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Geschäftsmodelle

Mehr digital, mehr Kunden

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Mit digitalen Plattformen und Technologien neue Zielgruppen erschließen: Beispiele aus der mittelfränkischen Wirtschaft.

Eine gelungene Digitalisierung steigert die Effizienz und damit auch die Profitabilität der Betriebe. Sie bedeutet aber mehr, als nur bestehende analoge Prozesse einfach in digitalisierte Abläufe zu transformieren. Vielmehr können durch innovative digitale Konzepte neue Zielgruppen angesprochen und Betriebe neu aufgestellt und ausgerichtet werden. Ein Blick in die mittelfränkische Unternehmenslandschaft zeigt, wie vielfältig das Spektrum an digitalen Geschäftsmodellen ist.  Ein weiterer wichtiger Aspekt: Auch kleine Unternehmen können durch digitale Konzepte neue Kundengruppen erschließen. Im Folgenden einige beispielhafte Ideen von Unternehmen verschiedener Größe aus der Region.

Ein Paradebeispiel ist Mindsphere, eine cloudbasierte Service-Lösung für das Internet der Dinge (Internet of Things, IoT), der Siemens AG. Die Anwendungsplattform erlaubt es etwa Industriekunden, eigene Daten verschlüsselt über eine Plug and Play-Anwendung zu übertragen. Auf diese Weise lassen sich riesige Datenmengen aus der Fertigung in Echtzeit erfassen und individuell analysieren. Das vergleichsweise junge Siemens-Geschäftsmodell wird kontinuierlich mit weiteren Anwendungen ausgebaut. Dazu gehört eine Monitoring-Lösung für Industriekunden, damit diese ihre Pumpen, Getriebe oder Kompressoren – mit speziellen Sensoren vernetzt – laufend überwachen können. Auf diese Weise lassen sich auch potenzielle Störfälle frühzeitig erkennen und verhindern. Laut Siemens-Berechnungen reduzieren sich auf diese Weise Wartungskosten und Stillstandzeiten, die Performance einer Anlage könne um bis zu zehn Prozent erhöht werden.

Die Mindsphere hat sich auch durch den sogenannten digitalen Zwilling einen Namen gemacht. Der digitale Zwilling war zunächst ein virtuelles Abbild einer Maschine, um zum Beispiel elektrische, mechanische oder thermische Abläufe zu simulieren. Mittlerweile können Konstrukteure und Maschinenbauer, aber beispielsweise auch Betreiber von

Logistikzentren ihr eigenes Geschäft in die digitale Welt transformieren. So wird etwa in der Logistik oder Intralogistik mit der Datenflut aus der realen oder geplanten Welt rund um den digitalen Zwilling die gesamte Wertschöpfungskette von Materialtransport bis Lagerhaltung simuliert und optimiert. Gleiches gilt auch für ganze Produktionslinien.

Mit einem Paradigmenwechsel hat auch die Nürnberger Datev eG in den letzten Jahren ein Geschäftsmodell in der digitalen Welt erweitert. Noch vor Jahren galt bei dem Dienstleister für die steuerberatenden Berufe die Maxime, die Software für alle Ergänzungen selbst zu entwickeln. Diese bislang erfolgreiche Strategie hat sich zugunsten eines Datev-Ökosystems gewandelt. Denn angesichts des rasanten Wandels von Technologien, Anwendungen und Kundenwünschen können Entwicklungen und Programmierung nicht mehr allein aus eigener Kraft gestemmt werden. Daher hat die Genossenschaft ein eigenes Ökosystem für geprüfte Partner mit deren hochspezifischen Lösungen geschaffen.

Durch dieses Ökosystem verändert sich allerdings auch die Wertschöpfung. Sie entsteht nicht mehr nur aus eigener Kraft und steigert damit nicht mehr nur den eigenen Ertrag, vielmehr steht dieses digitale Geschäftsmodell für Vernetzung und gemeinsame Marktaktivitäten. Die Datev verspricht sich von der Kooperation Mehrwerte für alle Beteiligte: Die Anbieter bringen ihr Portfolio ein und ergänzen sich gegenseitig, um so vor allem vielseitiger, flexibler, schneller oder schlagkräftiger zu werden. Die Kanzleien erhalten sichere und miteinander vernetzte Angebote, Dienstleistungen und Produkte, die ihren Arbeitsalltag vereinfachen. Die neu entstandenen Prozesse lassen sich auch über unterschiedliche Systeme hinweg durchgängig automatisieren.

Das Ökosystem tritt nach außen als „Datev-Marktplatz“ auf. Auf dieser Plattform finden sich die Lösungen der Software-Kooperationspartner. Sie sind unterteilt in die Kategorien Datev-Software-Partner und Anbieter mit Datev-Schnittstelle. Über technisch geprüfte Schnittstellen lassen sich so Daten aus Partnerlösungen in die eigentliche Datev-Welt übergeben. Anfang des Jahres hatte der Marktplatz schon über 220 Partner. Die Zahl der Online-Seitenaufrufe des Marktplatzes erreicht im Monat bis zu 100 000. Außerdem sind bereits rund 60 000 Datenbestände aus den verschiedenen Partnerlösungen an die Datev-Cloud angebunden. Dabei kann es um Daten aus Rechnungsschreibung, Zeiterfassung oder Scannen gehen.

HofladenBox in Roßtal

HofladenBox in Roßtal: Die Gründerinnen Mareike Schalk (l.) und Birgit Wegner bringen auf ihrer digitalen Plattform regionale Erzeuger und Verbraucher zusammen. (Bild:tt)

Gemäß diesem Netzwerkgedanken hat das Ökosystem auch neue Kundenzugänge für offizielle Partner erschlossen. Aus dem Großraum finden sich die beiden Fürther Unternehmen dekodi – Deutscher Konverterdienst GmbH und Lauer-Fischer GmbH im Datev-Ökosystem. Aus Nürnberg sind etwa Billomat GmbH & Co KG, Docunout GmbH, fintegra Service GmbH, Ingentis Softwareentwicklung GmbH, page one GmbH und Schultheiß Software AG dabei. Aus Rückersdorf bringt sich die office on GmbH mit ein. Außerdem haben sich rund 10 000 externe Entwickler im „Datev-Developer Portal“ registriert.

In der mittelfränkischen Finanzbranche transformiert auch die traditionsreiche Sparda-Bank Nürnberg eG ihr Geschäftsmodell in eine digitale Welt. So beteiligte sich das Geldinstitut am Stuttgarter Fintech Comeco GmbH & Co. KG, das die Multibanking-App TEO entwickelt. Damit haben die Nürnberger ihre Kunden beim Banking in die digitale Welt befördert und ermöglichen so auch z. B. eine Foto- oder QR-Code-Überweisung. Außerdem beteiligte sich die Nürnberger Sparda-Bank an der Münchner Lena Nachhaltigkeits GmbH mit ihrer gleichnamigen Online-Plattform. Das könnte auch eine Zukunftsinvestition sein, um mittelfristig das Geschäftsmodell über das wettbewerbsintensive Banking hinaus zu erweitern.

Eine andere Plattform-Strategie hat das Erlanger Startup Connect Mobility GmbH. Die Ausgründung der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) startete Anfang Mai mit ihrer Mobilitäts-App „uRyde“. Damit soll durch eine Kombination aus Navigation und Fahrgemeinschaften (Ride-Sharing) der Autoverkehr in der Metropolregion Nürnberg reduziert werden. Autofahrer geben ihr Fahrziel einfach in die App ein und werden dann zum Ziel gelotst. Hat jemand das gleiche Ziel in der App als potenzieller Mitfahrer eingegeben, kann der Autofahrer in Echtzeit die Anfrage annehmen und an einem angezeigten Haltepunkt einsammeln. Mitfahrer zahlen wenige Cent für jeden mitgefahrenen Kilometer. „Wir wollen die Auslastung der Fahrzeuge signifikant erhöhen und damit mehr Mobilität mit weniger Verkehr schaffen“, erklärt Firmengründer Malte Andree.

An dem Konzept beteiligten sich zum Start mehr als 20 Arbeitgeber aus der Region sowie zwei Hochschulen. Damit haben rechnerisch bereits 130 000 Menschen Zugang zur App und könnten so auch die kritische Masse an Fahrten schaffen. An einer ähnlichen Idee ist bereits in den 1990er Jahren getüftelt worden. In den damals noch ziemlich analogen Zeiten gab es allerdings kaum eine Chance für eine komfortable Lösung. Die App „uRyde“ ist leicht skalierbar und kann, wie bereits in Hamburg, Berlin und Wien, praktisch weltweit eingesetzt werden.

Etabliert haben sich als digitale Geschäftsmodelle unterschiedliche Lieferdienste für Gastronomie und Lebensmittel. Hier tummeln sich bundesweite Anbieter genauso wie regionale Dienstleister und hauseigene Bringdienste. Beim Wettbewerb werden vor allem Geschwindigkeit oder Komfort in den Vordergrund gerückt. Einen anderen Weg geht die 2018 gegründete HofladenBox GmbH & Co. KG aus Roßtal. Sie bringt auf ihrer Plattform regionale Erzeuger – vom Landwirt über Metzger und Bäcker bis zu kleinen Manufakturen – zusammen. Zu den Besonderheiten gehört, dass Anbieter wie Milchbauern ihren Verkaufspreis selbst festlegen können. Außerdem übernimmt die HofladenBox die Rolle als digitaler Fachhändler, der auf Qualität und naturnahen Anbau achtet. Denn viele kleine Betriebe scheuen die laufenden Kosten einer Bio-Zertifizierung, obwohl sie alle Kriterien erfüllen. Attraktiv ist das Modell auch durch seinen begrenzten Radius. Regional ist es auf den Landkreis Fürth und die angrenzenden Landkreise beschränkt und bestimmt so die Herkunft von 95 Prozent der Produkte. Das könnte ein Ansatz für die derzeit viel diskutierte Kreislaufwirtschaft bei der Ernährung sein. Das spart nicht nur CO2 durch kurze Lieferketten, außerdem werden derzeit im Gegensatz zu den aktuellen Preissprüngen bei vielen Lebensmitteln nur leichte Erhöhungen verzeichnet. Mit einem ähnlichen Konzept ist vor gut einem Jahr regineo UG in Nürnberg mit einer Online-Plattform für nachhaltige Lebensmittel gestartet.

Entwickeln Apps zur Nachsorge von psychisch Kranken

Entwickeln Apps zur Nachsorge von psychisch Kranken: Die mentalis-Gründer Dr. Christian Aljoscha Lukas (l.) und Jürgen Stein. (Bild:tt)

Das 2018 gegründete Nürnberger Start-up Vitas GmbH hat in diesem Jahr seine neu entwickelte, sogenannte Software-as-a-Service-Plattform auf den Markt gebracht. Damit können die auf Künstlicher Intelligenz basierenden Telefonassistenten von kleinen und mittleren Unternehmen auf Monatsbasis genutzt und bezahlt werden. Die Vitas-Lösung kann Standardanfragen ähnlich wie ein Mensch beantworten und Gesprächsinformationen strukturiert aufbereiten. Die Installation eines individuellen Telefonassistenten ist ohne technische Vorkenntnisse möglich.

Hauptzielgruppe von Vitas sind vor allem kleine und mittlere Unternehmen, aktuell gehören besonders Gastronomie oder Arztpraxen zum Kundenkreis. Aber auch eine telefonische Bestellabwicklung inklusive der Erfassung aller notwendigen Daten ist laut Geschäftsführer Thomas Abend möglich. Der Gründer denkt zusätzlich an Partnerschaften im Umfeld der Kunden, etwa Systemhäuser, um seine Lösung in die Terminkalender, Bestell- oder CRM-Software einzubinden. Dann könnte der Telefonassistent seine volle Leistungsfähigkeit etwa bei Rezeptbestellungen für Arztpraxen, Schadensmeldungen an Wohnungsgesellschaften oder Terminanfragen für einen Reifenwechsel voll entfalten. Das Jungunternehmen mit derzeit 18 Beschäftigten betreut derzeit über 140 Kunden.

Die Nürnberger mentalis GmbH bietet auf digitalem Wege eine Nachsorge für Menschen mit psychischen Erkrankungen an, die nach einer stationären oder teilstationären Behandlung in Kliniken weiter zuhause betreut werden müssen. Das 2018 gestartete Unternehmen ist eine Ausgründung des Lehrstuhls für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Erlangen-Nürnberg. Nach wissenschaftlichen Studien hatte sich das Gründer-Trio entschieden, in den Markt mit Therapie-Apps einzusteigen, die durch Telefonberatung mit Psychologen ergänzt werden. Laut Mitgründer Dr. Christian Aljoscha Lukas ist das Marktpotenzial groß, denn rund 1,2 Mio. Menschen befänden sich in Deutschland pro Jahr wegen Depressionen, Alkoholproblemen, Essstörungen oder anderer psychischer Probleme in Krankenhausbehandlung. Doch im Anschluss müssten gesetzliche Versicherte oft mehrere Monate auf eine Weiterbehandlung warten. Die verzögerte Nachsorge führe dazu, dass vier von zehn Betroffenen bereits nach drei Monaten ungeplant wieder zurück in die klinische Behandlung müssten.

Ist eine Krankenkasse mentalis-Partner, übernimmt sie die Kosten für die digitale Nachsorge. „Die Therapie-Apps mit intelligentem Algorithmus erstellen einen möglichst individuellen Therapieplan mit therapeutischen Übungen“, erklärt Lukas. Zusätzlich übernehmen Psychologen das persönliche Tele-Coaching. Auf diese Weise können sowohl menschliche Schicksale gelindert, als auch dem Gesundheitssystem unnötige Kosten erspart werden. Mittlerweile deckt mentalis mit fünf maßgeschneiderten Apps rund 40 Prozent der psychischen Diagnosen ab. Dafür erhält das Unternehmen mit seinen derzeit 26 Mitarbeitern und zahlreichen freiberuflichen Psychologen positives Feedback von Krankenkassen und Krankenhäusern.

Autor/in: 

(tt.)

 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 06|2022, Seite 14

 
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