Das Vogelgrippevirus H5N1 ist inzwischen auch in der Region Nürnberg zweifelsfrei nachgewiesen worden. WiM sprach mit Dr. Klaus Bayer, Beauftragter für Öffentlichkeitsarbeit der Bayerischen Landesapothekerkammer (BLAK) für Nürnberg, über Gefahren und Vorsorgemöglichkeiten.
? WiM: Für wie wahrscheinlich halten Sie den Ausbruch einer weltweiten und den Menschen betreffenden
Epidemie?
Dr. Klaus Bayer: Eine weltweite Epidemie, die wir als Pandemie bezeichnen, kann nur auftreten, wenn
sich ein Influenzavirus so verändert, dass es effektiv von Mensch zu Mensch übertragen wird und dabei schwere
Erkrankungen hervorruft. Das Risiko einer Influenza-Pandemie wird von Experten derzeit als relativ hoch
eingeschätzt. Der Pandemie-Fall würde ausgerufen, wenn das neue Virus mehrere Ausbrüche mit anhaltender
Verbreitung in der Bevölkerung in mindestens einem Staat ausgelöst und auf andere Länder übergegriffen hat.
Wahrscheinlichster „Kandidat“ für die Auslösung einer Pandemie ist das A/H5N1-Influenza-Virus, wenn
es so mutiert, dass eine leichte Übertragung von Mensch zu Mensch möglich wird.
? Wie kann ein Pandemie-Virus entstehen?
Die klassische Virusgrippe des Menschen wird überwiegend durch Influenzaviren des Typs A verursacht, deren
natürliches Reservoir bei Schweinen, Pferden und vor allem verschiedenen Haus-und Wildgeflügelarten zu finden
ist. Klassifiziert werden die Influenza-A-Viren anhand der beiden Oberflächenproteine Hämaglutinin (H) und
Neuraminidase (N). Hämaglutinin ist für die Bindung des Virus an die Wirtszelle verantwortlich, die Neuraminidase
sorgt dafür, dass sich die Nachkommen-Viren von der Wirtszelle ablösen können. Influenza Viren sind RNA-Viren,
bei denen eine Korrekturfunktion, wie bei der DNA üblich, während der Vervielfältigung fehlt. Ihr genetisches
Material liegt in den infektiösen Viruspartikeln nicht als ein durchgängiges Molekül, sondern in mehreren
getrennten Segmenten vor. Wenn Zellen gleichzeitig mit verschiedenen Virus-Subtypen infiziert sind, können aus
diesen getrennten Segmenten neu kombinierte Einheiten entstehen, die zu veränderten Eigenschaften des Virus
führen können.
Dieses Phänomen wird als „Antigenshift“ bezeichnet. Virus-Subtypen mit so entstandenen veränderten Eigenschaften heißen Reassortanten. Eine Anhäufung dieser Mutationen führt zu einer Veränderung der Hüllantigene (Oberflächenantigene), so dass diese Viren durch vorhandene Antikörper schlechter oder auch gar nicht erkannt werden und damit für Wirte wie Mensch oder Tier kein Schutz vorhanden ist.
? Gab es in der Vergangenheit bereits Pandemien ?
Im letzten Jahrhundert gab es drei Influenza-Pandemien. 1918/19 war es das A/H1N1 Virus, das die
„Spanische Grippe“ mit weltweit 20 bis 50 Mio. Todesopfern ausgelöst hat. Damals waren die Menschen
infolge des Weltkrieges geschwächt und schlecht ernährt, es gab keine Antibiotika gegen Zweitinfektionen und
keine Intensivmedizin. 1957/58 entstand das A/H2N2-Virus, das die so genannte „Asiatische Grippe“
auslöste und schließlich folgte 1968/69 das A/H3N2-Influenza-Virus, das für die „Hong-Kong-Grippe“
verantwortlich war. Beide Pandemien forderten jeweils ungefähr eine Mio. Opfer. Bei der Entstehung der
auslösenden Viren war vermutlich immer ein Vogel-Virus beteiligt. 1997 gab es in Hongkong mehrere
Influenza-Todesfälle, die eindeutig auf einen neuen Virus-Subtyp (A/H5N1) zurückgingen. Durch diesen Virus
erkrankten auch Menschen. Die schnelle Reaktion der asiatischen Behörden und die konsequente Massenschlachtung
von mehr als 1,2 Mio. Hühnern innerhalb kurzer Zeit wendete aber eine weltweite Epidemie ab.
? Wie kann eine neue Virus-Variante aussehen?
Sie kann aus einer Mutante eines Vogel-Grippe-Virus entstehen oder als eine Reassortante aus dem momentan
zirkulierenden A/H3N2- und einem Vogelgrippe-Virus gebildet werden.
? Warum müssen jedes Jahr neue Impfstoffe gegen die Influenza hergestellt werden?
Durch die große Anpassungsfähigkeit der Influenzaviren ändern sich die Hüllproteine kontinuierlich, wodurch eine
zuvor aufgebaute Immunität immer wieder unterlaufen wird. Deshalb stimmen die Impfstoffe der Vorjahre selten mit
den neu zirkulierenden Viren überein.
? Wie kann ein neuer Impfstoff hergestellt werden ?
Wenn ein neu auftretender Influenza-Virus bekannt wird und isoliert worden ist, werden Hühnereier mit dem
„Ziel“-Virus und einem harmlosen Virus-Stamm infiziert und bebrütet. Durch die gleichzeitige
Vermehrung beider Virus-Typen in den Zellen entstehen Reassortanten, aus denen diejenige Variante isoliert wird,
die die gesuchten Eigenschaften aufweist. Aus dem vermehrten Virus werden anschließend die Oberflächenproteine
gewonnen, die als Impfstoff dienen. Die Entwicklung eines passenden Impfstoffes dauert allerdings ca. drei bis
sechs Monate. Man arbeitet bereits an der Zulassung eines prototypischen Impfstoffes, damit man im Pandemie-Fall
schnell reagieren kann. Für Influenza-Impfstoffe, die nach neuer Technologie in Gewebekulturen hergestellt
werden, würde unter optimalen Voraussetzungen die Entwicklung und Produktionszeit etwa zwei Monate betragen.
? Stehen antivirale Arzneimittel für infizierte Patienten zur Verfügung?
In Deutschland zugelassen sind Neuraminidase-Inhibitoren, die die Viren an einem effektiven Verlassen der
Wirtszellen hindern. Sie verhindern zwar nicht die Infektion, sie verhindern aber die Freisetzung großer
Virusmengen in die Umgebung und damit Reinfektionen. Im Handel erhältlich sind die Wirkstoffe Oseltamivir
(Tamiflu) als Kapseln bzw. als Pulver zur Herstellung einer Suspension sowie Zanamivir (Relenza) zur Inhalation.
Diese Arzneimittel sollten nur nach strenger Indikationsstellung verordnet werden.
? Welche Vorsorgemaßnahmen sind in Bayern getroffen?
Das Land Bayern hat zunächst Vorsorge zur Behandlung besonders gefährdeter Bevölkerungsgruppen getroffen.
Wesentliches Ziel ist auch, das Gesundheitswesen und die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten. Die Vorräte
werden vom Land gelagert und sollen erst nach Ausrufung des Pandemiefalles in den einzelnen Regionen in die
Verteilerkette eingespeist werden. Das Bayerische Umweltministerium strebt an, im Pandemiefall alle Betroffenen
behandeln zu können. Erwartet wird, das ca. 20 Prozent der Bevölkerung betroffen werden.
? Wie sind die bayerischen Apotheken eingebunden?
Die Versorgung der Bevölkerung soll über alle Apotheken erfolgen. Es ist vorgesehen, dass die Bayerische
Landesapothekerkammer nach Erklärung des Pandemiefalles sofort die Apotheken in Bayern per Fax informiert.
Gleichzeitig wird das Umweltministerium die Fertigarzneimittel Tamiflu und Relenza aus den zentralen Lagerstätten
abrufen und innerhalb kurzer Zeit den pharmazeutischen Großhandlungen in Bayern entsprechend ihren Kundenzahlen
zur Verfügung stellen. Ebenso zeitgleich wird der eingelagerte Wirkstoff Oseltamivirphosphat über einen
Lohnhersteller den Großhandlungen in abgepackten Gebinden bereitgestellt. Die Landesapothekerkammer informiert
die Apotheken der betroffenen Regionen, die dann mit ausreichenden Mengen des Wirkstoffs Oseltamivir beliefert
werden. Gleichzeitig wird für diese Apotheken die Dienstbereitschaft ausgeweitet. Der Wirkstoff
Oseltamivirphosphat wird in den Apotheken zu einnahmefähigen Lösungen verarbeitet, die auf ärztliche
Verschreibung abgegeben werden. Von entscheidender Bedeutung einer optimalen Versorgung ist der
Informationsaustausch, damit die verfügbaren Arzneimittel im Bedarfsfall an die richtigen Stellen kommen.
? Wie können Unternehmen und Institutionen im Pandemiefall vorsorgen?
Für größere Unternehmen und Institutionen kommt eine Eigenbevorratung durch direkte Bestellung bei den
Herstellerfirmen nach Anerkennung als zentrale Beschaffungsstelle laut Arzneimittelgesetz in Betracht. Die
Anerkennung wird nur dann erteilt, wenn die Bevorratung ausschließlich für den Eigenbedarf erfolgt, sie durch
einen Apotheker überwacht wird und es geeignete Lager gibt. Zuständig für das Anerkennungsverfahren sind die
Bezirksregierungen.
Kleinere Unternehmen sollten mit einer Apotheke eine Vereinbarung über die Bevorratung mit einer bestimmten Zahl von antiviralen Arzneimitteln für ihre Mitarbeiter treffen. Im Pandemiefall können diese dann auf ärztliche Verordnung von dieser Apotheke abgegeben werden. Ungeklärt ist dabei noch die vertragliche Gestaltung, da die Apotheken nicht das wirtschaftliche Risiko der eingelagerten Arzneimittel tragen können. Die Laufzeit der Medikamente beträgt meist zwischen vier und fünf Jahre. Denkbar wäre die Übernahme des Einkaufspreises zum Zeitpunkt der Anschaffung durch die Betriebe.
? Welche gesetzlichen Regelungen bestehen in einem Pandemie-Fall?
Eine Influenza-Pandemie fällt unter den Katastrophenschutz, wenn mit den zur Verfügung stehenden Mitteln die
Situation nicht mehr beherrschbar ist. Dann ergibt sich die Zuständigkeit der Länder für die notwendigen
Maßnahmen. Gleichwohl hat der Gesetzgeber Ausnahmen für den Verkehr mit antiviralen Arzneimitteln erlassen, so
dass eine „lege artis-Versorgung“ erfolgen kann. So wurde unter anderem das Herstellungsprocedere
antiviraler Rezepturen in der Apotheke, die Zusammenarbeit zwischen Arzt und Apotheker sowie unter den Apotheken
angepasst, um im Ernstfall die Versorgung sicherzustellen.