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Die verkehrte Liga

Manchmal scheint es mir, als zöge die Bundesliga mehr Zocker und Tipper als wirkliche Fußball-Fans in ihren Bann. Was im Vorfeld der neuen Saison wieder an Prognosen und Wetten, an Gewissheiten und Scheinbarkeiten unters Volk gemischt wurde, entbehrt in der Rückschau nicht einer gewissen Komik.

Das Schöne am Fußball ist, dass wirklich jeder Recht hat, der seine Meinung kundtut. Und sei sie noch so abwegig. Kleines Beispiel gefällig? Bestimmt gab es zum Saison-Beginn unverbesserliche Bochum-Fans, die ihren Verein nach drei Tagen an der Tabellenspitze wähnten – und sei es nur im Tagtraum gewesen. Sicherlich hat auch irgendein völlig fußballfremder Tipper die Rostocker noch zu gleichem Zeitraum verlustpunktfrei gesehen. Sie wären alle böse ausgelacht worden, wenn sie gar noch beide Teams als die Überflieger der Tabelle genannt hätten. Und hätten sich doch eine goldene Nase verdient bei einem derartigen Risiko-Tipp.

Nun sage also keiner mehr, die Bundesliga sei berechenbar und die so genannte Schere der Liga ginge immer weiter auf. Wer Anfang September auf die Tabelle schaute, kann nichts von den Millionen-Investitionen der Leverkusener oder erst recht der Dortmunder erkennen, und auch Bayern München müsste – wie realiter im Vorjahr – erst durch die ChampionsLeague-Qualifikation. Gemach, gemach. Noch sind die Punkte für Bochum und Rostock nichts als Grundpfeiler gegen den Abstieg, und insofern können auch die „Clubberer“ und Greuther-Fürther dem weiteren Verlauf beruhigt entgegensehen. Natürlich bringen Anfangserfolge Selbstvertrauen bis zum Bersten, sie können Wunder bewirken, wenn sie nicht in Überheblichkeit ausufern. Erste Erfolge nach einer Problemphase lassen dagegen einen Urknall entstehen – alles schon gehabt, alles schon dagewesen. Ob sich beim „Club“ folglich die wahre Klasse einstellt? Ob die Greuther endlich spitz bekommen haben, wie das Tor zu treffen ist?

Rein personell ist der 1. FC Nürnberg auch nicht wirklich schlechter besetzt als Cottbus, Bochum, Bielefeld; selbst Mönchengladbach, Rostock und der VfB Stuttgart bilden die gleiche Mannschafts-Basis wie die Augenthaler-Truppe. Ein Passlack mit seinem damals überzeugendem Einstand in die Nationalmannschaft, ein Michalke mit seinem faszinierenden Tempo-Fußball ebenso wie ein Villa mit seinem frühen Traum-Einstand bei Mönchengladbach bringen vom Talent her alles mit, um in jeder deutschen Mannschaft einen Stammplatz zu beanspruchen. Dazu weisen die acht (!) ausländischen Nationalspieler, die allesamt schon ihre internationale Reife demonstriert haben, eine enormes Faustpfand an echter Fußball-Klasse auf.

Und warum rufen sie allesamt ihr Können so unterschiedlich ab? Fußballer, so sie nicht die Überflieger darstellen, sind absolute Sensibelchen. Vielleicht fehlen Streicheleinheiten? Vielleicht aber auch die manchmal unausweichliche Mischung zwischen Härte und Verständnis! Und sicherlich mangelt den meisten die Erkenntnis, dass in einer Ära, da erstmals auch den Fußball eine Wirtschaftskrise voll getroffen hat, jedes Spiel auch ein Kampf um den Arbeitsplatz bedeutet.

So mag man rund um den Valznerweiher und den alten Ronhof die Zeichen auf Durchhalten deuten. Die unterschiedlichen Ziele, Klassenerhalt einerseits, Aufstieg andererseits, müssen keine Utopie bleiben.  
Autor/in: Rainer Holzschuh,Rainer Holzschuh ist Chefredakteur des kicker Sportmagazins, das im Olympia-Verlag Nürnberg montags und donnerstags mit einer Auflage von knapp 400.000 Exemplaren erscheint.
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 09|2002, Seite 34

 
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