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Weltwirtschaft im Umbruch

Globales Puzzle

Puzzle Zusammenarbeit Teamwork Elemente © invincible bulldog - GettyImages.de

Kürzere Lieferketten, mehr Regionalität, weniger Geschäftsreisen: So verändert Corona die Weltwirtschaft.

Für den bayerischen Außenhandel ist die weltweite Corona-Krise ein Schock: Im März gingen die Exporte im Schnitt um rund zehn Prozent und die Importe um ca. fünf Prozent zurück. Bei den Ländern, die von der Pandemie besonders stark betroffen sind, war der Rückgang der bayerischen Exporte noch dramatischer: Spanien minus 30 Prozent, Italien minus 28 Prozent, Frankreich minus 24 Prozent und China minus 20 Prozent. Im wichtigen Segment der Automobil- und Zulieferindustrie betrug der Einbruch im Schnitt 25 Prozent. Und das war erst Anfang. Die Zahlen für den April, die zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht vorlagen, dürften noch schlimmer ausfallen.

Auch die mittelfränkische Wirtschaft kann sich dieser Entwicklung nicht entziehen: Mit einer Exportquote von 50 Prozent ist sie besonders von internationalen Märkten abhängig. 2 500 Firmen sind international aktiv, rund 2 200 von ihnen in Europa, 1 100 in Asien und 900 in Nordamerika. Die Volksrepublik China, mit der 650 Unternehmen wirtschaftliche Kontakte haben, spielt für Mittelfranken ebenfalls eine herausragende Rolle und dürfte die USA inzwischen eingeholt haben.

Die Konjunktur und die Geschäftserwartungen haben sich insbesondere in den USA und Europa deutlich verschlechtert, wie aus dem neuesten „AHK Business Outlook“ hervorgeht. Rund 4 000 international tätige Unternehmen hatten sich an dieser Umfrage der deutschen Auslandshandelskammern (AHK) beteiligt. Doch schwer zu beantworten ist die Frage, wann und wie die Corona-Krise endet und wie sich die Weltkonjunktur dementsprechend entwickeln wird.

Verschiedene Stadien der Pandemie

Die Abschätzung ist auch deshalb schwierig, weil sich die Pandemie in verschiedenen Weltregionen in unterschiedlichen Stadien befindet: In Europa und Teilen von Asien ist zwar ein Abflauen festzustellen, in Russland, den USA, Südamerika, Afrika und auch Indien steigt die Zahl der Infektionen aber immer noch an. Weltweit ist eine Wiederherstellung eines normalen Lebens nur dann vorstellbar, wenn ein Impfstoff international verfügbar ist.

Bis dahin gilt es, je nach Land und Branche zu unterscheiden. China, Korea, Vietnam und Taiwan entwickeln sich bei der Eindämmung am besten und auch in Europa gibt es Fortschritte. Die asiatischen Länder sind aber extrem vom Außenhandel, insbesondere vom Export, abhängig und der steht weiterhin still. Abgesehen von wenigen Branchen wie der Pharma- und Medizintechnik, der Lebensmittelindustrie sowie der Logistik- und Bauindustrie erlebt das produzierende Gewerbe einen Stillstand. Im Dienstleistungsbereich können nur die IT- und Telekommunikationsindustrie zufrieden sein, während der Tourismus-, die Hotel- und Transportwirtschaft völlig daniederliegen.

Für die Zukunft des Welthandels wird nicht nur entscheidend sein, wie sich die Corona-Krise entwickelt, sondern auch die Frage, wie mit weiteren Herausforderungen umgegangen wird, die schon vorher bestanden – insbesondere die Infragestellung des freien Welthandels und der Klimawandel. Das erste durch Corona ausgelöste Problem war der Zusammenbruch der Lieferketten. Das über die letzten 20 Jahre fast durchgehende Wachstum der Weltkonjunktur und die Perfektionierung von Transport und Infrastruktur hatten zu einem scharfen Preis- und Effizienzkampf ohne Puffer und Alternativen geführt. Die Folge war „Just-in-time all around the globe”. Mit Corona war plötzlich alles wie abgeschnitten und die gut geölte Lieferkette war nur noch eine Kette, aber als Fessel.

Hier wird sich die erste große Veränderung ergeben, die zwar durch Corona veranlasst, aber durch die anderen beiden Faktoren verstärkt wird: Die Lieferketten werden viel kürzer. Ob sie so kurz werden, wie US-Präsident Donald Trump sich das vorstellt, wenn er sagt “I think we should not have supply chains”, bleibt abzuwarten. Aber sicher wird es eine Konzentration auf näher zusammenhängende Märkte geben. Von Globalisierung zu Regionalisierung, also Europa, Nordamerika, Südamerika, Südostasien, Südasien, Australien und Afrika. Das hängt nicht nur mit den eingeschränkten Flug- und Schiffverbindungen zusammen, sondern auch mit den politischen Gegebenheiten. Die Welthandelsorganisation WTO liegt am Boden, der Streitschlichtungsmechanismus ist ausgehebelt. Eine EU-Initiative will dafür zwar Ersatz schaffen, jedoch fehlen hierzu wichtige Mitstreiter wie die USA, Japan, Indien, Indonesien, Argentinien, Südafrika, Südkorea, Russland und die Türkei.

Es wird eine Konzentration auf Regionen geben. Die Folge ist, dass die Unternehmen verstärkt mit eigener Produktion oder Dienstleistung in ihren jeweiligen Märkten präsent sein werden und dafür weniger exportieren und importieren. Dieser Trend, der schon in den letzten Jahren erkennbar war, wird sich verstärken. Dies scheint durchaus sinnvoll, weil die Wertschöpfung dann vermehrt dort stattfindet, wo die Nachfrage ist. Ebenso wird sich die Expertise verlagern: Es wird kaum mehr möglich sein, einen Experten für den Aufbau oder die Wartung einer Maschine rund um die Welt zu fliegen. Das Know-how wird vor Ort sein, beziehungsweise mit der Hilfe der Digitalisierung ferngesteuert unterstützt werden. Es wird also nicht die gesamte, sondern mehr Expertise als bisher vor Ort sein.

Mehr Investitionen in regionale Märkte

Ebenso könnte der gute alte Handelsvertreter eine Renaissance erleben. Handelshäuser wie Melchers und Illies vertreten seit über 150 Jahren in Japan, Korea, China, Indonesien, Hongkong oder Indien deutsche Firmen, für die sich eine eigene größere Präsenz nicht rechnet. Mit stärkerer Lokalisierung geht auch die verstärkte Ausbildung einher. Nur mit firmen- und produktspezifischem Know-how kann man sich vom Wettbewerb unterscheiden. Außerdem ist die Kenntnis des lokalen Marktes entscheidend. Forschung und Entwicklung sowie globale Steuerung können zuhause in Deutschland am Stammsitz verbleiben, aber ansonsten wird „lokal für lokal“ das Motto sein. Für bestimmte deutsche und auch mittelfränkische Vorzeigeindustrien wie den Maschinenbau könnte sich deshalb zunächst ein Post-Corona-Boom ergeben, wenn in den regionalen Märkten und Produktionsstätten investiert wird.

Stark verändern wird sich das Reiseverhalten. Der Manager, der jede Woche in den Flieger steigt, ist passé. Das spiegelt sich in den Prognosen der Luftfahrtgesellschaften wider: So geht die Lufthansa davon aus, dass die Kapazitäten bis September 2020 nur bis zu 20 Prozent ausgelastet sind und Ende 2020 zu 50 Prozent. Erst Ende 2023 könnten 80 bis 90 Prozent erreicht werden. Ein Grund ist auch der nicht umkehrbare Trend der fortschreitenden Digitalisierung: Man braucht immer weniger persönlich vor Ort zu sein, zudem werden hier auch die „Kostenkiller“ ein gewichtiges Wort mitreden.

Auch der Druck zur Eindämmung des Klimawandels wird erhalten bleiben. Die ölfördernden Staaten in der Golfregion werden ihre Anstrengungen weg von der totalen Ölabhängigkeit hin zur Produktion von erneuerbaren Energien (Stichwort „grüner Wasserstoff“) verstärken. Ebenfalls rasant entwickeln wird sich E-Commerce: Solange Social Distancing und das Tragen von Gesichtsmasken erforderlich sind, wird das Einkaufserlebnis eingeschränkt sein und die Kosten für den Einzelhandel im Vergleich zum Direktvertrieb ein Hindernis bleiben. Auch darauf muss sich ein global aufgestelltes Unternehmen mit Endverbrauchern als Kunden einstellen. In China ist das Leben mit Maske Standard, in fast allen anderen Ländern nicht. Ebenfalls verändern wird sich der Umgang mit billigen Arbeitskräften: Wie vielfach mit Migranten – ob in den Golfstaaten, in Singapur, aber oft auch in Deutschland – umgegangen wird, ist dauerhaft weder akzeptabel noch unter dem Gesichtspunkt von Social Distancing durchzuhalten.

Auslandshandelskammern als Partner

Die Weltmärkte stehen also vor grundlegenden Herausforderungen. Dies sollte aber kein Grund zur Mutlosigkeit und zum Rückzug vom Auslandsgeschäft sein, sondern vielmehr als Ansporn dienen. Die deutschen Unternehmen haben durch das weltweite Netz der deutschen Auslandshandelskammern (AHK) einen Partner, auf den sie sich verlassen können. 140 Büros in 92 Ländern mit 50 000 Mitgliedern, 2 500 Unternehmensvertretern im Ehrenamt und 2 400 Mitarbeitern vor Ort und das seit 126 Jahren – damit decken die AHKs 95 Prozent des deutschen Außenhandels ab. Ein AHK-Motto ist: „Sie kommen zu uns und sind zuhause.“ Und das heute selbstverständlich auch global, lokal, digital und voll Corona-kompetent.

Das Beratungsunternehmen McKinsey rechnet damit, dass Deutschland erst 2028 wieder an frühere Wachstumsraten anknüpfen wird. Das gilt für die meisten Weltmärkte, die in der Entwicklung noch weit hinter Deutschland sind, nicht. Insofern ist die weitere Beschäftigung mit den Weltmärkten zwingend. Für Europa und damit den Heimatmarkt der meisten Firmen aus Mittelfranken könnte und sollte die Corona-Krise eine Chance zur Revitalisierung sein. Für die mittelfränkischen Unternehmen sollte das eine gut zu bewältigende Aufgabe sein, aus der sie gestärkt hervorgehen dürften.

Historische Vorbilder

Dabei können sie sich auf historische Vorbilder stützen: 1505, vor mehr als 500 Jahren, finanzierten die Nürnberger Welser unter Jakob I. den größten Anteil der Indienfahrt von Lissabon nach Kochi und Calicut. Die 1517 gegründete Nürnberger Welsersche Handelsgesellschaft war schon damals mit Stützpunkten in Lissabon, Sevilla, Lyon, Antwerpen, Köln, Augsburg, Venedig, Verona, Mailand, Genua, L’Aquila und Neapel ein globaler Player und Gleiches galt für Handelshäuser wie Hirschvogel, Imhoff und Gruber. Eine Unternehmerschaft mit dieser Tradition und der Faszination für ferne Länder und Märkte kann eigentlich nichts schrecken.

Nach dem Motto: „Never miss a good crisis as they say.“ Die Corona-Krise wird oft als größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg bezeichnet, der vor 75 Jahren zu Ende ging. Die Jahre des darauffolgenden „Wirtschaftswunders“ waren ebenso von einem „Can-do-spirit“ gekennzeichnet wie die Jahre nach der Deutschen Einheit, deren 30-jähriges Jubiläum wir in diesem Jahr feiern. Warum sollte die hoffentlich baldige Befreiung von Corona keinen vergleichbaren Spirit freisetzen?

Autor/in: 

Bernhard Steinrücke ist Hauptgeschäftsführer der Deutsch-Indischen Handelskammer (AHK) mit Sitz in Mumbai und fungiert derzeit als „Weltsprecher“ der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Auslandshandelskammern (https://indien.ahk.de/, steinruecke@indo-german.com).

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 05|2020, Seite 34

 
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