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Psychologie

Per Autopilot zur Kaufentscheidung

Die Konsumenten verarbeiten viele Informationen unbewusst. Erkenntnisse aus der Neuroforschung können deshalb helfen, die Zielgruppen besser zu verstehen und ihre Sprache zu sprechen. Von David Scheffer

In den letzten Jahren haben die Neurowissenschaften bei der Erforschung des menschlichen Gehirns enorme Fortschritte gemacht und damit eine gewisse Euphorie bei vielen Markenverantwortlichen ausgelöst. Wie wir mit den Erkenntnissen aus der Neuroforschung die Zielgruppen besser verstehen und die Kommunikation konkret optimieren können, bleibt dennoch bis heute relativ unscharf. Im Grunde belegen moderne wissenschaftliche Studien nur, was gute Verkäufer intuitiv schon immer geahnt haben: Das Unbewusste, sozusagen der „Autopilot“, spricht ein gewichtiges Wort beim Entscheidungsprozess mit. Das bedeutet, dass man den bewussten Absichtserklärungen des Konsumenten nicht zu stark vertrauen sollte.

Markenverantwortliche, ihre Werber und ihre Verkäufer müssen daher versuchen, die unbewussten Prozesse der Informationsverarbeitung, die beim Kunden ablaufen, zu verstehen. Das Ziel ist es, zumindest die Fehler zu vermeiden, die der „Autopilot“ des Kunden nicht verzeiht. Wie dieser „Autopilot“ funktioniert, hängt vom impliziten Persönlichkeitssystem (IPS) des Kunden ab. Es gibt als erste Annäherung eine begrenzte Anzahl von klar unterscheidbaren Typen mit einer bestimmten Art der unbewussten Informationsverarbeitung. In der Abbildung (Flughafen-Situation) sind vier Grundtypen gemäß unserem Modell „NeurolPS“ angedeutet. Das Bild oben links symbolisiert einen „Autopiloten-Typen“, der immer Informationen über die Struktur, Funktion und Nutzen braucht, um zu einem Kaufentscheid zu gelangen. Der Typ oben rechts dagegen benötigt Informationen darüber, ob die Beziehung harmonisch und partnerschaftlich ist. Die beiden Typen unten im Modell wollen dagegen nur angedeutete Informationen, sie wollen intuitiv etwas entdecken können.

Die fünf Sinne

Die natürlichen „Tore“ zu den unbewussten Prozessen der Informationsverarbeitung bzw. dem „Autopiloten“ sind die fünf Sinne. Aufwändige bildgebende Testverfahren sind als Ergänzung hervorragend, aber nicht unbedingt notwendig für die Erforschung dieser psychologischen Vorgänge. Keinesfalls können jedoch normale sprachbasierte Fragebögen die unbewussten Persönlichkeitsprofile erfassen, denn die tiefer liegenden Strukturen, die beim Kaufprozess entscheidend sind, kommunizieren nicht mit Sprache, sondern mit Bildern. Über die fünf Sinne – insbesondere den Seh-Sinn – gelangt die Markenkommunikation bzw. der Verkäufer also direkt und ohne Umwege zu den eigentlichen Entscheidungsorganen des Gehirns. Systematische Beobachtungen der Arbeitsweise des „Autopiloten“, z.B. durch einen objektiven visuellen Test wie den Visual Questionnaire (VIQ), geben Aufschluss über den Persönlichkeitstyp des Kunden bzw. der Zielgruppe. Denn dieser VIQ bildet über die Beurteilung von Form-, Farb- und Figurpräferenzen das psychologische Grundprofil eines Menschen – das Implizite Persönlichkeits-System (IPS) – ab.

Die aus der systematischen Beobachtung gewonnenen Erkenntnisse müssen allerdings in Kommunikation und Verkauf auch konkret umgesetzt werden können. Vielleicht ist dieser Schritt der schwierigste. Aber er ist machbar – wenn die neurowissenschaftlichen Erkenntnisse nicht abstrakt bleiben, sondern ganz konkrete Beschreibungen liefern, wie eine Zielgruppe wahrnimmt, welche Argumente sie für eine auch vom „Autopiloten“ unterstützte Entscheidung braucht und welche Fehler „tödlich“ sind. Beim Typen unten links im NeuroIPS darf man beispielsweise in der Kommunikation einen Fehler keinesfalls machen: umständlich, langweilig und zu detailliert werden. Unverblümte oder direkte Formulierungen kann man sich ihm gegenüber aber durchaus erlauben. Oben rechts im Modell dagegen darf man nur eines nicht machen, vor allem unterschwellig: Die harmonische und partnerschaftliche Atmosphäre gefährden und dadurch Vertrauen verlieren. Auch wenn alles andere richtig gemacht worden ist, der „Autopilot“ dieses Typs verzeiht Vertrauensverlust niemals.

Eine neurowissenschaftliche Herangehensweise kann also dem Marketing nützen, wenn sie Markenverantwortlichen, ihren Werbern und Verkäufern dabei hilft, ihre Zielgruppe besser kennenzulernen und daraus konkrete Handlungsanweisungen abzuleiten. Und das ist etwas sehr Positives. Die impliziten, nicht sofort auf den ersten Blick sichtbaren Merkmale von Menschen zu berücksichtigen heißt, Jahrtausende alte Klischees und Stereotypen zu den Merkmalen der „Fassade“ wie Geschlecht, Alter, Reichtum, soziale Herkunft etc. zu überwinden, die in ihrer einseitigen Hervorhebung schon viel Unheil angerichtet haben.

Externer Kontakt: Dr. David Scheffer ist Psychologe und wissenschaftlicher Leiter bei 180° Visual Systems in Hamburg. Zudem ist er Inhaber einer Professur für Wirtschaftspsychologie an der Nordakademie in Hamburg und arbeitet eng mit der Agentur Publicis zusammen (scheffer@neuroips.com, www.publicis-pro.de/brand16).
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 10|2010, Seite 50

 
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