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Bionik

Von der Natur abgeschaut

In Nürnberg soll ein Forschungs- und Besucherzentrum für Bionik entstehen. Wissenschaftler der Ohm-Hochschule und der Universität Erlangen-Nürnberg entwickeln Innovationen, bei denen „Technologien“ aus der Tier- und Pflanzenwelt die Vorbilder sind.

Das Kunstwort Bionik ist eine Kombination der Begriffe Biologie und Technik. Als Wissenschaftsdisziplin befasst sich die Bionik mit der „technischen Umsetzung von Konstruktions-, Verfahrens- und Entwicklungsprinzipien biologischer Systeme“, so die Definition des Vereins Deutscher Ingenieure. Dabei liefern Pflanzen und Tiere aber keine Blaupausen. Im Kern geht es darum, die Erfindungen der Natur zu entschlüsseln und kreativ in technische Produkte und Verfahren umzusetzen, wie einige Beispiele deutlich machen: Die Haut von Haien ist mit Placoidschuppen bedeckt. Diese fein gerillten Hautzähnchen vermindern nicht nur den Strömungswiderstand, sie verhindern auch, dass sich unerwünschte Untermieter wie Algen oder Seepockenlarven ansiedeln. Diese Eigenschaften der Haihaut standen Pate bei der Entwicklung eines ungiftigen Anstrichs auf Silikonbasis, der auf Schiffsrümpfen als Schutzschicht gegen Bewuchs aufgetragen wird.

Der Hai ist nicht der einzige Ideengeber aus der Natur: Die Früchte der Große Klette (Arctium lappa) lieferten dem Schweizer Ingenieur Georges de Mestral die Anregung für den Klettverschluss. Die flexiblen Pfoten von Geparden waren Vorbild für Autoreifen, die selbst bei hohen Geschwindigkeiten die Bodenhaftung nicht verlieren. Die Stacheln des Stachelschweines inspirierten Wissenschaftler, die Bauart auf medizinische und technische Anwendungen zu übertragen: Mit ihrer glatten, schuppenartigen Oberflächenstruktur dringen die Stacheln leicht ein und lassen sich wegen ihrer kleinen Widerhaken nur schwer entfernen. Diese Eigenart soll für die Entwicklung von Injektionsnadeln oder innovativen Klebeverschlüssen genutzt werden.

Besucher-Zentrum im Tiergarten

Das Bionik-Zentrum in Nürnberg, das die Bayerische Staatsregierung mit acht Mio. Euro aus Mitteln der Initiative „Aufbruch Bayern“ unterstützt, wird aus zwei Komponenten bestehen: einem Besucherzentrum im Tiergarten sowie Forschungsprojekten der Ohm-Hochschule Nürnberg und der Universität Nürnberg-Erlangen. Im Obergeschoss des Naturkundehauses auf dem Areal des Zoos wird eine Dauerausstellung zum Thema Bionik eingerichtet, die von Führungen, Seminaren und Vorträgen ergänzt wird. Das Veranstaltungsprogramm soll vor allem auf die Interessen von Kindern und Jugendlichen eingehen: „Wir wollen vor allem junge Menschen für die phänomenale Vielfalt der Natur, deren Innovationen und damit auch für die Naturwissenschaften begeistern“, erklärte Bayerns Umweltminister Dr. Marcel Huber. Er unterstrich die Besonderheit des Konzepts: „Das Bionicum in Nürnberg verbindet Forschung mit Umweltbildung vor der besonderen Kulisse eines zoologischen Gartens. Das ist deutschlandweit einmalig.“

Das Besucherzentrum im Tiergarten, dessen Eröffnung im Jahr 2014 geplant ist, dient außerdem als Plattform für die Wissenschaft, um Forschungsprojekte zu präsentieren. Vor diesem Hintergrund werden im Rahmen des „Bionicums“ drei Bionik-Projekte an der Ohm-Hochschule Nürnberg und der Universität Erlangen-Nürnberg gefördert: „Ohm-Krabbler“, „Künstliche Muskeln“ und „Biosol“.

Mehr Beweglichkeit bei verbesserter Energieeffizienz – mit diesen Zielen wollen Prof. Dr. Rüdiger Hornfeck und Prof. Dr. Peter Heß neue Dimensionen der Robotik erschließen. Als Vorbild dient dabei der Bewegungsapparat der Spinnen. Sie pumpen Flüssigkeiten in ihre Glieder, um ihre Beine hydraulisch anzutreiben. Die beiden Professoren von der Fakultät Maschinenbau und Verfahrenstechnik der Ohm-Hochschule entwickeln für ihren Forschungsroboter (sogenannter „Ohm-Krabbler“) eine Hydraulik, die durch Druckunterschiede einer Flüssigkeit in der Kunststoffhülle des Roboters sehr effizient für Bewegung sorgt. Dies wäre eine Alternative zur Verwendung von Elektromotoren als Antrieb, die das Gewicht erhöhen und den Roboter schwerfälliger machen.

Wissenschaftler der Universität Erlangen-Nürnberg wollen Robotern ebenfalls zu mehr Eleganz und gleichzeitig weniger Energieverbrauch verhelfen. Auch beim Projekt „Künstliche Muskeln“ ist der Ansatzpunkt, beim Antrieb eine Alternative zu den traditionellen Elektromotoren zu finden. Ein Weg ist dabei die Nachahmung der Muskeln, die Säugetieren zu agilen, reaktionsschnellen und flexiblen Bewegungen verhelfen. In der Grundlagenforschung wurden Kunststoffe entwickelt, die sich durch elektrische Impulse zusammenziehen und damit ähnlich wie Muskeln funktionieren. Jedoch ist es bisher nicht gelungen, diese „künstlichen Muskeln“ in die technische Anwendung zu bringen. Dieses Ziel wollen Prof. Dr. Sigrid Leyendecker und Prof. Dr. Jörg Franke erreichen. Die Wissenschaftler vom Department Maschinenbau der Technischen Fakultät der Universität erforschen Struktur, Produktionsprozesse, Steuerung und Anwendbarkeit der künstlichen Muskeln, die am Ende des fünfjährigen Projekts gewöhnliche Antriebe in der Robotik ersetzen könnten.

Neue Wege beschreiten seit einigen Jahren Prof. Dr. Hans Poisel und sein Team, um Sonnenlicht direkt zur hocheffizienten Raumbeleuchtung einzusetzen. Den Wissenschaftlern an der Fakultät Elektrotechnik Feinwerktechnik Informationstechnik der Ohm-Hochschule ist es gelungen, direktes Sonnenlicht um das 700-fache zu konzentrieren und über Kunststoffkabel weiterzuleiten. Über spezielle Leuchtelemente, die sich am Ende des Kabels befinden, kann das Licht dann Innenräume erhellen. Um eine möglichst große Dosis Sonnenlicht „einzufangen“, müssen die Lichtleiter direkt im Fokuspunkt der konzentrierten Strahlen stehen. Diese Herausforderung soll das Forschungsprojekt „Biosol“ meistern: Nach dem Vorbild des menschlichen Auges soll eine Konzentratoroptik in Komponentenbauweise aufgebaut werden, die eine hohe Präzision der Lichtbündelung gewährleistet. Um die noch verbleibenden Abweichungen des Fokuspunktes auszugleichen, nehmen sich die Forscher Pflanzen zum Vorbild: Deren Blütenblätter reagieren auf Licht und strecken sich ohne Steuerung von außen der Sonne entgegen.

Autor/in: 
aw.
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 01|2013, Seite 16

 
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