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Mit Vollgas zum Stillstand

Streben nach Anerkennung, Perfektionismus und Überforderung: Dieser Teufelskreis führt viele Menschen ins gesundheitliche Desaster.

Zum geflügelten Wort ist das „Burnout-Syndrom“ geworden. Es gilt fast schon als schick, wenn sich gestresste Menschen selbst als „total ausgebrannt“ bezeichnen. Schließlich besteht dann am überdurchschnittlichen Einsatz und an der außerordentlichen Wichtigkeit dieser Person im Job scheinbar kein Zweifel mehr. Wer aber tatsächlich betroffen oder auf dem besten Wege dahin ist, mit überhitztem Motor Richtung Stillstand zu rasen, wird lieber schweigen als sich mit dem Prädikat „Burnout“ zu brüsten.

Typischerweise werden die körperlichen und seelischen Warnsignale, die sich mit dem fortwährenden Raubbau an den persönlichen Ressourcen einstellen, geleugnet. Diese Verleugnung ölt den Motor für pausenlose Höchstgeschwindigkeit und begünstigt somit den flotten Erkrankungsfortschritt. Wenn schließlich das Energiereservoir zur Neige geht, liegt der Neustart völlig fern. Die Rennfahrer sind dann oft für lange Strecken ausgebremst.

In welchem beruflichen Lager die Risikogruppe zu finden ist, lässt sich pauschal nicht sagen. Das Feuer wird von einer zündenden Mischung aus Charaktereigenschaften und Umfeld geschürt: Ausbrenner sind überaus ambitionierte und perfektionistische Personen, die sich von ihren inneren Idealen antreiben lassen und aus Anerkennung von außen ihren Lohn beziehen. In der Regel bleibt jedoch das subjektiv erwünschte Quantum an zwischenmenschlicher Wertschätzung, Orientierung gebendem Feedback und messbarem Erfolg unerfüllt. Beengende Befugnisse, unklare Strukturen und widriges Arbeitsklima geben den Betreffenden den Rest. Sie treten nicht etwa kürzer, sondern mit immer größerer Anstrengung auf das Gaspedal, um ihre selbst gesteckten hohen Ziele zu erreichen. Bis das Maß voll und der Tank leer ist.

Die ICD-10, internationale Diagnoserichtlinie der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization WHO), beschreibt den Burnout ganz einfach als „Zustand der totalen Erschöpfung“ – und verharmlost damit das komplexe Krankheitskonstrukt.

Tatsächlich sind bis zu 130 verschiedene Symptome als brisante Begleiterscheinungen des Burnout-Syndroms bekannt. Beginnend bei relativ alltäglichen somatischen Beschwerden wie Kopf-, Magen- oder Rückenschmerzen bis zu brenzligen mentalen Manifestationen wie Abhängigkeit (z.B. Alkohol, Medikamente), Suizidgedanken und Depression, in die der Burnout am Ende nahtlos übergeht.

Beispielhaft seien folgende Symptome des Burnout genannt:

  • Rücken- und Belastungsschmerzen
  • Magen-Darm-Probleme
  • Herz-Kreislauf-Erkrankungen
  • Gefäßerkrankungen
  • Infektionskrankheiten
  • Tinnitus
  • Antriebsstörungen, Motivations- und Interessenverlust
  • Chronische Müdigkeit und abnehmende Entspannungsfähigkeit
  • Sucht
  • Psychische Störungen und Depression

Im Kontinuum zwischen Gesundheit einerseits und Depression andererseits gibt es also unzählige Zeichen, die auf den Burnout hindeuten können. Personalberater und Betriebsärzte werden zwar zwischenzeitlich immer hellhöriger und motivieren gefährdete Mitarbeiter feinfühlig zum Boxenstopp. Bei diesen vorsichtigen Anregungen muss es dann aber meist belassen werden. Vor allem, wenn sich zu den beruflichen Spannungsfeldern familiäre Brennfaktoren gesellen, stößt die unternehmerische Fürsorgepflicht an private Grenzen. Zudem wird die Einsicht in die Krankheit von erwähnter Verleugnung vernebelt, was die Aufklärung erschwert.

Hohe Kosten durch psychische Probleme
Die sozialen und wirtschaftlichen Folgen dieses Szenarios sind frappierend. Zwar registrierte der Bundesverband der Betriebskrankenkassen (BKK) für das Jahr 2006 (Januar bis Oktober) mit durchschnittlich 10,6 Krankheitstagen pro Versicherungsnehmer einen erneuten Tiefstand seit 30 Jahren. Allerdings haben sich im selben Erhebungszeitraum die durch psychische Erkrankungen bedingten Ausfälle nahezu verfünffacht! Bei einem Unternehmen mit 500 Beschäftigten und 230 Arbeitstagen pro Jahr fehlen der Statistik zufolge rund drei Mitarbeiter ein ganzes Jahr aufgrund seelischer Störungen, von denen der größte Teil die Depression bestreitet. Etwa fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung, rund vier Mio. Menschen, sind derzeit schätzungsweise von Depressionen betroffen.

Ungeachtet der hohen Dunkelziffer und in Anbetracht der als steigend prognostizierten Tendenz sprechen diese Zahlen auch Bände, wenn es um das Burnout-Syndrom geht. Eben weil vor dem körperlichen Zusammenbruch die Seele streikt und die Übergänge zwischen somatischen Missempfindungen und psychischen Nöten fließend sind.

Dem ungebremsten Aufprall gegensteuern
Neurobiologisch ist der Burnout ein dauerhafter Ausnahmezustand, bei dem die Ausschüttung von Stresshormonen auf hohem Niveau aktiv bleibt. Was kurzfristig von Natur aus als hilfreich gedacht ist, um in den Top-Leistungsmodus schalten zu können, hat langfristig katastrophale Konsequenzen. Unter anderem steigt das Infarktrisiko beträchtlich und das Immunsystem verliert seine Abwehr. Psychodynamisch ist der Prozess nicht weniger weitreichend. Der Burnout führt zunächst zu unmerklichen, später dramatischen Veränderungen im Erleben und Verhalten, über die irgendwann auch objektive Beobachter nicht mehr hinwegsehen können.

Mögliche Phasen des Burnout:

  • Phase 1: Zwang, sich zu beweisen
  • Phase 2: Verstärkter Einsatz
  • Phase 3: Subtile Vernachlässigung eigener Bedürfnisse
  • Phase 4: Verdrängung von Konflikten und Bedürfnissen
  • Phase 5: Umdeutung von Werten
  • Phase 6: Verstärkte Verleugnung auftretender Probleme
  • Phase 7: Sozialer Rückzug
  • Phase 8: Beobachtbare Verhaltensänderungen
  • Phase 9: Verlust des Gefühls für die eigene Person
  • Phase 10: Innere Leere
  • Phase 11: Depression
  • Phase 12: Völlige Erschöpfung

Betriebliche Gesundheitsprogramme sind zweifellos nützlich zur Krankheitsvorbeugung. Doch lassen sich die wesentlichen Triebkräfte des Burnout eher in den biografisch und charakterlich bedingten Denkmustern (Kognitionen) der Risikogruppe als im Mangel an Ausgleichssport und Entspannungstechniken orten. Wie Arbeitgeber umfassend vorsorgen oder im Fall der Fälle einschreiten können, ist tatsächlich eine schwierige Frage, zumal sie in die Privatsphäre dringt. Grundsätzlich förderlich ist eine von umsichtigem Miteinander geprägte Unternehmenskultur. Doch die lässt sich nicht von heute auf morgen etablieren. Was bleibt, sind also offene Gespräche mit vermeintlich Betroffenen, gemeinsam entwickelte, zeitweise Entlastungsmöglichkeiten – und schließlich der gute Rat, sich in versierte medizinische Hände zu begeben.

Externer Kontakt: Andrea Baumgartl, "LifeCoaching", Emskirchen, Psychologische Managementtrainerin und Coach, www.andrea-baumgartl-coaching.de
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 07|2007, Seite 10

 
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