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Internet im Handel

Alles wird mobil

Der traditionelle Einzelhandel gerät durch die wachsende Online-Konkurrenz unter Druck. Wie können die Geschäfte mit eigenen Web-Strategien kontern?

Manche Beobachter sprechen bereits von einem Handelskrieg zwischen stationären Läden und dem Online-Handel. Auch wenn man das für übertrieben halten mag, so zeigen doch aktuelle Zahlen des Nürnberger Marktforschungsunternehmens GfK, dass der Trend eindeutig ist: Insgesamt hat der Nonfood-Einzelhandel in Deutschland im Jahr 2012 den Umsatz um ein Prozent auf rund 150,5 Mrd. Euro gesteigert und damit den höchsten Wert der letzten zehn Jahre erzielt. Das sei im Prinzip ein guter Wert, diagnostiziert GfK-Manager Dr. Wolfgang Adlwarth. Doch hinter dem erneuten Umsatzplus verberge sich eine zweigeteilte Entwicklung: Die Online-Ausgaben der Verbraucher seien zweistellig auf 23,6 Mrd. Euro gestiegen, der stationäre Handel habe sich dagegen rückläufig entwickelt.

Als Paradebeispiel für einen Online-Versandriesen gilt das 2008 gegründete Start-Up Zalando, das im letzten Jahr ein Umsatzplus von über 125 Prozent auf 1,15 Mrd. Euro ausgewiesen hat. Obwohl erneut ein hoher zweistelliger Millionenbetrag als Verlust ausgewiesen wurde, prüft der Shootingstar angeblich den Einstieg in den Spielzeugmarkt zum nächsten Weihnachtsgeschäft. Angesichts des üblicherweise großen Marketing-Einsatzes von Zalando könnte dann eine neue Runde im Kampf um den 2,6 Mrd. Euro starken deutschen Spielwarenmarkt eingeläutet werden.

Doch während der stationäre Handel noch angesichts dieser Entwicklung zittert, bahnt sich schon die nächste Welle an. Auf der 3. Local Web Conference der Bayerischen Medien-Servicegesellschaft in Nürnberg sah Netzökonom Dr. Holger Schmidt bereits das Zeitalter des „mobilen Webs“ angebrochen. Das zeige sich beispielsweise daran, dass bereits fast jeder dritte der mehr als 30 Mio. Smartphone-Nutzer in Deutschland die Preise der stationären Geschäfte per Handy vergleicht. Neun Prozent der Smartphone-Nutzer kaufen sogar mehr online als in herkömmlichen Geschäften ein – „ein Alarmzeichen für den stationären Handel“.

Der mobile Vertriebskanal, M-Commerce genannt, entwickelt sich laut Schmidt im Vergleich zur Anfangsphase des E-Commerce mit „vierfacher Geschwindigkeit“. Entsprechend müssten die stationären Händler, die bereits in einen Online-Shop investiert haben, nun auch noch eine mobile Vertriebsschiene installieren. „Der Handel der Zukunft ist High-Tech-Handel“, sagt der Internet-Experte voraus. Dazu gehöre auch, die Unmengen an verfügbaren Kundendaten (Stichwort „Big Data“) besser zu nutzen. Eine Big-Data-Auswertung ermögliche beispielsweise eine genaue Prognose darüber, wie viele Bananen an einem möglichen Stichtag verkaufbar sind. Solche Systeme übertreffen die Einschätzungskraft eines erfahrenen Filialeiters, denn im Unterschied zum Mensch kann der Rechner auch die vergangenen Tagesverkäufe und besondere Variablen wie Feiertage, Schulferien, Wetter oder Preiswettbewerbe exakt mit einberechnen. Im lokalen Handel sind solche Instrumente nach Kenntnis Schmidts jedoch noch nicht verbreitet.

Ortsbezogene Daten integrieren

Die eigentliche Stunde des M-Commerce komme dann, wenn ortsbezogene Daten noch schneller in Internet-Anwendungen integriert werden können, wie dies beispielsweise bei Lösungen für das sogenannte „Dynamic Pricing“ der Fall sein könnte. Die Funktionsweise dieser Systeme, die sich noch in der Entwicklung befinden: Ein Kunde steht im Laden, studiert das Angebot und ruft über sein Smartphone in einem bestimmten Vergleichsportal Preisinformationen zu einem Produkt ab. Einzelhändler, die mit diesem Portal zusammenarbeiten, können den im Laden befindlichen Kunden über das Smartphone automatisiert den günstigsten Preis anbieten. Der klassische Händler, der den Kunden schon im Laden hat, kann also die Online-Konkurrenten mit einem noch höheren Rabatt ausstechen.

Ein anderes Zukunftsmodell könnte das „Precision Retailing“ des Software-Herstellers SAP sein, das etwa Besuchern eines Einkaufszentrums in Echtzeit personalisierte Angebote auf die mobilen Endgeräte schickt. Diese Systeme nutzen die „Datenspuren“, die der Kunde bei früheren Besuchen im Einkaufszentrum hinterlassen hat (sogenanntes Nutzertracking). Um derart personalisierte Vorschläge machen zu können, müssen nicht nur die aktuell verfügbaren Produktpreise vorliegen, sondern auch personenbezogene Daten zum Kundenverhalten. Netzökonom Schmidt sieht darin aber kein Problem, denn seiner Einschätzung nach geben Nutzer von iPhone, Samsung & Co. ihre persönlichen Daten gerne her, wenn sie dafür auch einen Nutzen z.B. in Form von preisgünstigen Produktvorschlägen bekommen.

Dem stationären Handel rät Schmidt, den Kunden mobile Lösungen anzubieten, damit diese wie beim Online-Kauf den Lagerstatus von Schuhen oder Kleidung in bestimmten Farben oder Größen einsehen können. Und wenn ein Produkt vergriffen ist, sollte der Fachhändler das gewünschte Produkt dem Kunden nach Haus senden. Den eigentlichen gordischen Knoten sieht der Experte beim mobilen Payment, also der Bezahlung per Handy oder Smartphone. Hier gebe es einen Wildwuchs an Lösungen – vom SMS-Parkticket bis zum Smartphone-Adapter, um Kreditkarten unterwegs abzurechnen. Große Software-Häuser und viele kleine Anbieter arbeiteten mit Nachdruck an praktikablen Lösungen, ein wirklicher Standard habe sich aber noch nicht etabliert.

Die Local Web Conference präsentierte auch junge, lokale Marktplätze, die mit dem Motto „googeln statt bummeln“ Erfolg haben. Etwa das Nürnberger Start-Up Streetspotr, das in Deutschland, Österreich und der Schweiz aktiv neue Möglichkeiten für lokale Marktforschung, Konkurrenzbeobachtung oder Mistery Shopping (Einsatz von Verbrauchern als verdeckte Marktforscher) offeriert. Einige Beispiele für solch lokal ausgerichtete Marktbeobachtung: Der Hersteller eines Energy Drinks will wissen, in welchen Geschäften seine Marke noch nicht erhältlich ist. Smartphone-Nutzer eines bestimmten Postleitzahlengebietes werden dazu aufgefordert, auf Entdeckertour zu gehen und ihre Beobachtungen per Foto oder Video einzusenden. Als Gegenleistung erhalten sie Cent- oder Euro-Beträge. Ein Verlag will klären, ob eine Computer-Zeitschrift, die in den Regalen bisher bei den EDV-Titeln zu finden war, nun wie vereinbart unter den Wirtschaftstiteln einsortiert wird. Ein Kosmetikanbieter wollte wissen, wie die Kosmetikschränke der User sortiert sind. „Das Prinzip unserer App ist das Crowd-Sourcing, wir sind lokal, sozial und mobil“, erklärte Streetspotr-Gründerin Dorothea Utzt. Einzige ungelöste Hürde sind aktuell die Innenaufnahmen in Geschäften, die vom Betreiber genehmigt werden müssen.

Der mobile Flohmarkt der Hamburger Firma Stuffle.it bringt gebrauchte Produkte auf das Smartphone der Interessenten und sortiert die Angebote nach der jeweiligen Entfernung zwischen Anbieter und potenziellem Käufer. Werden sich beide Seiten über den Kauf einig, kann der Interessent einfach beim Verkäufer vorbeigehen, um die Ware abzuholen. Dieser spart sich Verpackung und Versand und kann trotzdem „seinen Dachboden zu Geld“ machen, wie es Adrian Korte von Stuffle.it ausdrückte.

Ein kommender Riese könnte die Lösung Barcoo der Berliner Firma Checkitmobile werden: Bereits 9,2 Mio. Internet-Nutzer haben die Anwendung auf ihrem Smartphone installiert, um Barcodes im Geschäft abzuscannen und auf diese Weise Produktinformationen (z.B. Inhaltsstoffe von Lebensmitteln), Preisvergleiche und Bewertungen anderer Nutzer abzurufen. Geschäftsführer Benjamin Thym berichtet, dass sich manche Hersteller – vergeblich – dagegen wehren, dass diese Informationen über Barcoo abgerufen werden können. Andere Hersteller nutzen die Möglichkeit, bei Barcoo ihre Werbung bei passenden Barcode-Abfragen zu platzieren (z.B. Hersteller von Zahnpasta werben neben Produktinformationen für Süßwaren).

Paul Baumann, Teamleiter Social Media bei der Drogeriekette Rossmann, berichtete ebenfalls über Erfolge des personalisierten Marketings direkt am Ort des Einkaufs, z.B. über eine Marketing-Aktion mit dem Location-Netzwerk Foursquare: Rossmann veranstaltete einen Spendenmarathon, für den sich die Kunden jeweils beim Betreten einer Filiale in Echtzeit virtuell eincheckten. Für jeden zurückgelegten Kilometer eines Nutzers zwischen unterschiedlichen Rossmann-Standorten stellte der Drogeriemarkt Geld für einen guten Zweck bereit. In Deutschland sind solche Aktionen noch weitgehend unbekannt – im Gegensatz zu den USA, wo man seinen Kaffee um 50 Cent billiger bekommt, wenn man im Coffeeshop per Smartphone virtuell eincheckt.

Trotz all dieser neuen Technologien zeigt man sich in der Berliner Zentrale des Handelsverbands noch entspannt. Angesichts eines Umsatzanteils des Online-Handels von sieben Prozent „soll man die Kirche im Dorf lassen“, teilt man dort auf Anfrage mit. „Für beide Gruppen gibt es genügend Potenzial.“ Ähnlich äußert sich Uwe Werner, Geschäftsführer des Handelsverbandes Bayern in Mittelfranken. Die neuen Internet- und Mobiltechnologien seien Fluch und Segen zugleich. Die Umsatzeinbußen mittelfränkischer Geschäfte durch E-Commerce beziffert er auf acht bis neun Prozent. Mit Fortbildungen soll den Ladenbesitzern verstärkt veranschaulicht werden, welche Potenziale personalisiertes Online-Marketing für Umsatzsteigerung und Kundenbindung bietet.

Internet sorgt für Preistransparenz

Skeptischer zeigte sich am Rande der Local Web Conference Michael Nordschild, der Geschäftsführer der Nürnberger Initiative für die Kommunikationswirtschaft (NIK): „Die Zalandos dieser Welt schlafen nie, und es wird noch viele Zalandos geben.“ Angesichts der Umsatzverschiebungen des Handels in die digitale Welt frage er sich, warum die Branche der Konkurrenz nicht direkt ins Auge sehe, um neue Ideen und eine „hybride“ Strategie zu entwickeln, die stationäre und Online-Elemente verbinde. Denn in Zukunft werde die Preistransparenz durch Web-Portale und Netzwerke weiter zunehmen. Dem müssten Handel und Gastronomie sogenannte „Local Based Services“ entgegensetzen – also Web-Services für potenzielle Kunden vor Ort. So könnte ein Gastronomiebetrieb den vorbeiflanierenden Menschen die Werbebotschaft „Neu – Jetzt vier im Weckla!“ auf das Smartphone senden.

In der Metropolregion Nürnberg gibt es laut Nordschild zahlreiche IT-Unternehmen, die Instrumente und Lösungen für „Local Based Services“ anbieten. Veranstaltungen wie die Nürnberger Local Web Conference könnten ein Weckruf für den traditionellen Handel sein, sich dieser Dienste stärker zu bedienen und damit ihre Kundenbindung zu verstärken.

Autor/in: 
tt.
 

WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 03|2013, Seite 20

 
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