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Internationaler Handel

Handelspolitik in Zeiten der Corona-Krise

Corona verschärft die Probleme des Welthandels. Wie kann die Globalisierung neu und fair gestaltet werden?

Die Welt steht derzeit vor einer nie gekannten Herausforderung. Wie ein Lauffeuer hat sich Covid-19 um den Erdball ausgebreitet und das öffentliche Leben größtenteils zum Stillstand gebracht. Auch die Wirtschaft steht still. Selbst wenn produziert werden dürfte, fehlen vielerorts Vorprodukte aus anderen betroffenen Ländern. Zudem ist die Nachfrage nach vielen Produkten schlichtweg eingebrochen.

Auch die Handelspolitik steht vor einem Scherbenhaufen. Direkte Reaktionen auf den Ausbruch der Pandemie lesen sich wie eine Rückkehr in längst überwunden geglaubte Zeiten: nationale Alleingänge, Handelsbeschränkungen und -verbote für Medikamente und Schutzausrüstung, aber auch für Lebensmittel, sowie Grenzschließungen und eine Abkehr von den Prinzipien der internationalen Zusammenarbeit.

Bereits vor der Corona-Krise war der globale Handel von der durch die Trump-Regierung verfolgten nationalistischen „America first“-Politik unter Druck geraten. Vor allem der US-chinesische Handelskonflikt hatte globale Auswirkungen, die auch vor Europa nicht Halt machten. Des Weiteren prägten die zunehmende Digitalisierung und ein neuer Fokus auf Nachhaltigkeit zunehmend die weltweiten Wirtschaftsbeziehungen. Aber die globale Krise des weltweiten Handels und die Anfälligkeit von globalen Wertschöpfungsketten wurden durch die Corona-Pandemie besonders augenscheinlich, wie auch durch die Maßnahmen, die zu deren Eindämmung ergriffen wurden. Viele dieser kurzsichtigen Maßnahmen haben mehr Unsicherheit geschaffen, als die Lage beruhigt. Sie führten zum Teil zum entgegengesetzten Ergebnis: Unter anderem konnten zum Beispiel Beatmungsgeräte in Polen nicht mehr fertiggestellt werden, weil Deutschland kurzfristig ein Verbot für essenzielle Vorprodukte eingeführt hatte. In einer globalisierten Welt, deren Wirtschaft auf einer weltweiten Arbeitsteilung aufbaut und von Lieferketten geprägt ist, die sich über mehrere Kontinente hinziehen, ist Abschottung keine Lösung.

Die globalen Strukturen haben viele wohlstandsstiftende und beschäftigungsfördernde Effekte erzeugt. Dies scheint nun in Vergessenheit zu geraten, die Rückbesinnung auf nationale Produktionen und Wertschöpfungsketten zur Risikovermeidung sind für viele zum Leitmotiv geworden. Es steht außer Frage, dass eine nur auf Kostenreduzierung und Effizienz reduzierte Globalisierung zu dramatischen Konsequenzen und Abhängigkeiten geführt hat. Diese Einsicht ist aber nicht neu, die Corona-Krise bietet aber die Chance, gegenzusteuern.

Prämissen für die Globalisierung

Angesichts der globalen Veränderungen müssen die Maßnahmen zur Neugestaltung der Globalisierung jetzt entwickelt werden, unter der Berücksichtigung folgender Prämissen:

  1. Auch zukünftig werden wir wirtschaftliche, soziale und politische Stabilität am besten in einem multilateralen System erhalten. Deshalb gilt es, die Regeln der Welthandelsorganisation WTO zu respektieren, aber auch zu modernisieren, um sie an die Erfordernisse der Zeit anzupassen.
  2. Handelspolitische Maßnahmen auf einer werteorientierten Basis haben immer die Interessen der Partner mit im Blick, insbesondere die der weniger entwickelten Länder.
  3. Das „Greening“ der Handelspolitik muss weiterhin auf der Agenda stehen, denn nur weil die Welt gerade weniger Schadstoffe produziert, heißt das nicht, dass die Klimakatastrophe keine dringende Aufgabe bleibt.
  4. Bei allen handelspolitischen Maßnahmen muss klar sein, wer letztendlich von den Schritten profitiert. Es wird von entscheidender Bedeutung sein, sicherzustellen, dass die jetzt angestoßenen handelspolitischen Maßnahmen zielgerichtet und im öffentlichen Interesse sind.

Ich sehe in den folgenden Bereichen besonderen Handlungsbedarf: Auf multilateraler Ebene müssen wir weiterhin Handelsbeschränkungen für essenzielle und strategisch wichtige Güter abbauen und Transparenz über handelsbeschränkende Maßnahmen schaffen. Des Weiteren muss sichergestellt sein, dass die gemeinsamen Regeln zum Schutz geistigen Eigentums kein Hindernis für die Produktion und Bereitstellung eines Covid-19-Impfstoffes darstellen. Staaten müssen zur Not von dem Instrument der Zwangslizensierung Gebrauch machen können.

Die derzeitige Krise hat die Fragilität von Wertschöpfungsketten brutal offenbart. Hier müssen wir gegensteuern und sicherstellen, dass Lieferketten in Zukunft transparenter, widerstandsfähiger und fairer gestaltet werden. Faire Arbeitsbedingungen gehen für mich Hand in Hand mit Krisenresistenz. Ein Lieferkettengesetz auf europäischer Ebene ist hier ein erster wichtiger und notwendiger Schritt.

Auf EU-Ebene gibt es ebenfalls viel Arbeit: Unsere Exportförderung sollte ausgeweitet werden, mit einem besonderen Augenmerk auf die Bedürfnisse von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) und unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien. Wir müssen dringend aktiv werden und den Handel mit gefälschten Produkten unterbinden, der besonders in Krisenzeiten großen Schaden anrichtet. Öffentliche Beschaffung sollte stärker als bisher faire Produkte nutzen und dafür klare und transparente Anforderungen stellen. Im Laufe der Krise wurde des Weiteren schnell offensichtlich, dass wir aktiver sein müssen, um strategisch wichtige Sektoren vor ungewollten Übernahmen zu schützen, und dass wir die gerade in Kraft getretenen Investment Screening-Kriterien (EU-Leitlinien zur Prüfung ausländischer Direktinvestitionen) schärfen sollten.

Entwicklungsländer werden zu den am stärksten von der Krise Betroffenen zählen. Ihnen sollten wir einen weitreichenden Marktzugang ermöglichen und umfassend unsere Außenzölle senken. Darüber hinaus müssen wir darüber nachdenken, wie wir Investitionen in diese Länder fördern können und wie ein weitreichender Schuldenschnitt zu ermöglichen ist.

Die derzeitige Situation birgt das Potenzial, globalen Handel nachhaltig zum Besseren zu verändern. Dies setzt aber einen Kraftakt aller beteiligten Akteure voraus und den Willen, gemeinsam an einem Strang zu ziehen, anstatt sich in Alleingängen nach altbekannten Rezepten zu verrennen. Das Europäische Parlament steht bereit, diese Aufgabe anzugehen.

Autor/in: 

Bernd Lange ist Mitglied des Europäischen Parlaments und Vorsitzender des Ausschusses für Internationalen Handel (mail@bernd-lange.de).

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 05|2020, Seite 38

 
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