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Lieferkettengesetz

Sorgfalt walten lassen

Lieferketten_Weltkugel © Phiwath Jittamas/GettyImages.de

Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette erkennen: Webinar der bayerischen IHKs.

Noch in dieser Legislaturperiode soll das sogenannte Lieferkettengesetz (formal korrekt "Sorgfaltspflichtengesetz") verabschiedet werden. Das Bundeskabinett hat Anfang März den entsprechenden Regierungsentwurf vorgelegt. Er sieht vor, dass Unternehmen mit Sitz in Deutschland besondere Sorgfalts- und Berichtspflichten befolgen müssen, was die Achtung der Menschenrechte in ihrer gesamten Lieferkette betrifft. Die Beratungen im Bundestag gehen nun weiter, dabei geht es insbesondere um die Präzisierung von Haftungsfragen.

Die Haftungsrisiken insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen sind ein wesentlicher Streitpunkt des Gesetzesvorhaben. Prof. Dr. Markus Krajewski, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Universität Erlangen-Nürnberg, hatte bei einer Expertenanhörung des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales auf Haftungsrisiken und damit auf die potenzielle Mittelstandsfeindlichkeit des Gesetzes hingewiesen. Er nahm dabei ausdrücklich Bezug auf ein Memo-Papier von Markus Lötzsch, Hauptgeschäftsführer der IHK Nürnberg für Mittelfranken, der seine Bedenken auch gegenüber dem Bayerischen Justizministerium und dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) zum Ausdruck gebracht hatte. Fragen der Haftung und des anwendbaren Rechts seien nicht geklärt und damit zentrale Aspekte der Auswirkungen des Gesetzesvorhabens auf deutsche Unternehmen, so Lötzsch. Es sei unverantwortlich, diese Fragen unbeantwortet zu lassen. Rechtssicherheit und Rechtsklarheit müssten gewährleistet sein.

Die Bundesregierung will mit ihrem Gesetzentwurf deutsche Unternehmen auf globalen Beschaffungs- und Absatzmärkten in die Pflicht nehmen. Denn insbesondere im "globalen Süden" bestehe die Gefahr, dass die Menschenrechte entlang der Lieferketten mangelhaft durchgesetzt würden. Zwar liegt die Pflicht, die Menschenrechte des Einzelnen zu achten, zu schützen und einzuhalten, zunächst bei den Staaten. Aber auch Unternehmen sollen nun in die Pflicht genommen werden, die Grundsätze der international anerkannten Menschenrechte zu achten, indem sie ihre Lieferketten einem angemessenen Risikomanagementsystem unterziehen. Damit sollen Risiken erkannt, die Verwirklichung von Menschenrechten ermöglicht und Menschenrechtsverletzungen beendet werden.

Die bayerischen IHKs informierten vor Kurzem mit dem Webinar "Menschenrechtliche Sorgfalt – Was sind die Erwartungen an kleine und mittlere Unternehmen?" über den aktuellen Stand der Beratungen und über die Anforderungen, die auf die Unternehmen zukommen. Den aktuellen Planungen zufolge sollen ab Anfang 2023 Betriebe in Deutschland mit mindestens 3 000 Beschäftigten für das Verhalten ihrer Zulieferer entlang der Wertschöpfungskette verantwortlich sein. Ein Jahr später wird der Kreis auf Unternehmen ab 1 000 Mitarbeiter ausgeweitet. Doch kleinere Unternehmen seien damit keineswegs aus dem Schneider, betonte Ursula Müller, Bereichsleiterin International der IHK Aschaffenburg. Sie sollten sich beispielsweise nicht dazu verleiten lassen, einfach eine Lieferantenerklärung ungeprüft zu unterschreiben. Auch kleine und mittlere Betriebe müssten sich also frühzeitig auf die neuen Anforderungen vorbereiten.

Neuer Helpdesk berät Unternehmen

Eine wichtige Anlaufstelle für ratsuchende Unternehmen ist der sogenannte "Helpdesk Wirtschaft & Menschenrechte" (www.wirtschaft-entwicklung.de/wirtschaft-menschenrechte). Er wird betrieben von der Agentur für Wirtschaft & Entwicklung (AWE) in Berlin – einem Projekt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Träger sind die Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH und die DEG – Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft mbH. Helpdesk-Leiter Erik Wessels rechnet mit einem stark wachsenden Beratungsbedarf kleiner und mittlerer Unternehmen, weil weltweit die Dichte rechtlicher Regulierungen zunehme.

Das kommende Gesetz folgt u. a. den "UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte" aus dem Jahr 2011. Deren drei zentrale Säulen verlangen die staatliche Pflicht zum Schutz der Menschenrechte, unternehmerische Verantwortung zur Achtung der Menschenrechte sowie Zugang zu Abhilfe für diejenigen, die von Menschenrechtsverstößen betroffen sind. Die UN-Leitprinzipien wurden 2016 mit dem "Nationalen Aktionsplan (NAP) Wirtschaft und Menschenrechte" in eine deutsche Leitlinie umgesetzt. Darüber hinaus will auch die EU-Kommission bis zum Sommer 2021 eine Sorgfaltspflichten-Richtlinie vorlegen.

Auch Wessels unterstrich bei dem IHK-Webinar, dass der deutsche Entwurf des Sorgfaltspflichtengesetzes zwar unmittelbar große Unternehmen betreffe, aber sich darüber hinaus auch direkte und mittelbare Zulieferer mit den Anforderungen auseinandersetzen müssten. Denn die Großen werden durch den Gesetzesentwurf zu einem angemessenen Risikomanagement in puncto Einhaltung der Menschenrechte, dem sogenannten Sorgfaltsmanagementsystem, verpflichtet. Dafür werden sie auch ihre direkten Zulieferer entsprechend ins Visier nehmen. Unternehmen mit über 3 000 Beschäftigten müssen eine Grundsatzerklärung erstellen und eine entsprechende Risikoanalyse durchführen. Bei menschenrechtlichen Risiken müssen Präventionsmaßnahmen ergriffen und bei Menschenrechtsverletzungen entlang der direkten Lieferkette Abhilfemaßnahmen entwickelt werden. Zudem muss eine öffentliche Berichterstattung etwa mit den Ergebnissen der Risikoanalyse und Gegenmaßnahmen erfolgen, dokumentiert und fortgeschrieben werden. Außerdem ist eine Beschwerdemöglichkeit nach Art eines Whistleblowing-Systems einzurichten. Ein weiteres Novum: Künftig sollen Nichtregierungsorganisationen (NGO) und Gewerkschaften leichter im Namen von Betroffenen vor einem deutschen Gericht ("Prozessstandschaft") klagen können.

Sorgfaltspflicht für mittelbare Zulieferer

Zusätzlich wird die Sorgfaltspflicht auf mittelbare Zulieferer durch den Rechtsbegriff der "substantiierten Kenntnis" ausgedehnt. Damit ist gemeint, dass Unternehmen bei allgemein bekannten Tatsachen (z. B. Arbeitsbedingungen in afrikanischen Minen) aktiv werden müssen. Damit müsse ein Betrieb letztlich die gesamte Lieferkette bis zum Rohstoff im Blick haben, erklärt Wessels. Allerdings sieht er die Unternehmen „nur" in der Pflicht, sich um die Beseitigung von Menschenrechtsverletzungen zu bemühen. Eine "Erfolgspflicht" sehe das Gesetz aber nicht vor. Man müsse also die Risiken prüfen und diese nach Möglichkeit "mildern oder beheben".

Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) wird als zuständige Aufsichtsbehörde Prüfungs- und Sanktionsrechte bekommen. Sie kann ein Zwangsgeld von bis zu 50 000 Euro verhängen, wenn Unternehmen eine Zusammenarbeit verweigern. Bei einem vorsätzlichen oder fahrlässigen Verstoß gegen die Regelungen des neuen Gesetzes orientiert sich die Höhe des Bußgeldes am Gesamtumsatz. Bei schweren Verstößen droht ein Ausschluss von bis zu drei Jahren von der Vergabe öffentlicher Aufträge.

Helpdesk-Leiter Wessels kennt die Klagen aus der Wirtschaft über die neuen Belastungen durch das Gesetz. Argumentiert werde dabei beispielsweise mit hohem Kosten- und Zeitaufwand oder mit Schwierigkeiten, verlässliche Informationen über die Lage in den einzelnen Ländern zu beschaffen. Gleichwohl plädiert er dafür, die kommenden Anforderungen als "Chance" zu sehen und frühzeitig Unterstützungsangebote zu nutzen. Helpdesk-Beraterin Jana Sievers verweist etwa auf die kostenfreie und vertrauliche Erstberatung ihres Hauses, um bestehende Lücken zu identifizieren und Umwelt- und Sozialstandards einzuhalten. Darüber hinaus bestehe die Option, eine vertiefende Beratung in Anspruch zu nehmen, bei der die Anforderungen der entsprechenden Branche besprochen werden.

Der Helpdesk bietet zusätzlich mit dem "CSR Risiko Check" und dem "KMU Kompass" für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) zwei kostenlose Online-Tools an. Damit können Unternehmen Risiken in ihren Lieferketten besser einschätzen und werden online bei passenden Maßnahmen unterstützt. Wer beim "CSR Risiko Check" zum Beispiel das Rohmaterial Baumwolle und als Herkunftsland China eingibt, erhält mit ein paar Klicks Informationen zu den vier Risikogruppen "faire Geschäftspraktiken" (mit fünf Risiken), "Menschenrechte und Ethik" (mit neun Risiken), "Arbeitsrechte" (mit 23 Risiken) sowie "Umwelt" (mit 20 Risiken) angezeigt.

Der digitale "KMU Kompass" oder auch "Sorgfalts-Kompass" navigiert Unternehmen Schritt für Schritt durch fünf Phasen. Dabei werden die Interessenten in einzelnen Etappen durch die Themen Sorgfaltsstrategie, Risiken, Maßnahmen, Berichte und Beschwerden geführt. Zudem bietet das Instrument laut Sievers viele praktische Tipps und Hintergrundwissen.

Die Verantwortung für die Lieferketten ist in Mittelfranken kein neues Thema. So wurde beispielsweise im letzten Jahr in Nürnberg nach jahrelanger Vorarbeit die Fair Toys Organisation (FTO) für die Spielzeugbranche gegründet. Damit setzen sich Spielwarenhersteller gemeinsam mit Spielwarenhändlern und zivilgesellschaftlichen Organisationen freiwillig für fair produziertes Spielzeug ein (WiM berichtete). Die Mitglieder der FTO verpflichten sich, die sozialen und ökologischen Bedingungen an ihren Produktionsstandorten kontinuierlich zu verbessern. Mittelfristig will die Organisation mit einem eigenen Siegel den Konsumenten eine Orientierung für den Einkauf bieten. Vorbild der FTO ist die 1999 als Initiative gegründete Fair Wear Foundation (FWF).

Info-Veranstaltungen

Die IHK Nürnberg für Mittelfranken richtet eine Lern- und Arbeitsgruppe "Nachhaltige Lieferketten" ein. Die Teilnehmer tauschen sich über Prozesse und Methoden aus, um die Lieferketten im Betrieb verantwortlich zu gestalten, und werden dabei fachlich begleitet (Kontakt: IHK, Tel. 0911 1335-2282, joachim.raschke@nuernberg.ihk.de).

Die bayerischen IHKs bieten in den kommenden Monaten eine Reihe von Webinaren zu dem Thema an. Nächster Termin: "Die neuen Sorgfaltspflichten in der Lieferkette“ (IHK Coburg, Donnerstag, 10. Juni, 14 Uhr; www.coburg.ihk.de/veranstaltungen).

Auch das Global Compact Netzwerk Deutschland organisiert regelmäßig Informationsveranstaltungen, z. B. das Einführungs-Webinar "Wirtschaft und Menschenrechte" für kleine und mittlere Unternehmen (Dienstag, 15. Juni 2021, 10 Uhr). Übersicht über alle Veranstaltungen unter www.globalcompact.de (Rubrik "Veranstaltungen").

Autor/in: 

tt.

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 06|2021, Seite 49

 
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