besseren verändert.“ Die ukrainische Regierung bemühe sich, das Land für in- und ausländische Investoren attraktiver zu machen. Zu dieser Einschätzung gelangt auch die EU in ihrem vor Kurzem veröffentlichten Bericht über die Umsetzung des Assoziierungsabkommens: „Die Ukraine hat im vergangenen Jahr eine Reihe wichtiger und anspruchsvoller Reformen durchgeführt, unter anderem in den Bereichen Gesundheitsversorgung, Renten, Dezentralisierung, öffentliche Verwaltung, öffentliches Auftragswesen und Umwelt.“ Im Doing-Business-Ranking der Weltbank rangiert die Ukraine aktuell auf Platz 71 unter 190 Staaten, 2013 belegte das Land noch Platz 142.

Die Maßnahmen gegen die Korruption spiegeln sich im sogenannten Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International wider. In diesem Ranking lag die Ukraine 2017 auf Platz 130 von 180 Ländern, 2013 noch auf Position 144. Diese Veränderung zum Positiven bestätigte Klaus Kessler: Anders als in der Vergangenheit seien Unternehmen der Willkür einzelner Behördenmitarbeiter nicht mehr völlig schutzlos ausgeliefert. Die Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung hätten sich verbessert, weil sich die enge Verflechtung zwischen Gerichten und Verwaltung lockert.

Zum Reformpaket der ukrainischen Regierung gehört eine Dezentralisierungspolitik, die den lokalen Verwaltungen mehr Freiheiten lässt. „Diese Spielräume nutzen wir“, erklärte Tetiana Chechetova-Terashvili. Charkiws stellvertretende Bürgermeisterin stellte beim Wirtschaftstag Maßnahmen vor, mit denen die Stadt das Investitionsklima verbessern will. Beispielsweise wurde ein „Business Navigator“ als zentrale Anlaufstelle geschaffen. Ein spezielles Zentrum regelt alle Immobilienangelegenheiten unter einem Dach. Durch große Infrastrukturprojekte bemüht sich Charkiw, die Lebensqualität für die 1,4 Mio. Einwohner zu verbessern. Ein Beispiel ist die Verlängerung einer Metro-Linie sowie die Anschaffung neuer U-Bahnen mit einem Investitionsvolumen von 384,5 Mio. Euro, wovon je 160 Mio. Euro von der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung sowie der Europäischen Investitionsbank finanziert werden.

Wirtschaftsregion Charkiw

Tetiana Gavrysh, Honorarkonsulin der Bundesrepublik Deutschland in Charkiw, gab einen Einblick in die Wirtschaftsstruktur des Gebiets Charkiw, das aus der gleichnamigen Stadt und der umliegenden Region besteht und etwa 2,8 Mio. Einwohner zählt. Die ökonomische Entwicklung soll sich auf vier Investitionsschwerpunkte fokussieren: Agrobusiness (Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie), Energie und Energieeffizienz, Gesundheitswesen und Informationstechnologie (IT). Diese Cluster böten gute Chancen, die ökonomische Zusammenarbeit zu vertiefen, so Tetiana Gavrysh. Vor allem im IT-Sektor entwickle sich Charkiw zu einem Hotspot. Rund 22 000 Programmierer arbeiten hier; es gibt etwa 450 IT-Unternehmen. Jedes Jahr verlassen 2 000 Absolventen die technischen Hochschulen. So kann die zweitgrößte Stadt der Ukraine vom IT-Boom profitieren, insbesondere durch den Export von IT-Dienstleistungen in die USA, Südkorea, Deutschland, Dänemark und Israel. Die britische Global Sourcing Association hat die Ukraine zur besten „Offshoring Destination“ weltweit gewählt. In der Ausfuhrstatistik entfielen 2017 rund 3,6 Mrd. US-Dollar auf diese Branche, die Premierminister Volodymir Groysman als „Wachstumslokomotive“ bezeichnete.

Die IT-Szene in der Ukraine entwickelt sich rasant. Wer die Boom-Branche vor Ort aus erster Hand kennenlernen will, hat dazu vielleicht 2019 die Gelegenheit. Die IHK Nürnberg für Mittelfranken sondiert derzeit die Möglichkeiten, eine Unternehmerreise mit IT-Schwerpunkt in die Region Charkiw anzubieten.

Autor/in: 

aw.

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 12|2018, Seite 32

 
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