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Auf die Gefahrklasse kommt es an

Die Berufsgenossenschaften versenden jährlich im Frühjahr ihre Beitragsrechnungen für das abgelaufene Jahr. Mit hohen Forderungen müssen vor allem Arbeitgeber von lohnintensiven Betrieben rechnen.

Die Berufsgenossenschaften entschädigen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Gleichzeitig werden zivilrechtliche Schadensersatzansprüche von Arbeitnehmern gegen Arbeitgeber bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten ausgeschlossen. Deshalb zahlt der Arbeitgeber auch die Beiträge zur Berufsgenossenschaft alleine. Bei einem Wegfall der Berufsgenossenschaften müssten die gesetzlichen Krankenkassen Arbeitsunfälle medizinisch entschädigen, so dass dort eine Beitragssteigerung die Folge wäre. Dies ist einer der Gründe dafür, dass über eine Abschaffung der Berufsgenossenschaften derzeit nicht mehr diskutiert wird. Auch die Beiträge für eine private Haftpflichtversicherung des Arbeitgebers wären nicht kalkulierbar. Zudem wäre dann keiner mehr dafür zuständig, Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten zu vermeiden, was jetzt vornehmliche Aufgabe der Berufsgenossenschaften ist.

Alle Berufsgenossenschaften erheben ihre Beiträge nach derselben Formel: (Lohnsumme x Gefahrklasse x Beitragsfuß) : 1 000

Der Unternehmer muss Anfang des Jahres die Lohnsummen seiner Arbeitnehmer für das Vorjahr bekannt geben. Der Beitragsfuß spiegelt das versicherungsmathematische Verhältnis zwischen Bedarf und Ausgaben der jeweiligen Berufsgenossenschaft wider.

Die Beitragshöhe wird durch die Veranlagung zur so genannten Gefahrklasse  bestimmt. Die Verwaltungsberufsgenossenschaft in Hamburg, die das größte Spektrum an Mitgliedern hat, veranlagt etwa die Evangelische Kirche mit der Gefahrklasse 1. Gleichzeitig wird der 1. FC Bayern München mit der Gefahrklasse 47,75 bedacht. Der 1. FC Bayern München zahlt also das 47,75-fache an Beitrag an die Verwaltungsberufsgenossenschaft als die Kirche, bei - unterstellter - gleicher Lohnsumme. Soweit ein Arbeitgeber offensichtlich nicht zu den typisierten Unternehmensarten des Gefahrtarifs einer Berufsgenossenschaft gehört, lohnt es sich auf jeden Fall, die Gefahrtarifeinordnung zu hinterfragen.

Gerangel um den Beitragskuchen
Am Beispiel der „Zusteller bzw. Prospektverteiler“ wird deutlich, wie die einzelnen Berufsgenossenschaften um den Beitragskuchen werben und kämpfen: Derzeit gibt es 26 gewerbliche Berufsgenossenschaften. Obwohl die Unternehmen der „Zusteller“ einfach fassbar sind, werden sie von zwei Berufsgenossenschaften umworben, mit ganz unterschiedlichen Beitragssätzen und Begründungen. Die Verwaltungsberufsgenossenschaft hatte bis 1998 einen eigenen Gefahrtarif gebildet für die „Zusteller“. Sie besteht jetzt aber darauf, dass die Zusteller in dem Gefahrtarif der „Außenwerbung“ erfasst werden. Gleichzeitig hat auch die Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft in Mannheim einen eigenen Gefahrtarif für die Zusteller aufgenommen.

Die Verwaltungsberufsgenossenschaft veranlagt für „Zusteller“ im Gefahrtarif „Außenwerbung“ die Gefahrklasse 1,88. Die Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft erhebt für dieselbe Unternehmensart in der Gefahrtarifstelle 6 eine Gefahrklasse von 6,9. Folglich muss ein Unternehmer, nur weil er der Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft zugeordnet worden ist, knapp das Vierfache an Beitrag zahlen als sein Konkurrent, der das Glück hatte, bei der Verwaltungsberufsgenossenschaft gelandet zu sein.

Hier lohnt es sich für Unternehmen, berufsständische Interessensverbände einzuschalten und die Veranlagungsbescheide und die Ergebnisse von Sozialgerichtsverfahren untereinander auszutauschen. Schlagfertige Argumente können so gefunden werden. Es lohnt sich also, die Zuordnung zu einer bestimmten Berufsgenossenschaft zu hinterfragen.

Änderungsbescheide
Eine Überprüfung eines Bescheides durch das Sozialgericht ist jederzeit möglich - selbst dann, wenn dieser längere Zeit zurückliegt und die Rechtsbehelfsbelehrung bereits abgelaufen ist. Die Berufsgenossenschaften haben in der Vergangenheit Unternehmen innerhalb ihrer Gefahrtarifstellen hin- und hergeschoben. Dieser Verwaltungspraxis hat das Bundessozialgericht (BSG) im Jahre 2003 Grenzen gesetzt. Auch die Berufsgenossenschaften haben § 45 III Sozialgesetzbuch X (SGB) zu beachten, wonach eine Änderung der Veranlagung nach zwei Jahren ausgeschlossen ist. Wer eine Verschlechterung der Gefahrklassenveranlagung erhalten hat, sollte diese mit Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG überprüfen lassen.

Die Berufsgenossenhaften treffen untereinander Vereinbarungen, wonach Mitgliedsunternehmen zwischen den Berufsgenossenschaften verschoben werden sollen. Dies kann erhebliche Änderungen der Gefahrklasse und damit Beitragssteigerungen zur Folge haben. Der Gesetzgeber hat in § 136 II SGB VII hohe Hürden geschaffen, ein Unternehmen von einer Berufsgenossenschaft an eine andere zu überweisen (Grundsatz der Katastertätigkeit). Der einfache Hinweis auf eine Vereinbarung zweier Berufsgenossenschaften genügt den Anforderungen des Gesetzgebers nicht. Ein Überweisungsbescheid zu einer anderen Berufsgenossenschaft kann mit Bezug auf § 137 II SGB VII überprüft werden.

Externer Kontakt: Kai Koerner, Lauf, Fachanwalt für Arbeits- und Sozialrecht, www.guellich-doebler.de
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 04|2006, Seite 16

 
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